Das Verfahren vor dem Güterrichter in Familiensachen
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Das Verfahren vor dem Güterrichter in Familiensachen
Rechtsgrundlagen/Gesetzliche Verankerung:
Durch das Gesetz zu Förderung der Mediation und anderer Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung v. 21.07.2012 (MediationsG) wurde das „Güterichterverfahren“ in die Prozessordnungen eingeführt. Es handelt sich um die weitegehende Umsetzung der Richtlinie 2008/52/EG v. 21.05.2008, die bis zum 21.05.2011 in nationales Recht umgesetzt werden sollte.
Für Familiensachen sind folgende Vorschriften maßgeblich:
§ 36 Abs. 5 FamFG
§ 36 Vergleich
(1) 1Die Beteiligten können einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand des Verfahrens verfügen können. 2Das Gericht soll außer in Gewaltschutzsachen auf eine gütliche Einigung der Beteiligten hinwirken.
(2) 1Kommt eine Einigung im Termin zustande, ist hierüber eine Niederschrift anzufertigen. 2Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Niederschrift des Vergleichs sind entsprechend anzuwenden.
(3) Ein nach Absatz 1 Satz 1 zulässiger Vergleich kann auch schriftlich entsprechend § 278 Abs. 6 der Zivilprozessordnung geschlossen werden.
(4) Unrichtigkeiten in der Niederschrift oder in dem Beschluss über den Vergleich können entsprechend § 164 der Zivilprozessordnung berichtigt werden.
(5) 1Das Gericht kann die Beteiligten für den Versuch einer gütlichen Einigung vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. 2Der Güterichter kann alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen. 3Für das Verfahren vor dem Güterichter gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
§ 278 Abs. 5 ZPO
§ 278 Gütliche Streitbeilegung, Güteverhandlung, Vergleich
(1) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein.
(2) 1Der mündlichen Verhandlung geht zum Zwecke der gütlichen Beilegung des Rechtsstreit eine Güteverhandlung voraus, es sei denn, es hat bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Gütestelle stattgefunden oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos. 2Das Gericht hat in der Güteverhandlung den Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern und, soweit erforderlich, Fragen zu stellen. 3Die erschienenen Parteien sollen hierzu persönlich gehört werden.
(3) 1Für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche soll das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden. 2§ 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.
(4) Erscheinen beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
(5) 1Das Gericht kann die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. 2Der Güterichter kann alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen.
(6) 1Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. 2Das Gericht stellt das Zustandekommen und den Inhalt eines nach Satz 1 geschlossenen Vergleichs durch Beschluss fest. 3§ 164 gilt entsprechend.
§ 159 Abs. 2, S. 2 ZPO
§ 159 Protokollaufnahme
(1) 1Über die Verhandlung und jede Beweisaufnahme ist ein Protokoll aufzunehmen. 2Für die Protokollführung kann ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle zugezogen werden, wenn dies auf Grund des zu erwartenden Umfangs des Protokolls, in Anbetracht der besonderen Schwierigkeit der Sache oder aus einem sonstigen wichtigen Grund erforderlich ist.
(2) 1Absatz 1 gilt entsprechend für Verhandlungen, die außerhalb der Sitzung vor Richtern beim Amtsgericht oder vor beauftragten oder ersuchten Richtern stattfinden. 2Ein Protokoll über eine Güteverhandlung oder weitere Güteversuche vor einem Güterichter nach § 278 Absatz 5 wird nur auf übereinstimmenden Antrag der Parteien aufgenommen.
Organisation und Ablauf des Verfahrens:
Durch Art. 1 § 9 MediationsG wurde den Justizverwaltungen eine Übergangsfrist zur Umsetzung gerichtsorganisatorischer Maßnahmen bis zum 01.08.2013 gesetzt.
- Zuständigkeitsregelungen im Geschäftsverteilungsplan
- Bereitstellung geeignet ausgestatteter Räume
- Aktenführung und Geschäftsablauf im Service-Bereich
- Statistische Erfassung
- Aus- und Weitebildung der Güterichter
Seit diesem Zeitpunkt muss u.a. in allen Familiensachen die Möglichkeit der Verweisung vor den Güterichter bestehen. Konzentrations- und Poollösungen (auch gerichtsübergreifend) sind möglich.
