Krankentagegeld oder Berufsunfähigkeit: Was zu beachten ist, wenn der VR seine Leistung einstellt

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Der Leistungsbezug in der Krankentagegeldversicherung

Was muss während des Bezugs von Krankentagegeld beachtet werden? Was ist erlaubt, was lässt den Leistungsanspruch entfallen? Was ist zu beachten, wenn der Versicherer ein Gutachten einholt und den Vertrag wegen vermeintlicher Berufsunfähigkeit für beendet erklärt? Wie sollte dann vorgegangen werden und ist eine Anwartschaftsversicherung abzuschließen?

Auf diese und weitere Fragen soll in diesem Beitrag eingegangen werden. 

Fragestellungen

1. Darf ich während des Bezugs von Krankentagegeld in geringem Umfang arbeiten?

2. Worin besteht der Unterschied zwischen Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit?

3. Besteht ein Leistungsanspruch während einer beruflichen Wiedereingliederung?

4. Schließen sich Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit gegenseitig aus?

5.  Was versteht man unter einer Anwartschaftsversicherung?

6. Was passiert, wenn der Versicherer die Krankentagegeldversicherung beendet mit der Begründung, es liege Berufsunfähigkeit vor?

7. Was ist zu unternehmen, wenn aus meiner Sicht keine Berufsunfähigkeit vorliegt?

8. Sollte man die Anwartschaftsversicherung dennoch abschließen?

9. Kann der Versicherer trotz Zahlung des Krankentagegeldes im Nachhinein die Notwendigkeit der medizinischen Heilbehandlung bestreiten?

10. Was versteht man unter der sogenannten Wohnsitzklausel und ist diese wirksam?

11. Entfällt der Anspruch auf Krankentagegeld, wenn der BU-Versicherer nur vorübergehend und aus Kulanz Leistungen erbringen?

12. Führt der Eintritt in die Freistellungsphase zum Wegfall der KT-Versicherung?

13. Darf der Versicherer den Vertrag ordentlich kündigen, wenn Arbeitsunfähigkeit besteht und Krankentagegeld bezogen wird?

14. Wichtige Hinweise

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1. Darf ich während des Bezugs von Krankentagegeld in geringem Umfang arbeiten?

Arbeitsunfähigkeit setzt voraus, dass der Versicherte seine berufliche Tätigkeit vorübergehend nicht ausüben kann, sie auch tatsächlich nicht ausübt und er auch keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Das bedeutet, dass jede auch nur untergeordnete Tätigkeit den Anspruch auf Krankentagegeld aufhebt.

2. Worin besteht der Unterschied zwischen Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit?

Arbeitsunfähig ist, wer aus gesundheitlichen Gründen seine berufliche Tätigkeit vorübergehend in keiner Weise ausüben kann. Sie liegt nur dann vor, wenn die Einschränkung zu 100 Prozent besteht und die Tätigkeit auch nicht ausgeübt und auch keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen wird (§ 1 Abs. 3 MB/KT 2009). Berufsunfähigkeit liegt nach liegt dagegen vor, wenn die versicherte Person im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig ist. Hier ist die Prognose erforderlich, dass mit einer Besserung des Gesundheitszustands nicht mehr zu rechnen ist (§ 15 Abs. 1 lit. b MB/KT 2009). 

3. Besteht ein Leistungsanspruch während einer beruflichen Wiedereingliederung?

Das ist regelmäßig nicht der Fall. Eine Arbeitsunfähigkeit setzt vorübergehend eine vollständige Aufhebung der Erwerbstätigkeit voraus (siehe Ziffer 3). Geht der Versicherte im Rahmen einer Wiedereingliederungs-Maßnahme seiner beruflichen Tätigkeit zeitweise (und sei es zu Beginn nur für wenige Stunden) nach, so liegt keine einhundertprozentige Arbeitsunfähigkeit mehr vor mit der Folge, dass der Anspruch auf Krankentagegeld entfällt. Dies gilt selbst dann, wenn er während dieser Maßnahme kein Geld vom Arbeitsgeber bezieht und nur Krankengeld erhält, vgl. BGH, Urt. Vom 11.03.2015, Az. IV ZR 54/14.

4. Schließen sich Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit gegenseitig aus?

Die beiden Begriffe umschreiben zwei vollkommen unterschiedliche Lebenssituationen. Arbeitsunfähigkeit beschreibt eine nur vorübergehende, aber vollständige Unfähigkeit, der Erwerbstätigkeit nachzugehen. Berufsunfähig ist, wer voraussichtlich dauerhaft seiner beruflichen Tätigkeit zu mehr als der Hälfte des bisherigen Umfangs nicht mehr nachgehen kann.

5. Was versteht man unter einer Anwartschaftsversicherung?

Wird der Vertrag gekündigt oder endet dieser wegen des Eintritts von Berufsunfähigkeit, so ist der Versicherer verpflichtet, eine sog. Anwartschaftsversicherung anzubieten. Gegen eine geringe Prämie wird erreicht, dass der ursprüngliche Versicherungsschutz wiederhergestellt werden kann, wenn z.B. die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nicht länger bestehen. 

6. Was passiert, wenn der Versicherer die Krankentagegeldversicherung beendet mit der Begründung, es liege Berufsunfähigkeit vor?

Insbesondere bei einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit lassen Versicherer den Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig durch Einholung von Sachverständigengutachten beurteilen. Diese Gutachten werden von dem Versicherer in Auftrag gegeben und vergütet. Kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, es läge BU vor, wird der Versicherer den Vertrag beenden und die Leistungen einstellen.

