Die Anwaltshaftung - Der Anwaltsregress ; 1. Teil

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Teil 1: Die Anwaltshaftung

I. Ausgangslage

Anwaltshaftung aufgrund von Anwaltsfehlern ist keine Ausnahmesituation mehr.

Kaum ein Kläger, dem bei einer Klageabweisung und Auferlegung der Kosten durch das angerufene Gericht nicht Zweifel an der Kompetenz seines prozessualen Vertreters erwachsen, kaum ein Beklagter, bei dem dieser Verdacht angesichts einer Verurteilung nicht ebenfalls aufkommt.

 „Mein Anwalt hat Mist gebaut" lautet dann die gängige Umschreibung des Mandanten. Aus seiner Sicht ist der Anwalt - und nur er - für das weit hinter seiner Erwartung liegende Ergebnis verantwortlich.

Nicht nur ein durch Medien geschärftes öffentliches Bewusstsein steht den Ergebnissen anwaltlicher Tätigkeit zunehmend kritischer gegenüber. Auch die Fülle von gesetzlichen Neuregelungen, die Verordnungswut untergeordneter staatlicher Stellen, die Abänderungen bisher als richtig Erkanntem aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung und der zunehmende Einfluss von EU-Recht auf die Anwendung und Auslegung nationalen Rechts lassen bei jedem interessierten Laien (... und erst recht bei Juristen...) berechtigte Zweifel aufkommen, ob es tatsächlich den „Super-Anwalt" gibt, der nicht nur die aktuelle Gesetzeslage und dazu ergangene Rechtsprechung nahezu allwissend beherrscht, sondern auch noch über hellseherische Fähigkeiten zur unverzüglichen Reaktion auf überraschende bzw. nach Ausgangslage unvorhersehbare Prozessentwicklungen verfügt, um seinem Mandanten bei dessen Rechtsproblem zu optimalen Ergebnissen zu verhelfen, ohne dabei den sichersten Weg zu verlassen.

Die Rechtsprechung hat der Anwaltschaft durch entsprechende Urteile eine Vielzahl von Pflichten aufgezeigt, deren Verletzung im Einzelfall zu einem Schadensersatzanspruch des Mandanten führen kann. Diese umfassen nicht nur die sich unmittelbar aus dem Anwaltsvertrag ergebenden Hauptpflichten, sondern vielfältige Nebenpflichten, die dem eigentlichen Mandatsverhältnis z. T. vorgelagert sind, z. T. auch noch nach dessen Beendigung Wirkung entfalten und eine Haftung gem. § 280 BGB wegen Schlechterfüllung des Geschäftsbesorgungsvertrags aus § 675 BGB (als welcher der Anwaltsvertrag regelmäßig angesehen wird) begründen.

Man wird im Schadensfall dennoch kaum einem/r Berufskollegen oder -kollegin den persönlichen Vorwurf machen können, die Pflichten gegenüber dem Mandanten leichtfertig oder gar bedingt vorsätzlich verletzt zu haben. Die Fülle der aufgrund Fristvorgaben parallel abzuarbeitender Mandate lassen es nicht zu, sich der schwerpunktmäßigen juristischen Aufarbeitung eines Falles nach vorgegebenen Zeitplänen und Arbeitsabläufen zu widmen, vielmehr ist situative Problembewältigung gefordert, um im Arbeitsalltag zu bestehen.

Bei einem versachlichten Verständnis dieser Spannungssituation ist der Schaden, den ein Mandant infolge Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages erleidet, die Verwirklichung eines Risikos, welches - gottseidank - durch die Berufshaftpflicht-Versicherung des Rechtsanwalts bei Vorliegen von Haftung und Deckung übernommen wird - eine Art „Betriebsunfall" halt, dessen Eintritt jeder Verantwortliche nach besten Kräften zu verhindern versucht, aber niemals völlig ausschließen können wird.

