Der "blockierte" Pflichtteilsanspruch

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Es war einmal eine Mutter, die hatte zwei Söhne, welche sich nicht miteinander vertrugen. Die Mutter war wohlhabend und ahnte, dass es nach ihrem Tod zu Streit kommen würde. Um das zu verhindern, schenkte sie Sohn 1 eine wertvolle Immobilie – ohne dass eine erbrechtliche Vereinbarung, zum Beispiel ein Pflichtteilsverzicht, getroffen wurde – und setzte Sohn 2 in ihrem Testament zum alleinigen Erben ein in der Hoffnung, dass Sohn 1 nach ihrem Tod Ruhe geben würde. So kam es leider nicht: Nachdem Sohn 1 von seiner Enterbung erfahren hatte, forderte er von seinem Bruder die Auszahlung seines Pflichtteilsanspruchs und machte auch Pflichtteilsergänzungsansprüche gelten. Sohn 2 konterte mit der Grundstücksschenkung und verweigerte die Zahlung. Die Brüder gerieten in Streit und der dauerte lange und wurde teuer - was die Mutter hatte verhindern wollen.

Was ein Pflichtteilsanspruch ist und wem er zusteht

Unser Erbrecht ist geprägt vom Gedanken der Teilhabe: Die engsten Angehörigen des oder der Verstorbenen (Erblasser/Erblasserin) sollen an seinem bzw. ihrem Vermögen angemessen teilhaben. Aus diesem Grund sieht das Erbrecht gesetzliche Erbteile vor, die umso höher sind, je näher der Erbe mit dem Erblasser verwandt war: Bevorzugt werden die Kinder sowie der Ehegatte und unter Umständen auch die Enkel oder die Eltern. Diese nahestehenden Personen können einen „Ersatz“ beanspruchen, wenn sie enterbt wurden, das Pflichtteilsrecht oder auch den Pflichtteil. Enterbt wird eine Person, indem sie entweder ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen oder im Testament nicht benannt wird.

Das Pflichtteilsrecht besteht in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Und der Pflichtteilsanspruch ist der Anspruch gegen den oder die Erben auf Zahlung eines bestimmten Betrages aus dem Nachlass.

Die Rechte des Pflichtteilsberechtigten

Pflichtteilsberechtigte Personen, die enterbt wurden, können den Erben das Leben schwermachen:

Pflichtteilsberechtigte haben einen umfassenden Anspruch auf Auskunft über den Umfang des Nachlasses und auf die Wertermittlung bestimmter Nachlassgegenstände, z.B. Grundstücke. Müssen hierfür Sachverständigengutachten eingeholt werden, belasten diese Kosten den Nachlass (und vermindern indirekt auch den Pflichtteilsanspruch), zudem entsteht es oft Streit darüber, ob die Bewertung korrekt vorgenommen wurde. Der Pflichtteilsberechtigte kann ein privatschriftliches ebenso wie ein notarielles Nachlassverzeichnis fordern – letzteres verursacht weitere Kosten. Bei erheblichen Unstimmigkeiten kann der Pflichtteilsberechtigte auch die Abgabe einer Erklärung an Eides statt über die Richtigkeit des Verzeichnisses einfordern – ein weiterer „Zankapfel“.

Schließlich kann der Pflichtteilsberechtigte auch Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen. Diese Ansprüche beziehen sich auf alle Schenkungen (unentgeltliche Zuwendungen), die der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod oder unter Umständen im Laufe seines gesamten Lebens den Erben oder auch anderen Personen gemacht hat.

Und: Pflichtteils- ebenso wie Pflichtteilsergänzungsansprüche sind grundsätzlich jederzeit zur Zahlung fällig. Erben, die mit der Zahlung in Verzug geraten, schulden Verzugszins und die Erstattung von Schäden, die infolge des Verzuges beim Pflichtteilsberechtigten entstanden sind, z.B. seine Anwaltskosten.

Die Gegenrechte der Erben – und ein neues Urteil

An dieser Stelle tun sich weitere „Zankäpfel“ auf, denn auch die Erben haben den Pflichtteilsberechtigten gegenüber Rechte:

Das Gesetz sieht vor, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht nur fordern darf, sondern sich auch bestimmte Schenkungen, die er vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhalten hatte, auf den Pflichtteil anrechnen lassen muss. Bestehen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass es solche Schenkungen gegeben hat, können die Erben den Pflichtteilsberechtigten zunächst zur Erteilung von Auskünften auffordern zu folgenden Vorgängen:

(1) Zuwendungen des Erblassers im Wege der „vorweggenommenen Erbfolge“, (2) Vorempfänge, die gegenüber den Geschwistern des Pflichtteilsberechtigten ausgleichungspflichtig sind, (3) Eigengeschenke an den Pflichtteilsberechtigten und (4) Zuwendungen, die der Erblasser gemacht und dabei bestimmt hat, dass sie später auf den Pflichtteil anzurechnen sind.

Hat der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten zu Lebzeiten etwas geschenkt mit der Maßgabe, das Geschenk müsse er sich später auf den Pflichtteil anrechnen lassen, muss der Pflichtteilsberechtigte seinerseits den Erben umfassende Angaben über die Art und den Anlass der Schenkungen zu machen. So lange er diese Angaben nicht macht, dürfen die Erben die Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs zurückbehalten. Der Pflichtteilsanspruch wird nicht zur Zahlung fällig und die Erben geraten nicht in Verzug. Dies hat vor kurzem das Oberlandesgericht Oldenburg entschieden (OLG Oldenburg, Urt. v. 23.06.2021, 3 U 88/20, BeckRS 2021, 15778).

Die Erben können in bestimmten Fällen also die Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs blockieren.

Wie Sie einem späteren Streit unter Ihren Kindern vorbeugen

Wenn Geschwister sich nicht verstehen, sind Eltern gut beraten, zu Lebzeiten dafür zu sorgen, dass die Streithähne sich nicht später in einer Erbengemeinschaft wiederfinden. Zum Beispiel könnte ein wertvoller Gegenstand an ein Geschwister verschenkt werden mit der – nachweisbaren – Maßgabe, sich die Schenkung auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen oder gegen die Erklärung eines Pflichtteils- oder eines Erb- und Pflichtteilsverzichts. 

Es gibt etliche Möglichkeiten, Erbstreitigkeiten vorzubeugen – unbedingt sollten Sie Ihre Entscheidungen aber Ihren Kindern mitteilen und sie um Verständnis und Respekt bitten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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