"Erbschleicherei" und Sittenwidrigkeit eines Testaments: Von den Umtrieben einer Rechtsbetreuerin

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„Erbschleicherei“ ist zwar unschön und moralisch verwerflich, aber kein Straftatbestand:


Solange der Erblasser nicht mit rechtlich unlauteren Mitteln (Täuschung, Drohung, Nötigung und dergleichen) zur Errichtung eines Testaments im Sinne des „Schleichers“ bewegt wurde, ist das Testament gültig – wenn auch zum Verdruss der Verwandtschaft.


Es hat allerdings alles seine Grenzen und die Grenze lautet Sittenwidrigkeit:


Ein Testament ist wegen Sittenwidrigkeit null und nichtig, wenn sein Inhalt im Wesentlichen „gegen die guten Sitten“ verstößt, also „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“.

Was „gute Sitten“ sind, wird zwar je nach herrschendem Zeitgeist unterschiedlich beurteilt. Aber die aktuell herrschenden guten Sitten und deren Verletzung könnten Betroffenen einen Ansatz bieten, gegen einen Erbschleicher vorzugehen. Es ist recht schwierig, mitunter aber machbar.


Unangemessene Bedingungen der Erbeinsetzung und Druckausübung


Sittenwidrig ist es z.B. nach heutigen Wertmaßstäben, wenn der Erblasser die Erbeinsetzung an Bedingungen knüpft, die unangemessen in die Lebensführung oder die Lebensplanung des Begünstigten eingreifen und den Begünstigten daher unter einen erheblichen Druck setzen.

Beispiel: Die Erblasserin verfügt, dass ihr Sohn nur dann erbt, wenn er die X heiratet / nicht heiratet.


Unangemessene Umstände des Testierens - Umstandssittenwidrigkeit


Die Sittenwidrigkeit eines Testaments (und im Übrigen auch eines Erbvertrages / Pflichtteilsverzichtvertrages) kann sich aber auch aus den besonderen Umständen ergeben, unter denen das Testament errichtet wurde.


Hier könnte sich für enterbte Betroffene ein Ansatz bieten, um Nachforschungen anzustellen.


Besondere Vertrauensposition und Erbenstellung


Ein wenig „Geschmäckle“ entsteht z.B. öfter, wenn Berufsträger als Erben eingesetzt wurden, denen der Erblasser aufgrund ihrer Position besonderes Vertrauen entgegengebracht hat und denen er sich zu besonderem Dank verpflichtet fühlt. Zu denken wäre an Pflegepersonal, behandelnde Ärzte und an Rechtsbetreuer. Die Erbeinsetzung solcher besonderen Vertrauenspersonen ist allerdings nicht per se sittenwidrig mit der Folge einer Nichtigkeit des Testaments.


Nichtig ist ein Testament nur – und zwar wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot -, wenn Mitarbeiter eines Pflegeheims als Erben eingesetzt wurden.

Für ambulantes Pflegepersonal gilt dieses Verbot allerdings nicht.


Bedenklich kann die Erbeinsetzung behandelnder Ärzte, z.B. des Hausarztes werden, und zwar im Hinblick auf die Berufsordnung für Ärzte, wenn durch die Zuwendung der Eindruck erweckt wird, dass der behandelnde Arzt in der Unabhängigkeit seiner ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Aber: Selbst wenn ein Verstoß gegen die Berufsordnung vorliegt, führt dies nicht zur Sittenwidrigkeit des Testaments zugunsten des behandelnden Arztes (OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 21.12.2023, Az. 21 W 91/23: Hausarzt; NJW 2024, 1046 ff)


Rechtsbetreuung und Erbenstellung


Für Rechtsbetreuer (Berufsbetreuer) gilt:


Eine Zuwendung von Seiten einer betreuten Person ist zwar nicht nichtig und ein Testament zugunsten des Betreuers daher gültig. Aber es ist dem Betreuer untersagt, die Zuwendung anzunehmen. Er müsste ein ihm zugewendetes Erbe oder Vermächtnis also ausschlagen, anderenfalls ihm seine Einsetzung zum Berufsbetreuer entzogen werden kann. Ist der Nachlass allerdings groß genug, könnte es für denjenigen Rechtsbetreuer, dem es darauf ankommt, vorteilhaft sein, die Zuwendung anzunehmen und sich aus der Rechtsbetreuung zu verabschieden.


