Das Tagegeld in der Unfallversicherung: Wie lange muss der Versicherer leisten?

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Wann endet der Anspruch auf Tagegeld in der Unfallversicherung?

Die meisten Unfallversicherungen sehen im Versicherungsfall neben der Invaliditätsleistung einen Anspruch auf Tagegeld vor. Dabei findet sich in den Versicherungsbedingungen häufig die nachfolgende (oder eine inhaltlich vergleichbare) Formulierung

„Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.“

Streit bestand in der Vergangenheit jedoch häufig, was unter "Dauer der ärztlichen Behandlung" zu verstehen ist. Der für Versicherungsrecht zuständige Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Frage jetzt abschließend geklärt und in seinem Urteil vom 04.11.2020 zum Aktenzeichen IV ZR 19/19 entschieden, in welchem Zeitpunkt die für den Anspruch auf Tagegeld maßgebliche ärztliche Behandlung endet.

Letzte Vorstellung bei dem Arzt nicht entscheidend 

Nach dieser Entscheidung können sich Versicherer nicht mehr darauf berufen, dass stets auf die letzte Vorstellung bei dem behandelnden Arzt abzustellen ist. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr festgestellt, dass die ärztliche Behandlung vielmehr die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen umfasst.

Unklare Versicherungsbedingungen müssen ausgelegt werden 

Bei Unklarheiten sind Versicherungsbedingungen auszulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei entscheidend, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemüht der Versicherungsnehmer diese bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Bei der Auslegung spielt zudem der Wortlaut der Klausel, der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klausel eine Rolle.

Arzt hatte weitere Physiotherapie verordnet 

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Versicherungsfall hatte der Kläger den behandelnden Facharzt zuletzt am 16.06.2016 aufgesucht. Dieser hatte ihm aufgrund der andauernden Beeinträchtigungen „10 x Krankengymnastik“ verordnet. Der vom Versicherer beauftragte Gutachter hatte ausgeführt, die Behandlung sei am 16.06.2016 abgeschlossen gewesen. Obgleich der Kläger den Facharzt am 01.01.2017 erneut aufgesucht und dieser ihm weitere Physiotherapie verordnet hatte, lehnte der Versicherer den weitergehenden Leistungsanspruch ab.

Arzt muss weitere Behandlung nicht selbst vorgenommen haben 

Der Bundesgerichtshof hingegen hat den Versicherer zur Leistung verurteilt.

Ausgeführt wird in den Entscheidungsgründen, dass der Versicherungsnehmer bereits nach dem Wortlaut der Klausel nicht davon ausgehen würde, dass auf den letzten Arztbesuch abzustellen sei, sondern die Dauer der Behandlung, die auch die Einnahme eines beschriebenen Medikamentes oder die Durchführung einer verordneten Therapie, umfasse. Diese Maßnahmen würden regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung angesehen, unabhängig davon, ob sie nach dem letzten Arztbesuch erfolgen. Der Bundesgerichtshof hat auch hervorgehoben, dass nicht von Bedeutung sei, ob der Arzt selbst die weiteren Maßnahmen durchführt. Es sei für den Leistungsanspruch daher auch nicht erforderlich, dass ein weiterer Arztbesuch zur Erfolgskontrolle stattfindet.

Einnahme von Medikamenten kann Leistungsanspruch begründen 

Auch hinsichtlich des Zwecks des Tagegeldes hebt der Bundesgerichtshof hervor, dass der sogenannte durchschnittliche Versicherungsnehmer davon ausginge, dass es Tagegeld gezahlt würde, sofern die versicherte Person unfallbedingt in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist und sich in ärztlicher Behandlung befindet. Diese Voraussetzungen seien auch dann erfüllt, wenn nach dem ärztlichen Behandlungsplan Medikamente einzunehmen oder Therapien durchzuführen sein.

Versicherer musste weitere Leistungen erbringen 

Werden nach einem Unfall in Sinne der Versicherungsbedingungen Leistungen geltend gemacht, sollte nach der Entscheidung stets auch der oftmals vernachlässigte Anspruch auf Krankengeld berücksichtigt und der Höhe nach überprüft werden.

Fazit

Sind Sie unsicher, ob der Versicherer seine Leistung zu Unrecht eingestellt hat oder verweigert, sollte daher eine Überprüfung erfolgen.

Ihre Ansprechpartnerin im Versicherungsrecht

Aufgrund meiner Erfahrung und langjährigen Tätigkeit als Fachanwältin für Versicherungsrecht auf Seiten der Versicherungsnehmer stehe ich Ihnen bundesweit für eine fachkundige Überprüfung und Durchsetzung Ihrer Leistungsansprüche gern zur Seite.



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