Die Aufbereitung des Themas durch Rechtsprechung und Literatur ist vielschichtig und umfangreich. Es wird u. a. auf die exzellenten Zusammenfassungen von Frau Rechtsanwältin Antje Jungk, Allianz München, zum Thema „Anwaltspflichten und Anwaltshaftung"

(http://anwaltverein.de/downloads/praxis/anwalt/anwaltspflichten-und-anwaltshaftung.pdf) sowie einem Klassiker zum Thema Anwaltshaftung (Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2014, Verlag Beck) verwiesen.

Eine Checkliste ist dem gegenüber wegen der Vielzahl möglicher Fallkonstellationen nicht vorzeigbar. Nachfolgend sollen deshalb lediglich die Eckpunkte aufgezeigt werden, um eine erste Orientierung zu ermöglichen.

II. Die wesentlichen Anwaltspflichten...

....lassen sich wie folgt skizzieren:

1. Pflichten bei der Mandatsanbahnung

Wird dem Anwalt die Übernahme eines Mandats angetragen, hat er sich unverzüglich zu entscheiden, ob er dieses annimmt oder ablehnt und dies dem potentiellen Mandanten gegenüber bekanntzugeben. Dies folgt aus § 44 BRAO. Dem potentiellen Mandanten soll bei Ablehnung die Möglichkeit gegeben werden, einen anderen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu betrauen. Verletzt der ursprünglich kontaktierte Anwalt seine Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe seiner Ablehnung durch zu langes Zuwarten, ist es u.U. verpflichtet, die dem potentiellen Mandanten z. B., durch Verjährung erwachsenen Nachteile zu ersetzen.

Wird das Mandat angenommen, muss der Anwalt noch am selben Tag prüfen, ob und ggf. welche Maßnahmen zur Rechtswahrung ergriffen werden müssen, z. B. Einspruch gegen ein Versäumnisurteil innerhalb laufender Einspruchsfrist, Einreichung eines Mahnbescheides zur Verjährungshemmung, Erhebung einer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gem. § 4 ArbGG usw.

Entschuldigungsgründe für nicht ergriffene Maßnahmen werden von der anwaltlichen Regressrechtsprechung äußerst restriktiv gehandhabt. Bei umfangreichen Unterlagen hat eine zumindest kursorische Durchsicht zu erfolgen. Bei Unklarheiten muss, soweit noch möglich, bei Gericht nachgefragt werden, um z. B. die Zustellung eines VU in Erfahrung zu bringen.

2. Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung

Hat der Anwalt das Mandat angenommen, muss er zunächst für eine möglichst umfangreiche Sachverhaltsaufklärung des für die weitere Vorgehensweise relevanten Sachverhalts sorgen. Der Mandant als juristischer Laie wird dabei den Sachverhalt in der Regel so schildern, wie er ihn erlebt hat, also manche Umstände, die letztlich juristisch unergiebig sind, überbetonen und andere, wichtige Aspekte völlig außer Acht lassen oder nur nebenbei erwähnen.

Kunst, aber auch Anwaltspflicht ist es, beim Mandanten den zur rechtlichen Beurteilung notwendigen Sachverhalt herauszufragen und hierzu evtl. weiter vorhandene Unterlagen anzufordern. Sollten sich dabei während der weiteren Zusammenarbeit neue Aspekte ergeben, sind diese zu hinterfragen und die Erkenntnisse entsprechend einzubringen.

3. Die Rechtsprüfung

Die in der Sachverhaltsaufklärung gewonnenen Erkenntnisse sind anschließend einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Ausgangspunkt sind zunächst die gesetzlichen Grundlagen, auch wenn sie sehr verborgen liegen, z. B. bestimmte Verordnungen etc. Der Rechtsanwalt muss ebenfalls die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts kennen, da diese zum deutschen Recht gehören, ebenso internationale Verträge und Abkommen sowie das Recht der Europäischen Gemeinschaft - oder sich hierzu rechtzeitig klug machen. Demgegenüber kann die Kenntnis ausländischen Rechts nicht gefordert oder unterstellt werden.

Weiter gehört die Kenntnis der Rechtsprechung zu den das Mandat betreffenden Rechtsproblemen zum Grundwortschatz der Anwaltspflichten. Der BGH verlangt dabei die Berücksichtigung sämtlicher in den gängigen Fachzeitschriften veröffentlichter Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe innerhalb kürzester Zeit. Liegen solche noch nicht vor, muss man als Anwalt sogar die einschlägigen Entscheidungen der Oberlandesgerichte kennen.

