Die Haftung des Pferdehalters - am Beispiel des „Proberitts“

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Das Landgericht Ravensburg (LG Ravensburg, Urteil vom 5. September 2023 – 5 O 26/239) hat vor kurzem entschieden, dass der Kaufinteressent, der im Rahmen eines Proberitts verletzt wird, den Halter gem. § 833 BGB für den ihm entstandenen Schaden in Anspruch nehmen kann. Anhand dieses Urteils sollen im Folgenden die Voraussetzungen der Gefährdungshaftung nach § 833 BGB näher beleuchtet werden.


Die Voraussetzungen der Haftung des Pferdehalters nach § 833 BGB dem Grunde nach sind, dass:

  1. Die Verletzung Folge eines willkürlichen/selbstständigen Verhaltens des

Pferdes ist,

  1. Dem Reiter kein Fehlverhalten/risikobereites Verhalten vorzuwerfen ist,
  2. Der Halter sich nicht entlasten kann und
  3. Kein Haftungsausschluss anzunehmen ist.


1.

Von einem willkürlichen Verhalten des Pferdes ist immer dann auszugehen, wenn sich in diesem Verhalten gerade die Unberechenbarkeit/Selbstständigkeit der tierischen Natur widerspiegelt - bei Pferden also bspw. ein Ausbrechen, Bocken, Steigen, Losreißen, Durchgehen etc. Im Prozess ist ein solches Verhalten stets vom Geschädigten näher darzulegen und zu beweisen. Im konkreten Fall vor dem LG Ravensburg hatte die Klägerin den Halter des Verkaufspferdes darum gebeten, einen Proberitt im Gelände zu unternehmen, wobei das Pferd zu traben begann, im nächsten Moment jedoch ohne erkennbaren Grund durchging und unvermittelt die Richtung wechselte und die Klägerin abwarf. Für den gesamten Ablauf standen Zeugen zur Verfügung. Das Landgericht kam zunächst zu dem Schluss, dass sich die Tiergefahr realisiert hat bzw. im Ausbrechen/Durchgehen ein willkürliches Verhalten des Pferdes zu sehen ist.


2.

Ein solches tierisches Verhalten kann jedoch dann zu verneinen sein, wenn der Reiter das Verhalten des Pferdes veranlasst bzw. die Ursache selbst setzt. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Reiter durch bestimmte Hilfen/sonstige Einwirkung das Pferd zum Durchgehen/Bocken/Steigen/Ausbrechen „provoziert“, sodass nicht mehr die Selbstständigkeit/Unberechenbarkeit des Pferdes (ein für den Reiter nicht vorhersehbares Geschehen) im Vordergrund steht.

Seitens des (beweisbelasteten) Halters konnte im konkreten Fall kein solches Fehlverhalten/risikobereites Verhalten der Geschädigten nachgewiesen werden. Ein solches wäre hier z.B. dann anzunehmen gewesen, wenn die Reiterin das Pferd bewusst „fehlgelenkt“ bzw. selbstständig (falsche) Trab- bzw. Galopphilfen gegeben oder ihr eigenes reiterliches Können schlicht falsch eingeschätzt hätte. All dies konnte jedoch nicht nachgewiesen werden; insbesondere, da die Klägerin jahrelange Reiterfahrung besaß und sie sich das Pferd vor dem Proberitt auch lange hat zeigen und vorreiten lassen.


3.

Eine Entlastung des Halters, welche zum Ausschluss der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB führt ist grundsätzlich dann möglich, wenn:

  1. Das Tier ein Haustier darstellt, welches dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder
  2. Entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die erforderlichen

Sorgfaltspflichten beachtet hat oder der Schaden auch bei Beachtung dieser Sorgfaltspflichten entstanden wäre.


Die erforderlichen Sorgfaltspflichten sind dabei vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Zu berücksichtigen ist auch, ob der Pflichtverstoß des Halters mit der eingetretenen Verletzung im unmittelbaren Zusammenhang steht (Kausalität). Dies zu widerlegen bzw. zu beweisen, dass die Sorgfaltspflichten eingehalten wurden, ist wiederum Sache des Tierhalters. Im konkreten Fall vor dem LG Ravensburg hätte der Tierhalter eine bessere Beaufsichtigung und Kontroll-/Einwirkungsmöglichkeit auf das Pferd gewährleisten, zumindest aber die Reiterin auf etwaige Gefahren hinweisen müssen. Entsprechendes wurde hier jedoch nicht getan, sodass sich der Halter nicht entlasten konnte.


4.

Ferner gibt es Konstellationen, in welchen die Haftung ausgeschlossen ist. So z.B.

a. Beim Handeln auf eigene Gefahr

b. Bei einem (vertraglichen oder konkludenten) Haftungsausschluss


a.