7. Was ist zu unternehmen, wenn aus meiner Sicht keine Berufsunfähigkeit vorliegt?

Wendet der Versicherer ein, es länge bereits BU vor und erklärt die Vertragsbeendigung sowie die Leistungseinstellung, kann dies dramatische Folgen haben. Einerseits entfällt bei aktueller Arbeitsunfähigkeit spätestens nach drei Monate der Leistungsanspruch, die Einnahmen fallen weg und es ist offen, ob man überhaupt Leistungen wegen Berufsunfähigkeit erhält (was natürlich den Abschluss einer entsprechenden Versicherung voraussetzt). Darüber hinaus übersteigt das Krankentagegeld oftmals die Rentenleitungen einer BU-Versicherung erheblich. Aus diesem Grund sollte in dieser Konstellation immer anwaltliche Unterstützung in Anspruch genommen werden, damit das Gutachten als Grundlage für die Leistungseinstellung fachlich überprüft werden kann. Oftmals liegen die Voraussetzungen des Beendigungsgrundes nicht vor und das Krankentagegeld ist auch weiterhin zu leisten.

8. Sollte man die Anwartschaftsversicherung dennoch abschließen?

Die Anwartschaft sollte (nur) unter Vorbehalt abgeschlossen werden. Anderenfalls bestünde das folgende Risiko: In einem nachfolgenden Rechtsstreit wird die Berufsunfähigkeit bestätigt, diese entfällt jedoch später wieder. Aufgrund der Vorerkrankung wird der VR den Abschluss einer neuen KT-Versicherung ablehnen und die versicherte Person stünde ohne Versicherungsschutz für die Zukunft dar. Dies muss vermieden werden.

9. Kann der Versicherer trotz Zahlung des Krankentagegeldes im Nachhinein die Notwendigkeit der medizinischen Heilbehandlung bestreiten?

Hat der Versicherer über einen längeren Zeitraum das vertraglich veränderte Krankentagegeld gezahlt, ohne die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Personen Abrede zu stellen, gelten diese Zahlungen als Anerkenntnis des Versicherungsfalls, vgl. OLG Köln, Urteil vom 20.11.2018, Az. 2 S 7833/18.

10. Was versteht man unter der sog. Wohnsitzklausel und ist diese wirksam?

In vielen Bedingungen findet sich die Regelung, dass auch bei Arbeitsunfähigkeit keine Leistungspflicht des Versicherers besteht, wenn sich die versicherte Person war nicht an ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufhält. Diese Wohnsitzklausel soll selbst dann greifen, wenn ein Auslandsaufenthalt der Gesundheit förderlich gewesen sein sollte, vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urt. Vom 12.06.2019, Az. S 7833/18.

11. Entfällt der Anspruch auf Krankentagegeld, wenn der BU-Versicherer nur vorübergehend und aus Kulanz Leistungen erbringt?

Diese Konstellation ist für die versicherte Person riskant. Leistet der BU- Versicherer nur vorübergehend und aus seiner Sicht aus Kulanz, besteht parallel kein Anspruch auf Krankentagegeld. Dies hat das OLG Saarbrücken in seiner Entscheidung vom 14.03.2018 zum Az. 5 U 37/17 entschieden.

12. Führt der Eintritt in die Freistellungsphase zum Wegfall der KT-Versicherung?

Der Eintritt in die Freistellungsphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit führt nicht zum Wegfall der Voraussetzungen für die Versicherungsfähigkeit. Krankentagegeld, welches der Versicherer in dieser Phase geleistet hat, muss der Versicherungsnehmer nicht zurückgewähren. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.11.2019, Az. IV ZR 314/17 entschieden.

13. Darf der Versicherer den Vertrag ordentlich kündigen, wenn Arbeitsunfähigkeit besteht und Krankentagegeld bezogen wird?

Das ist tatsächlich möglich, jedoch nur innerhalb der ersten drei Vertragsjahre zum Ende eines jeden Versicherungsjahres mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten. Ausgeschlossen ist dies nur dann, wenn ein gesetzlicher Anspruch auf einen Beitragszuschuss des Arbeitgebers besteht.  Soweit die Bedingungen eine Beendigung auch für sog. Schwebende Versicherungsfälle vorsieht (z.B. Leistungspflicht endet spätestens 30 Tage nach Beendigung), ist dies wirksam, vgl. BGH, Urt. Vom 11.01.2017, Az. IV ZR 152/16.

14. Zusammenfassung und wichtiger Hinweis

Zwar werden von dem Verband der privaten Krankenversicherung Musterbedingungen herausgegeben, z.B. die MB/KT 2009. Die Versicherer sind jedoch nicht verpflichtet, diese zu übernehmen. Dies hat zur Folge, dass den Verträgen regelmäßig neben den Musterbedingungen die Tarifbedingungen des jeweiligen Versicherers / Tarifs zugrunde liegen. Einheitliche Regelungen bestehen daher nicht. Hier wurden die MB/KT zugrunde gelegt. Wichtig ist daher, stets die jeweiligen, Ihrem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungen zu prüfen.


Kompetenz im Versicherungsrecht

Aufgrund meiner Erfahrung und langjährigen Tätigkeit als Fachanwältin für Versicherungsrecht auf Seiten der Versicherungsnehmer stehe ich Ihnen bundesweit für eine fachkundige Überprüfung und Durchsetzung Ihrer Leistungsansprüche gern zur Seite.


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