Ein Mord, der keiner war. Der Preis: Dreizehn Jahre Leben

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Der sogenannte „Badewannen-Mord“ von Rottach-Egern brachte den damaligen Angeklagten Manfred Genditzki für mehr als ein Jahrzehnt ins Gefängnis. Nun sprach das Landgericht (LG) München I im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens Genditzi frei – endlich.

Eine Leiche, ein Verurteilter, keine Tat?

Manfred Genditzki war seit 1996 als Hausmeister tätig und sorgte sich „nebenbei“ um eine in dem Wohnhaus ansässige Seniorin – für deren Tod er später verantwortlich sein soll. Die beiden verband ein gewisses Näheverhältnis, so fuhr er sie hin und wieder zum Arzt oder kaufte für sie ein. Nachdem die 87-Jährige am 28. Oktober 2008, frisch aus dem Krankenhaus entlassen, leblos in ihrer Badewanne aufgefunden wurde, rückt Genditzki in das Licht der Ermittlungen. Er wird im Februar des Folgejahrs verhaftet, im November beginnt der Prozess. 

2010 wird der Hausmeister vom Landgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt. Er habe – so das Gericht – die Rentnerin in ihrer Wohnung nach einem Streit auf den Kopf geschlagen und sie anschließend – zur Verdeckung der vorangegangenen Körperverletzung - in der Badewanne ertränkt. Wie man spätestens heute weiß: Dies ist nicht nur ein gravierendes Fehlurteil, sondern auch ein Justizskandal.

Freispruch dank moderner Technik

Bereits nach Genditzki erstinstanzlicher Verurteilung kamen erste, aber starke Zweifel auf, ob Genditzki wirklich der Täter ist und ob es überhaupt eine Tat gab. Jedenfalls bestand bei vielen Einigkeit darüber, dass er auf Grundlage der im Prozess vorgebrachten Indizien nicht hättet verurteilt werden sollen. So hätte Genditzki die Körperverletzung, den Entschluss zur Tat, die Tatausführung sowie einen Anruf beim Hausarzt der Seniorin innerhalb von nur 12 Minuten durchgeführt haben müssen. 

Im Zuge der Vorbereitung auf ein angestrebtes Wiederaufnahmeverfahren wurden die Beweismittel anhand neuer wissenschaftlicher Methoden ausgewertet: Hier spielte vor allem ein neues Verfahren in der Thermodynamik eine wichtige Rolle. Die Wassertemperatur konnte damals beim Auffinden der Leiche in etwa berechnet werden. Dies bildete die Grundlage für eine neue Eingrenzung der Leichenliegezeit und dadurch auch die Bestimmung des Todeszeitpunkts. Das Ergebnis bestätigte, dass der zeitliche Rahmen, in dem die 87-Jährige gestorben sein musste, erheblich außerhalb der Zeit liegt, welche durch das Gericht im damaligen Prozess herangezogen wurde. Des Weiteren konnte durch eine computergestützte biomechanische Simulation erwiesen werden, dass ein Sturz durchaus der Grund für den Tod des Opfers sein konnte. Ein rechtsmedizinisches Gutachten schloss damals ein Unfallgeschehen eher aus. 

Mit Beschluss vom 12. August 2022 ordnete das LG München I die Wiederaufnahme des Verfahrens an und entließ Genditzki mit sofortiger Wirkung aus der Haft. Nicht nur die Verteidigung, sondern auch die Staatsanwaltschaft forderte am Ende des Verfahrens den Freispruch – welcher auch erging.
Die Vorsitzende Richterin sei laut Berichten sehr ergriffen gewesen und entschuldigte sich stellvertretend mit den Worten: "Es tut uns wirklich aufrichtig leid, dass Sie mitten aus Ihrem normalen Leben gerissen wurden" und sagte weiter, dass es Genditzki nicht vergönnt gewesen sei, "Ihre beiden jüngeren Kinder aufwachsen zu sehen, zur Beerdigung Ihrer Mutter zu gehen".  

Diese Worte verdeutlichen erneut, welchen Verlust Genditzki erlitten und welches Unrecht gewütet hat. 

Exkurs: Die Wiederaufnahme

Eine Wiederaufnahme zugunsten eines Angeklagten ist in § 359 StPO gesetzlich geregelt und uneingeschränkt anerkannt, anders als ihr Äquivalent zulasten eines Betroffenen nach einem rechtskräftig ergangenen Freispruch. Hierdurch kann ein abgeschlossenes Verfahren erneut aufgenommen werden. Voraussetzung ist, dass neue Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht werden, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen einen Freispruch des Angeklagten oder eine geringere Bestrafung durch Anwendung eines milderen Strafgesetzes begründen können. 

Waffengleichheit durch Strafverteidigung

Für die wenigsten von uns ist es kaum vorstellbar, was es heißt, (unschuldig) hinter Gittern zu sitzen. Das gesamte Leben findet innerhalb weniger Quadratmeter statt, die einstigen Beziehungen zerbersten an den Gefängnismauern und alles, was vielen Inhaftierten bleibt, ist das Herbeisehnen des Tages, an dem sich die schwere Tür in Richtung Freiheit endlich wieder öffnet. Wer darüber hinaus noch zu Unrecht verurteilt wurde, der führt einen täglichen Kampf um Gehör und Gerechtigkeit – so wie es auch Manfred Genditzki und seine Anwältin getan haben. Gelingt der Kampf und wird die Schlacht im Wiederaufnahmeverfahren gewonnen, dann steht dem Betroffenen eine Entschädigung seitens des Staates zu: In Deutschland sind es genau 75 Euro pro unrechtmäßigem Haft-Tag – bis Ende 2020 waren es sogar nur 25 Euro.
Genditzki stehen also insgesamt 368.400 Euro zu – für 13 Jahre geraubte Zeit.

Dieser skandalöse Justizskandal zeigt, dass auch die Strafjustiz nicht unfehlbar ist. In den Roben sitzen Menschen und Menschen machen Fehler. Daher kann dieser Text auch als unbedingtes Plädoyer für die Strafverteidigung gelesen werden. Als Strafrechtskanzlei ist es unser höchstes Anliegen, den Angeklagten vor, während und nach einem ersten Prozess zu betreuen, beraten und zu verteidigen. Wir hinterfragen das Geschehen vor Gericht und scheuen keinen Konflikt. Ganz gleich, in welchem Stadion sich Ihr Verfahren befindet, kontaktieren Sie uns jederzeit, um einen starken Partner an Ihrer Seite zu haben.

Foto(s): www.kanzlei-laqmani.de

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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