Desaster im Millionenprozess für die Stadtsparkasse München - Richterin ist fassungslos
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Ein aufsehenerregender Schadensersatzprozess eines Kunden gegen die Stadtsparkasse München führte am 28.07.2021 zu einem Desaster für die Stadtsparkasse. Bei der Zeugenbefragung vor dem Landgericht München verstrickten sich die Kundenbetreuer der Stadtsparkasse in so viele Widersprüche, dass selbst die ruhig und sachlich agierende Vorsitzende Richterin deutlich ihr Unverständnis zum Ausdruck brachte.
1. Ausgangssituation
Die Stadtsparkasse München hatte nach ihren eigenen Angaben über 430 ihrer Kunden hochriskante Kapitalanlagestrategien mit sog. Optionsgeschäften angeboten. Bei derartigen Geschäften „wettet“ ein Kunde auf die zukünftige Wertentwicklung von z.B. Aktien, Währungen oder Rohstoffen, oder wie im streitgegenständlichen Fall auf die Entwicklung des Deutschen Aktienindex (DAX). Das Riskante bei Optionsgeschäften ist das ungleiche Chancen-/Risikoverhältnis. Der Kunde hat nur eine begrenzte eigene Gewinnchance. Er muss kein eigenes Geld einsetzen. Zu Beginn der Wette erhält er sogar eine kleine Prämie für die Option ausbezahlt. Wenn die Wertentwicklung, auf die er „wettet“, zu seinen Gunsten verläuft, kann er diese Prämie als Gewinn behalten. Wenn die Wertentwicklung zu seinen Lasten verläuft, verliert er die „Wette“. Es entsteht für ihn in diesem Fall aber ein Verlust, der bei einer besonders nachteiligen Entwicklung für den Kunden sogar in einer theoretisch unbegrenzten Höhe eintreten kann. Das besondere Risiko dieser Anlageform besteht also darin, dass nicht lediglich ein von einem Anleger eingesetztes Kapital verloren geht (Totalverlust). Wegen des unbegrenzten Verlustrisikos besteht ein reales existenzielles Risiko, bei dem ein Anleger nicht nur „Haus und Hof“ verlieren, sondern gegebenenfalls darüber hinaus noch hohe Schulden auftürmen kann. Aus diesen Gründen sind Optionsgeschäfte nur etwas für Finanzprofis. Für Privatanleger sind diese Geschäfte völlig ungeeignet, da es sich um höchst komplizierte Geschäfte handelt, deren Risiken sich für einen Privatanleger überhaupt nicht erschließen.
2. Eigenständiges Angebot der Stadtsparkasse
Dieses Risiko wurde nun einem Privatkunden der Stadtsparkasse zum Verhängnis. Der Kunde hatte stets Wert darauf gelegt, keine riskanten Anlagegeschäfte zu tätigen. In mehreren E-Mails an seinen Kundenbetreuer der Stadtsparkasse München kam dieser Wunsch zum Ausdruck. Trotzdem vermittelte im Jahr 2014 der Kundenbetreuer auf seine eigene Initiative dem Kunden ein Gespräch mit einem Optionshändler der Stadtsparkasse München. Die Erläuterungen des Optionshändlers in einem persönlichen Beratungsgespräch verharmlosten die Risiken von Optionsgeschäften und zeigten die angeblich bestehenden großen Chancen bei Optionsgeschäften auf. Der Optionshändler der Stadtsparkasse München hatte in dem lediglich eineinhalb Stunden dauernden Beratungsgespräch dem Kunden höchst oberflächlich die Risiken von Optionsgeschäften dargestellt und ihm eine „Optionsstrategie“ mit einem Rechenbeispiel aufgestellt. Da das positive Beispiel für den Kunden „verlockend“ war und in diesem Beispiel keinerlei Risiken dargestellt wurden, entschloss der Kunde sich im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Darstellungen dazu, derartige Geschäfte abzuschließen. Zunächst verliefen die Geschäfte positiv.
3. „Absturz des DAX“ infolge der Corona-Pandemie
Infolge der Corona-Pandemie kam es im Februar/März 2020 zu großen Verwerfungen an den Weltbörsen. Der Dax fiel binnen weniger Tage auf einen seit Jahren nicht mehr erreichten Tiefstand. Selbst im Februar 2020, als die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltbörsen schon einsetzten, bot der Derivatehändler der Stadtsparkasse München dem Kunden weitere Optionsgeschäfte auf den DAX an.
Da die Optionsgeschäfte des Kunden der Stadtsparkasse München auf einen gleich bleibenden oder steigenden DAX ausgerichtet waren, verlor der Kunde innerhalb weniger Tage nicht nur ca. EUR 1,4 Mio., vielmehr ist sein bei der Stadtsparkasse München bestehendes Konto mit weiteren EUR 650.000,00 im Minus. Aufgrund des „Absturzes“ des DAX erlitt der Kunde einen Schaden von insgesamt ca. EUR 2 Mio..
4. Klageverfahren des Kunden
Die Stadtsparkasse München ist - wie andere Banken auch - gesetzlich verpflichtet, bei Anlagegeschäften nach strengen Vorgaben die Risikobereitschaft eines Kunden zu berücksichtigen. Es dürfen ausschließlich Produkte angeboten werden, die ein Kunde verstehen kann und deren Risiken mit seiner Risikobereitschaft übereinstimmen.
Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hatte die Stadtsparkasse München nun behauptet, der geschädigte Kunde habe nicht nur nach dem Beratungsgespräch alle Chancen und Risiken derartiger Geschäfte verstanden, er habe sogar von sich aus den Abschluss dieser Geschäfte gewollt. Der Kunde sei risikofreudig gewesen, habe quasi freiwillig seine Existenz aufs Spiel setzen wollen. Die E-Mails, mit denen der Kunde seinen Wunsch nach sicheren Anlagegeschäften zum Ausdruck brachte, seien bei der Stadtsparkasse München nicht aufzufinden, deren Existenz wurde sogar ausdrücklich bestritten. Bankinterne Dokumente würden belegen, dass der Kunde beim Abschluss dieser Geschäfte gar nicht beraten werden wollte, dass die Geschäfte nach seinen Anweisungen erfolgt seien und die Stadtsparkasse München nur „ausführendes Organ“ gewesen sei.
5. Beweisaufnahme bei Landgericht München
Durch die Beweisaufnahme vor dem Landgericht München ist diese kundenfeindliche und wahrheitswidrige Prozessstrategie der Stadtsparkasse München krachend gescheitert. Aus den Aussagen der Kundenbetreuer der Stadtsparkasse München hat sich unmissverständlich ergeben, dass der Stadtsparkasse München das sicherheitsorientierte Anlageverhalten des Kunden völlig egal war. Ein Kundenbetreuer konnte nach Vorlage der E-Mails durch die Rechtsanwälte des Kunden sofort bestätigen, dass er diese E-Mails erhalten, aber trotzdem den Kontakt zum Derivatehändler hergestellt hatte, damit der Derivatehändler dem Kunden die hochriskanten Optionsgeschäfte anbieten konnte. Diese dokumentierte fehlende Risikobereitschaft wurde regelrecht „unter den Tisch gekehrt“. Der Kundenbetreuer der Stadtsparkasse München gab sogar ausdrücklich zu, dass der Kunde ihm gegenüber niemals zum Ausdruck gebracht habe, sein Risikoaverses Anlageverhalten aufgeben und mit höchstem Risiko anlegen zu wollen. Der Derivatehändler bot dem Kunden, der hinsichtlich Optionsgeschäfte keinerlei Kenntnisse und Erfahrungen hatte, sodann aktiv die hochriskanten Optionsgeschäfte an. Im Rahmen der Beweisaufnahme widersprachen sich nicht nur der Kundenbetreuer und der Derivatehändler in einer Vielzahl wesentlicher Punkte. Obwohl die Vorsitzende Richterin geduldig versuchte, die Widersprüche aufzuzeigen und aufzuklären, blieben die Kundenbetreuer bei ihren teilweise sogar unlogischen Aussagen.
So hatte ein Kundenbetreuer erklärt, er habe Informationen über den Kunden aus einem Dokument entnommen, von dem er unmittelbar zuvor behauptet hatte, dieses Dokument überhaupt nicht gekannt, nicht einmal gesehen zu haben. Ein anderer Kundenbetreuer erklärte, er habe ein elektronisches Dokument mit Kundenangaben aus dem Beratungsgespräch im Nachhinein verändert. Deswegen sei sein Name als Berater auf diesem elektronischen Dokument automatisch übernommen worden sei. Er erklärte ausdrücklich, dass zu diesem Zeitpunkt der Kunde gar nicht mehr anwesend gewesen und auch später nicht mehr in die Filiale zurückgekommen sei. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, wie denn dann die tatsächlich vorhandene Unterschrift des Kunden auf den Ausdruck dieses elektronischen Dokuments gekommen sei, blieb der Kundenbetreuer jegliche Antwort schuldig.
6. „Fassungslosigkeit“ bei der Vorsitzenden Richterin
Diese und weitere Widersprüche der Aussagen der Kundenbetreuer veranlassten die Vorsitzende Richterin sodann zu der Äußerung einer „Fassungslosigkeit“. Aussageverhalten, Widersprüche und jeglicher Logik entbehrende Aussagen seien ihr in dieser geballten Form noch nicht untergekommen. Kundenbetreuer und Derivatehändler verstrickten sich in so eklatante Widersprüche, wie es selbst der Rechtsanwalt der Stadtsparkasse München nach eigener Aussage noch nicht erlebt hatte.
Am Ende der Beweisaufnahme deutete die Vorsitzende Richterin unmissverständlich an, dass sie die Stadtsparkasse München vollumfänglich zum Schadensersatz verurteilen werde. Angesichts dieser eindeutigen Gesamtsituation regte die Vorsitzende Richterin -gerichtet an den Prozessbevollmächtigten der Stadtsparkasse München - den dringenden Appell, dem klagenden Kunden ein Vergleichsangebot zu unterbreiten, damit es nicht zu einem Urteil komme. Da ein Urteil auf ihrer tatrichterlichen Beweiswürdigung beruhen werde, sei dies für die Stadtsparkasse München auch kaum mit einer Berufung zum Oberlandesgericht München angreifbar. Sollte es zu keinem nachträglichen Vergleich kommen, wird ein Urteil für den 22.09.2021 erwartet.
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