Abgasskandal: EuGH verschärft Haftung der Hersteller erheblich

  • 3 Minuten Lesezeit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat es Autokäufern erheblich erleichtert, Schadenersatz gegen Hersteller im Abgasskandal zu erlangen (Urteil vom 21.03.2023, Rechtssache C-100/21).  Für eine Haftung der Hersteller ist es laut EuGH ausreichend, dass das gekaufte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist und der Hersteller hinsichtlich dessen Einbaus fahrlässig handelte. Dies erleichtert es betroffenen Autokäufern immens, einen Schadenersatz gegen Hersteller durchzusetzen.

Schadenersatz bereits bei fahrlässigem Verhalten des Herstellers

Laut EuGH haften die Hersteller bereits gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG1 und Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgrund fahrlässigen Verhaltens. D. h., die Hersteller müssen sich bereits ein nachlässiges Verhalten bei der unzulässigen Gestaltung des Fahrzeugs anlasten lassen und bereits dafür Schadenersatz leisten. Die erteilte Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug (Certificate of Conformity) soll den  einzelnen Käufer schützen bzw. ihm garantieren, dass das Fahrzeug vorschriftsmäßig hergestellt ist. Hingegen hatte der BGH für eine Haftung bislang ein vorsätzliches und sittenwidriges Handeln der Hersteller (vgl. § 826 BGB) eingefordert. Damit schied eine Haftung je nach Funktion der Abschalteinrichtung bzw. den fehlenden Erkenntnissen zur Kenntnis des Vorstands aus. Nunmehr wird man es für eine Haftung als ausreichend ansehen müssen, dass das Fahrzeug eine von der Typgenehmigung abweichende, unzulässige Funktion aufweist (z. B. eine Abschalteinrichtung) und der Hersteller, also dessen Vorstand und verantwortliche Mitarbeiter diesbezüglich fahrlässig handelten.

Berechnung des Schadenersatzes

Der EuGH hat keine konkreten Angaben gemacht, wie der Schadenersatz zu berechnen ist. Dies ist Aufgabe der befassten (deutschen) Gerichte. Der EuGH verweist allerdings darauf, dass die rechtlichen Vorgaben es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. Nach deutschem Recht wird man eine Rückabwicklung des Kaufs bzw. eine Zahlung in Gestalt des Minderwertes in Betracht ziehen müssen.

Urteil mit Breitenwirkung

Das Urteil des EuGH ist ein Tiefschlag für die Autohersteller, die unzulässige Abschalteinrichtungen in (Diesel-)Fahrzeuge verbaut haben. Nunmehr kommt ein Schadenersatz auch bei solchen Fahrzeugen in Betracht, die über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügen, die sowohl auf dem Prüfstand als auch im täglichen Fahrzeugbetrieb gleichermaßen funktionieren. Dies betrifft insbesondere Fahrzeug der Marke Mercedes Benz, Audi und Porsche mit Thermofenstern als auch Fahrzeuge der Volkswagen AG mit dem Motor EA 288. Ebenso müssen sich nunmehr auch andere Hersteller auf erfolgversprechende Klagen wegen Schadenersatz einstellen.

Der Streitfall

Im Streitfall klagte ein Käufer eines Mercedes Benz Typ C 220 CDI der Schadstoffklasse Euro 5 mit der Motorbezeichnung OM 651 vor dem Landgericht Ravensburg gegen die Mercedes Benz Group AG (vormals Daimler AG) auf Schadenersatz. Bei dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung bei kühleren Außentemperaturen reduziert (sogenanntes „Thermofenster“). Dies führt zu einem höheren Ausstoß an Stickstoffoxid. Das Landgericht Ravensburg hatte im Jahr 2021 beim EuGH ein Vorlageverfahren eingeleitet und u. a. die Rechtsfrage zur Entscheidung unterbreitet, ob die europäischen Vorschriften über die Typgenehmigung der Fahrzeuge und die Abgasvorschriften Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB sind und deshalb Käufer Schadenersatz für vorschriftswidrige Fahrzeuge beanspruchen können.

Der BGH wird am 08.05.2023 verhandeln und danach verkünden, welche konkreten Konsequenzen aus dem nun ergangenen EuGH-Urteil für deutsche Gerichte zu ziehen sind (vgl. BGH, Az. VIa ZR 335/21).

Die Veröffentlichung des EuGH-Urteils steht noch aus. Derzeit liegt die Pressemitteilung Nr. 51/23 des EuGH vor.


Rechtsanwalt Philipp Neumann befasst sich seit dem Jahr 2016 mit Haftungsprozessen gegen Fahrzeughersteller aus Anlass des Abgasskandals und hat bereits mehrere Urteile gegen Hersteller zugunsten von Autokäufern, u. a. auch vor dem BGH, erstritten. Daneben vertritt er Aktionäre im Musterverfahren gegen die Volkswagen AG aus Anlass von Kursverlusten infolge des Abgasskandals. Für den Fall von Fragen wenden Sie sich direkt telefonisch an die Kanzlei 2vier2 (069-770 394 690) oder per E-Mail (neumann@kanzlei-2vier2.de).



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Philipp Neumann Maître en Droit

Beiträge zum Thema