Im Übrigen sollte der Anwalt die in den Fachzeitschriften und Kommentaren zu dem einschlägigen Rechtsgebiet veröffentlichte Literatur kennen.

4. Die Rechtsberatung und Interessenwahrnehmung

a. Die Erkenntnisse über die aus dem Sachverhalt gewonnenen Rechtslage müssen sodann dem Mandanten in einer für diesen verständlichen Form nahe gebracht werden. Der Rechtsanwalt soll dem Mandanten die Entscheidung nicht abnehmen, sondern ihn lediglich in die Lage versetzen, dass dieser die Entscheidung über das weitere Vorgehen selbständig treffen kann, nachdem er über die rechtlichen Konsequenzen seines Handelns, die Chancen und Risiken, auf einer seiner individuellen Verständnisebene entsprechenden Art aufgeklärt worden ist und er diese Zusammenhänge begriffen hat.

Die Verpflichtung zur Rechtsberatung geschieht lediglich hinsichtlich der innerhalb des Mandats liegenden Rechtspositionen bzw. deren möglicher Veränderungen. Belehrungspflichten können jedoch zu am Rande des Mandats liegenden Problemen bestehen, insbesondere kann es eine Hinweispflicht auf Verjährungsfristen, Hinweispflicht auf tarifvertragliche Ausschlussfristen usw. geben.

b. Eine der wesentlichsten mit der Mandatsübernahme einhergehenden Anwaltspflichten liegt in der Überwachung und Wahrung von Verjährungs-, Ausschluss- und prozessualer Fristen. Deren Kenntnis und Einhaltung gehört zur Grundausrüstung anwaltlicher Betätigung. Eine Verletzung birgt hohe Haftungsrisiken.

c. Sicherung von Rechtspositionen

Von Mandatsbeginn an muss der Rechtsanwalt -neben der Fristwahrung- darauf achten, dass die Rechtspositionen des Mandanten gewahrt bleiben. Dies kann dazu führen, dass er zur Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes raten muss. Nach Abschluss der Gerichtsverfahrens hat er auf die Möglichkeit der verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung bzw. des Vollstreckungsschutzes hinzuweisen.

d. Prozessführung

Der Anwalt muss vor Beginn des Prozesses die Prozessaussichten prüfen und insbesondere auch von der Führung eines aussichtslosen Prozesses abraten. Auf das Kostenrisiko muss er grundsätzlich nicht hinweisen. Im gerichtlichen Verfahren muss er die für den Mandanten günstigen Tatsachen vollständig und rechtzeitig vortragen sowie die erforderlichen Beweise anbieten. Für den Anwalt bedeutet dies die Verpflichtung, den Streitstoff bereits in der ersten Instanz umfassend aufzubereiten, da ansonsten Präklusion droht.

Soweit der Mandant selbst etwas veranlassen muss, ist er auf die Folgen des Unterlassens eindringlich hinzuweisen, z. B. darauf, dass die verspätete Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses zu einer Verzögerung der Zustellung der Klage führt und dadurch die Verjährung des Anspruchs eintreten kann.

Stellt sich bei Klageerhebung oder im Verlauf des Prozesses heraus, dass eine Inanspruchnahme weiterer (möglicher) Anspruchsgegner in Betracht kommt, sind diese durch Klageerhebung gegen diese einzubinden. Dasselbe gilt, wenn erst Ausgang des Rechtsstreits die Inanspruchnahme Dritter bedingt. Diesen ist der Streit zu verkünden.

Die Prozessführung selbst wird sich sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite an einer bestmöglichen Vertretung der Mandanteninteressen richten, setzt also einen „schlüssigen" Klagevortrag und eine Erwiderung voraus, die in erheblicher Weise geeignet ist, dessen Position zu entkräften. Beide Parteien werden bemüht sein, ihren Sachvortrag und die zugehörigen Beweisangebote dermaßen „dicht" zu gestalten, dass Nachreichungen und Ergänzungen in zweiter Instanz überflüssig werden, da andernfalls Präklusion droht. Vertiefender oder ergänzender Tatsachenvortrag wird die andere Seite in der Regel zwingen, Stellung zu nehmen, andernfalls das Gericht (bei Fehlen jeglicher Reaktion) von unstreitigem Sachvortrag ausgehen könnte.