Geschäftsverteilung
Raumausstattung
Einrichtung von Geschäftsstellen, Registrierung, Formblätter, EDV, Aktenführung
Bekanntmachung, Zuweisungsverfahren
Verhandlungsvorbereitung
Problem: Verlängerung prozessualer Fristen durch den Güterichter
Die Berufungsbegründungsfrist wird nicht gehemmt, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Güterrichter ist unwirksam, wenn sie nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgt ist und bis dahin kein Antrag gestellt war (BGH NJW 2009, 1149)
Problem: VKH-Bewilligung
Bei einer PKH-Bewilligung durch den Güterichter handelt es sich um einen nicht wirksamen Scheinbeschluss (OLG Rostock v. 15,01.2008 2 W 37/07)
Verhandlungsablauf:
Vertraulichkeit und Protokollierung
Abschlussvereinbarung und/oder
Aufhebung des Güterichterverfahrens
Gerichtkosten:
Das Güterichterverfahren ist Bestandteil des Prozesses und löst keine zusätzlichen Gerichtsgebühren aus. Eine Einigung führt zur üblichen Gerichtskostenersparnis.
Konfliktbehandlungsmethoden:
Ausgangspunkt ist das kontradiktorische Entscheidungsverfahren
Maßnahmen des erkennenden Richters, wie Güteverhandlungen und Einigungsvorschläge
Möglichkeit auf ein außergerichtliches Konfliktbeilegungsverfahren (Jugendamt/ Mediator)
Verweisung an den nicht entscheidungsbefugten Güterichter in einem methodenoffenen Verfahren:
- Differenzierte Konfliktbehandlung
- Transparenz
- Vermittlung / Konfliktmoderation
Hinwirken auf eine zielführende Kommunikation
„Shuttle-Diplomatie“ (d.h. Kommunikation der Ergebnisse von Einzelgesprächen) z.B. telefonisch oder per Online-Kommunikation
- Mediation
- Klärungshilfe
- Schlichtung: Unterbereitung eines Lösungsvorschlages (am Recht, an der Interessenlage oder an der Billigkeit orientiert)
- Evaluation:Bewertung der Prozessaussichten
- Mini Trial
- Verbindliche Klärung einer einzelnen Streitfrage
- Verteilungsverfahren: Vorschlag und/oder Leitung eines standardisierten Verteilungsverfahrens (Zugriff-Verfahren, Versteigerung, Losverfahren etc.)
- Kombinierte Methoden
Anwendungsbereiche, Falleignung, Fallberichte:
Kriterien für eine Verweisung vor den Güterichter:
- zwischen den Beteiligten besteht eine erhaltenswerte Beziehung
- der Rechtstreit betrifft nur einen Teil der konfliktbehafteten Beteiligtenbeziehungen
- weitere Verfahren sind zwischen den Beteiligten anhängig oder angekündigt
- der Rechtsstreit ist Ausdruck einer tiefgreifenden Beziehungsstörung
- der Rechtstreit lässt sich auf Kommunikationsdefizite im vorprozessualen oder nebenprozessualen Stadium/Raum zurückführen
- die streitige Verfahrensführung ist mit erheblichen Unwägbarkeiten (Beweis-, Auslegungsfragen) behaftet
- die Realisierbarkeit des mit dem Verfahren erstrebten Ziels erscheint fraglich (drohende Zahlungsunfähigkeit, Arbeitsaufgabe, Vermögensverlagerung/-verschleuderung, Firmenübergabe etc.)
- eine umfassende Konfliktlösung erfordert die Einbeziehung nicht am Verfahren beteiligter Personen (Kinder, Partner, Geschäftspartner, Großeltern etc.)
- eine Konfliktlösung erscheint aussichtsreicher, wenn übliche Verfahrensbeteiligte (Jugendamtssachbearbeiter, Rechtsanwalt u.ä.) an Verhandlungen nicht teilnehmen
- der Rechtstreit hat sich in Nebenkonflikte zersplittert, deren Aufarbeitung einen erheblichen Kosten- und Zeitaufwand verursacht
- schwierige Vergleichsverhandlungen können unter den Rahmenbedingungen des Güterichterverfahrens mit größerer Erfolgsaussicht geführt werden (fester Terminrhythmus gegen Verschleppung und Verzögerung, Protokollierung von Zwischenvereinbarungen, Rechtfertigungszwang.
Umstände, die gegen eine Verweisung vor den Güterichter sprechen:
- Erkennbares Interesse der Beteiligten an einer rechtlichen Klärung einer Streitfrage
- Interesse eine Beteiligten an rascher Titulierung eines klaren Rechtsanspruchs (Kindesunterhalt, EA-Trennungsunterhalt)
- Anhaltspunkte für unlautere Machenschaften
- mangelnde Kommunikationsfähigkeit (z.B. auch Sprachprobleme) eines Beteiligten
- erhebliches Ungleichgewicht der Verhandlungsstärke
- psychische Auffälligkeiten (querulatorische Tendenzen)
- grundsätzlich fehlende Bereitschaft zum Nachgeben in einzelnen Punkten
- tiefgreifende Störungen auf der emotionalen Ebene (z.B. bei stark belastetem Trennungskonflikt)
Der Rechtsanwalt im Güterichterverfahren:
Solange in der Güterichterverhandlung keine Prozesshandlungen vorgenommen werden ist eine (ununterbrochene) Teilnahme des Rechtsanwaltes auch im Anwaltsprozess nicht erforderlich.