Sittenwidrigkeit und planvolles Handeln mit einigem Aufwand


Anders allerdings sieht es aus, wenn der Betreuer – oder eine andere Vertrauensperson des Erblassers – äußerst planvoll vorgegangen ist und einigen organisatorischen und/oder sonstigen Aufwand betrieben hat, um den Erblasser dazu zu bringen, im Sinne des Betreuers zu testieren.


Dies zeigen die nachfolgenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle:


Die Rechtsprechung des OLG Celle zu erbenden Betreuerinnen


Fall 1


Schon vor Inkrafttreten des neuen Betreuungsrechts zum 01.01.2023 hatte das OLG Celle entschieden, dass ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin sittenwidrig sein könne, wenn die Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen betagten, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen (Urt. v. 07.01.2021, Az. 6 U 22/20).


Fall 2


Auch in dem nun entschiedenen Fall war eine Rechtsbetreuerin unter recht krassen Begleitumständen als Erbin eingesetzt worden und begehrte einen Erbschein:


Die 91-jährige Erblasserin hatte mit ihrer vor ihr verstorbenen einzigen Tochter ein Krankenzimmer geteilt. Kurz nach dem Tod ihrer Tochter und einzigen näheren Angehörigen wurde der verzweifelten und des Lebens überdrüssigen Erblasserin auf Anregung des Krankenhauses eine Rechtsbetreuerin bestellt, da sich bisher die Tochter um die Angelegenheiten der Erblasserin gekümmert hatte. Im Betreuungsverfahren hatte die Erblasserin angegeben, sie wolle ein Testament zugunsten der Kirche machen. Aus verschiedenen Arztberichten ergaben sich allerdings Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin.


Die Rechtsbetreuerin kümmerte sich nun in einer Art und Weise um die Erblasserin, die über den ihrem Amt angemessenen Einsatz weit hinausging. Sie nahm sie sogar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei sich zu Hause auf. Zwischenzeitlich hatte die Rechtsbetreuerin einen Notar beauftragt, die Erblasserin im Krankenhaus aufzusuchen und ein Testament zu beurkunden. Die Rechtsbetreuerin hatte den Notar nicht nur beauftragt und ihm Unterlagen zur Verfügung gestellt, sondern ihm auch schon den  Wunsch der Erblasserin mitgeteilt, dass sie, die Rechtsbetreuerin, als alleinige Erbin eingesetzt werden solle. Die Rechtsbetreuerin hatte den Notar im Krankenhaus empfangen, ihn zum Krankenzimmer der Erblasserin geleitet und der Erblasserin gegenüber vorgestellt. Das Testament hatte den Inhalt, dass die Rechtsbetreuerin als alleinige Erbin eingesetzt wurde „aus Dankbarkeit über die Pflege“ – wiewohl die Erblasserin von einem ambulanten Pflegedienst versorgt worden war. Die ursprünglich als Alleinerbin vorgesehene Kirchengemeinde erhielt ein kleines Vermächtnis. Den Reinwert des Nachlasses hatte die Erblasserin mit 350.000 Euro angegeben. Die finanziellen Verhältnisse der Erblasserin waren der Rechtsbetreuerin bekannt, da sie eine Bankvollmacht hatte. Darüber hinaus hatte die Rechtsbetreuerin ein Erbscheinsverfahren in Gang gesetzt, indem sie beantragt hatte, der Erblasserin einen Erbschein nach ihrer verstorbenen Tochter für deren Nachlass zu erteilen. Hierdurch hatte die Betreuerin sichergestellt, dass der Nachlass der vorverstorbenen Tochter in das Vermögen der Erblasserin überging und es vergrößerte.


Das OLG Celle entschied angesichts all dessen, es könne dahinstehen, ob die Erblasserin überhaupt testierfähig gewesen sei. Denn das notarielle Testament sei unter Würdigung aller Umstände, insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der Beurkundung des Testaments, sittenwidrig (Beschluss v. 09.01.2024, Az. 6 W 175/23, ZErb 2024, 136 ff).

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