Ein Handeln auf eigene Gefahr kommt in Fällen unter Beteiligung von Tieren nur dann in Betracht, wenn sich der Geschädigte einer besonderen Tiergefahr ausgesetzt hat, die über die gewöhnliche Tiergefahr hinausgeht, beispielsweise wenn ein Reiter ein Pferd übernimmt, das erkennbar bösartiger Natur ist oder erst ein-/angeritten werden muss oder wenn der Ritt seiner Art nach besonders gefährlich war (z.B. Jagd, Springen). Erforderlich für die Annahme eines Handels auf eigene Gefahr ist zudem, dass dem Reiter die besondere Gefährlichkeit bewusst ist. Im hier vorliegenden Fall hat zwar die Klägerin selbst einen Proberitt ins Gelände veranlasst, allerdings reicht weder dies noch ein etwaiges selbstständiges Antraben aus, ein Handeln auf eigene Gefahr zu bejahen. Denn immer, wenn ein Reiter auf ein Pferd aufsteigt, setzt er/sie sich bewusst dem unberechenbaren Verhalten des Tieres und den damit einhergehenden Gefahren aus - ein Unterschied zwischen Ausritt und „gewöhnlichen Ritt“ kann also nur dann bestehen, wenn sich der Reiter im Einzelfall besonderen Risiken aussetzt. Etwas anderes wäre mit dem Grundgedanken des § 833 BGB nicht vereinbar, da sich jeder Reiter beim Aufsteigen freiwillig dem Risiko der Unberechenbarkeit des Pferdes aussetzt. Da es im konkreten Fall auch keine Anhaltspunkte dafür gab, dass das Pferd von Natur aus besonders widersetzlich, bösartig o.Ä. war, war auch aus diesem Grund keine „erhöhte Tiergefahr“ anzunehmen, welcher sich die Klägerin bewusst ausgesetzt hätte und welche einen (gänzlichen) Ausschluss der Haftung begründen könnte. Allerdings kann Entsprechendes im Rahmen des Mitverschuldens (dazu sogleich) zu berücksichtigen sein.


b.

In Frage kommt grundsätzlich auch ein vertraglicher oder konkludenter Haftungsausschluss. Während ein vertraglicher Haftungsausschluss ausdrückliche Erklärungen der Parteien voraussetzt, ist ein konkludenter Haftungsausschluss „leichter“ zu bejahen. Dabei wird jedoch zu verlangen sein, dass Umfang und Bedeutung der Risikoverlagerung dem Geschädigten deutlich vor Augen geführt werden. Wird z.B. ein sog. Gefälligkeitsverhältnis (also keinerlei vertragliche Bindung) zwischen Halter und Reiter angenommen, so muss für die Annahme eines Haftungsausschlusses die Überlassung des Pferdes im besonderen Interesse des Geschädigten selbst gelegen haben; denn in einem solchen Fall ist anzunehmen, dass der Geschädigte wohl auf die Haftung verzichtet hätte, wäre er/sie gefragt worden. Auch das Vorliegen einer Haftpflichtversicherung spielt hier eine Rolle und spricht bejahendenfalls gegen einen Haftungsverzicht. Im Fall des LG Ravensburg war die Haftung weder vertraglich ausgeschlossen, noch war ein konkludenter Haftungsausschluss anzunehmen; denn der Proberitt diente offensichtlich den Interessen beider Parteien.


Was die Haftung der Höhe nach betrifft, so ist, sofern dem Halter nicht ein (weitergehendes) Verschulden vorzuwerfen ist, ein eventuelles Mitverschulden des Geschädigten selbst zu berücksichtigen. Ein relevanter Beitrag des Geschädigten zur Schadensentstehung liegt dann vor, wenn dieser eine Situation mit erhöhter Verletzungsgefahr durch sein/ihr Verhalten herbeigeführt hat und diese Gefahr erkennen und vermeiden konnte (z.B. Reitfehler). Im hier zitierten Fall war zwar die Übernahme des Pferdes für einen Proberitt als solche nicht „vorwerfbar“; allerdings zeigte sich das Pferd bereits beim Verlassen des Stalles „spannig“ und nervös. Vor dem Hintergrund, dass die Reiterin weder Pferd noch Gelände kannte, zugleich wusste, dass keine Einwirkungsmöglichkeit Anderer gegeben war, dennoch den Ritt fortsetzte und (jedenfalls) traben wollte, nahm das Landgericht ein Mitverschulden in Höhe von 30% an. In dieser Höhe war der Anspruch der Klägerin daher zu kürzen.


Das Urteil des LG Ravensburg zeigt wieder einmal deutlich, dass es im Rahmen der Tierhalterhaftung stets auf den jeweiligen Einzelfall ankommt. Wir kennen uns mit Pferden aus, verfügen über die entsprechende reiterliche Expertise und können auch entsprechende Mithaftungsquoten im Vorfeld abschätzen. Sollten Sie sich in einer solchen oder ähnlichen Situation befinden und Beratungsbedarf haben, zögern Sie nicht und kontaktieren Sie uns gerne.



Elena Rexer

Rechtsanwältin


Stuttgart, November 2023


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