Vor Vereinbarungen mit erheblicher Tragweite und von der Partei nicht voll überblickten Konsequenzen ist der Güterichter verpflichtet (§ 2 Abs. 6 MeditationsG analog), auf Einbindung der Anwälte und ggf. Beratung außerhalb der Sitzung hinzuwirken.
Mit dieser Maßgabe kann der Güterichter einen Prozessvergleich auch ohne anwaltliche Vertretung beurkunden; er steht insoweit dem beauftragten und ersuchten Richter gleich im Sinne von § 78 Abs. 3 ZPO. Dies gilt auch für einen nicht am Prozess Beteiligten, der in den Prozess einbezogen werden soll (BGHZ 86,160).
Für die Erledigungserklärung besteht nach § 78 Abs. 3 iVm § 91a Abs. 1, S. 1 ZPO kein Anwaltszwang, aber für Prozesshandlungen, die dem erkennenden Gericht gegenüber abzugeben sind, wie z.B. Anerkenntnis, Klagerücknahme.
Die Vollstreckbarkeit bestimmt sich wie beim kontradiktorischen Verfahren.
Vergütung des Rechtsanwalts
Das Güterichterverfahren ist gebührenrechtlich Bestandteil des streitigen Verfahrens, so dass mit den dort verdienten Gebühren alle Tätigkeiten der Instanz abgegolten sind (es fällt keine zusätzliche Termingebühr an), (OLG Rostock JurBüro 2007, 194).
Finden dort Gespräche zu nicht rechtshängigen Ansprüchen statt, entsteht für den Verfahrensbevollmächtigten zusätzlich eine 0,8 Verfahrensgebühr aus dem Wert der nicht rechtshängigen Ansprüche (§15 Abs. 3 RVG ist zu beachten) und eine volle 1,2 Termingebühr aus dem vollen Wert (rechtshängig und nicht rechtshängig) an.
Bei einer Einigung entsteht für die rechtshängigen eine 1,0 (1,3 in der Berufungsinstanz) und für die nicht rechtshängigen eine 1,5 Gebühr aus dem jeweiligen Wert (OLG Celle NJW 2009, 1219), (§15 Abs. 3 RVG ist zu beachten)
Zuständig für die Verfahrenswertbestimmung durch Erhöhungen im Rahmen des Güterichterverfahrens ist der Güterichter und für diesen Verfahrensabschnitt „Prozessgericht“ iSv § 63 Abs. 2 GKG, da das Ausgangsgericht mit der Verhandlung über die nicht rechtshängigen Ansprüche nicht befasst war und wegen der Vertraulichkeit des Verfahrens über diesbezüglich keine Verfahrensakten und Informationen verfügt. Zur Verfahrenswertbestimmung sollte der Güterichter deshalb auch auf eine Einigung mit Rechtsmittelverzicht hinwirken (da eine Überprüfung durch das Beschwerdegericht auch an der Vertraulichkeit scheitern würde).
Verfahrenskostenhilfe kann nur vom Prozessgericht bewilligt werden. Bewilligte Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung erstrecken sich auch auf das Güterichterverfahren. Bei einer Einigung über nicht anhängige Ansprüche könnten sich im Hinblick auf die Verfahrenswertbestimmung Probleme ergeben (s.o.), deshalb sollte ausdrückliche erweiterte Bewilligung beim Prozessgericht beantragt werden und/oder ein formeller Verfahrenswertbeschluss des Güterichters zu diesen Ansprüchen herbeigeführt werden.
Quellen und Literatur:
Greger, güterichter-forum.de
Greger/Weber, Das neue Güterichterverfahren, MDR 2012 Heft 18
Greger, Das Güterichtermodell, AnwBl 2013, 504
Ahrens, Mediationsgesetz und Güterichter NJW 2012, 2465
Klowait/Gläßer, Mediationsgesetz
Keidel, FamFG
Kemper/Schreiber, FamFG
Schmitt, Stufen einer Güteverhandlung 2014
Benesch, Der Güterichter nach §36V FamFG – Erfahrungen u. Möglichkeiten im familiengerichtlichen
Verfahren, NZFam 2015, 807
Im September 2015, Rechtsanwalt Dr. iur. Wolff-Heinrich Fleischer, Mannheim
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