Die „konzernübergreifende Haftung“ im VW-Abgasskandal

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Nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals im Herbst 2015 waren die deutschen Gerichte bisher hauptsächlich mit Klagen geschädigter Autoverkäufer beschäftigt, in deren Fahrzeug ein Motor des Typs EA 189 verbaut war. Nach und nach rücken nun auch die 3.0 Liter-Dieselmotoren, hergestellt von der VW-Konzerntochter Audi, in den Fokus der gerichtlichen Schadensersatzprozesse. Nicht geklärt war bisher, ob die Volkswagen AG als Konzernmutter auch für Fahrzeuge oder Motoren haftet, die nicht unmittelbar von ihr, sondern einer Konzerntochter (z. B. Audi AG) hergestellt wurden.

Seit einigen Monaten erhalten Autofahrer, die ein Fahrzeug mit einem 3.0 Liter-Dieselmotor besitzen, eine schriftliche Mitteilung ihres Autoherstellers darüber, dass an ihrem Fahrzeug aufgrund eines angeordneten Rückrufs ein Software-Update vorgenommen werden muss. Die Motorsteuerung der 3.0 Liter-Dieselmotoren sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen. Darüber hinaus enthielten die Fahrzeuge eine Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters, durch das die Abgasrückführung temperaturabhängig in unzulässiger Weise gesteuert würde.

Oberlandesgericht Karlsruhe kündigt Sachverständigengutachten zu 3.0 l TDI-Motor (Euro5) an

Der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe hat jetzt in aktuellen Verfahren gegen die Volkswagen AG in einem Hinweisbeschluss vom 22.08.2019 angekündigt, ein Sachverständigengutachten zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem 3.0 Liter-Dieselmotor einholen zu wollen. Auch müsse die Volkswagen AG noch detailliert darlegen, inwieweit das Thermofenster zur Regulierung der Abgasrückführung ausnahmsweise zum Schutz des Motors zulässig sei. Die Kläger im Verfahren, Käufer eines Audi Q5 V6 3.0 l TDI (176 kW) und Audi A4 3.0 l TDI (180 kW), hatten unmittelbar die Volkswagen AG und nicht die Konzerntochter Audi AG auf Schadensersatz verklagt.

Nachdem die Landgerichte Heidelberg und Karlsruhe die Klagen in erster Instanz abgewiesen haben, hat das OLG Karlsruhe darauf hingewiesen, dass eine direkte Haftung der Volkswagen AG in Betracht kommt, auch wenn sie nicht Herstellerin des jeweiligen Fahrzeugs oder des 3.0 Liter-Dieselmotors sei.

Die Karlsruher Richter bestätigen damit ihre Entscheidung im Urteil vom 18.07.2019, Az.: 17 U 160/18. Hier hatte das Gericht ausgeführt, der Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer größeren Anzahl von Fahrzeugen des gesamten Volkswagen-Konzerns verbaut wird, eine sittenwidrige Entscheidung der Volkswagen AG ist.

„Der Hinweisbeschluss der Karlsruher Richter ist zu begrüßen“, erläutert Rechtsanwalt Dirk Sinnig von der Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig, die bundesweit tausende Verbraucher gegen den Volkswagen-Konzern vertritt. „Bisher haben sich die Gerichte schwergetan, eine Haftung der Volkswagen AG anzunehmen, wenn der Motor oder sogar das gesamte Fahrzeug von einer Konzerntochter hergestellt wurde. Eine „konzernübergreifende Haftung“ der Volkswagen AG als Konzernmutter ist im Hinblick auf den Verbraucherschutz ein wichtiger Schritt.“

Rechtsanwalt Sinnig führt weiter aus: „Das in den betroffenen Fahrzeugen unstreitig vorzufindende Thermofenster zur Abgasregulierung kann in Ausnahmefällen zulässig sein. Für die entscheidende Frage, ob das Thermofenster zum Schutz des Motors erforderlich ist und damit eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist nach dem Hinweis der Karlsruher Richter die Volkswagen AG beweispflichtig. Auch hier werden die Rechte der betroffenen Autofahrer gestärkt, denn dem einzelnen Verbraucher ist es schlichtweg nicht möglich darzulegen, ob ein in seinem Fahrzeug verbautes Thermofenster dem Schutz seines Motors dient oder nicht.“

Jetzt Fahrzeug mit VW-Motor auf Schadensersatz prüfen lassen

Der Beschluss des OLG Karlsruhe sollte Autofahrern, die ein Fahrzeug des Volkswagen-Konzerns mit einem 3.0 Liter-Dieselmotor besitzen, Mut machen, bestehende Schadenersatzansprüche anwaltlich prüfen und gerichtlich durchsetzen zu lassen. Bestand zum Zeitpunkt des Autokaufs eine Verkehrsrechtsschutzversicherung, ist eine Rechtsverfolgung in den meisten Fällen auch ohne eigenes wirtschaftliches Risiko möglich. Viele Anwaltskanzleien bieten hierzu eine kostenlose und unverbindliche Ersteinschätzung an. „Das Bestehen von Schadensersatzansprüchen sollte in jedem Einzelfall anwaltlich geprüft werden“, erklärt Rechtsanwalt Sinnig. „Den betroffenen Autobesitzern ist daher anzuraten, sich von spezialisierten Anwälten beraten und vertreten zu lassen.“


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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