Hinweisen des Gerichts ist nachzugehen, insbesondere wenn nicht zur Rechtslage allgemein, sondern auf noch fehlenden Tatsachenvortrag und/oder Beweisantritt hingewiesen wird.

Besonderheiten ergeben sich bei einem Vergleichsabschluss:

Gängige Überzeugung ist es, dass durch einen Vergleichsabschluss Rechtsfrieden zwischen den Parteien erzeugt wird und eine Inanspruchnahme des eigenen Anwalts deshalb nicht in Betracht kommt. Die Praxis sieht anders aus. Häufig wird gegen den Anwalt der Vorwurf erhoben, maßgeblich zu einem ungünstigen Prozessvergleich beigetragen zu haben, sei es durch unzutreffende Risikoeinschätzung (z. B. Verkennung der Rechtslage oder der Beweislast), sei es, den Mandanten unzureichend über den Inhalt und die Folgen eines Vergleichs aufgeklärt zu haben (insbes. bei Abfindungsvergleichen in Bezug auf mögliche Spätschäden, Verhältnis zu beteiligten Versicherungen etc.)

Sofern der Mandant im Verhandlungstermin persönlich nicht anwesend ist, darf der Anwalt einen Vergleich im Innenverhältnis nur abschließen, wenn er zuvor eine entsprechende Einwilligung, beispielsweise bis zu einem bestimmten Limit, eingeholt hat, andernfalls der Vergleich nur widerruflich geschlossen werden darf, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, die Vor- und Nachteile zu überdenken. Eine geänderte prozessuale Situation, z. B. nach einer Zeugenaussage, kann die vorherige Einwilligung  hinfällig machen.

Aber auch, wenn der Mandant bei dem Vergleichsabschluss zugegen ist, kann sich der Anwalt nicht ohne weiteres darauf berufen, der Mandant habe dem Vergleich ja in Kenntnis der Sach- und Rechtslage zugestimmt. Selbst wenn das Gericht einen entsprechenden Vergleichsvorschlag unterbreitet, entbindet dies den Anwalt nicht, auf  die Folgen, insbesondere den Umfang eines Verzichts, hinzuweisen.

Aus Anwaltssicht ist es in dieser Situation äußerst sinnvoll, das Gericht vor Vergleichsabschluss um einen entsprechenden Hinweis zu Protokoll zu bitten. Kaum ein Richter wird sich dem verschließen, zumal ihm die Problematik durchaus bewusst ist.

5. Belehrungspflichten bei Mandatsende

Ist das Mandat beendet, muss der Mandant auf etwaige noch laufende Verjährungsfristen hingewiesen werden, auch wenn die Ansprüche evtl. nur in mittelbarem Zusammenhang mit dem Mandat stehen.

Nach Abschluss einer Gerichtsinstanz endet dieses Mandat. Notwendig ist jedoch ein Hinweis auf die Möglichkeit von Rechtsmitteln sowie deren Fristen. Ein solcher Hinweis muss sich ebenso auf die Vollstreckbarkeit der Entscheidung ggf. auf die Möglichkeit des Vollstreckungsschutzes beziehen, soweit aus der Parteienrolle geboten.

Anmerkung: Die vorgenannten Punkte geben nur einen kleinen Überblick über die wesentlichen Anwaltspflichten, deren Verletzung zur Haftung führen kann, und sind keinesfalls abschließend. Bewusst wird daher auf die Darstellung weiter Problemfelder, wie z. B. Haftung für andere Personen über gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse, über das Mitwirken weiterer Rechtsberater sowie Angestellter und freier Mitarbeiter ebenso verzichtet wie die Darstellung der Verjährungsproblematik bei Schlechterfüllung.

Teil 2 wird sich mit dem eigentlichen Anwaltsregress und dessen besonderer Prozesslagen beschäftigen und in Kürze aufgelegt werden.


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