ESMA-Leitlinien zur Geeignetheit von Anlageprodukten – Nachhaltigkeitspräferenzen und Aktualisierung

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Die neuen Leitlinien der ESMA (European Securities Market Authority – Europäische Wertpapier und Marktaufsichtsbehörde) zu einigen Aspekten der MIFID-II-Anforderungen an die Geeignetheit von Anlageprodukten vom 03. April 2023 gelten ab dem 3. Oktober 2023. Sie betreffen die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen wie die  Anlageberatung und Portfolioverwaltung.


Bei einem Verstoß gegen das den Drittschutz organisierende Unionsrecht begründet auch eine einfache Fahrlässigkeit bei einem Verstoß gegen eine EU-Richtlinie die Haftung, EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, QB/Mercedes-Benz Group AG, vormals Daimler AG. Dazu gehören auch die ESMA-Leitlinien. 


Bei der Geeignetheitsbeurteilung wird der gesamte Prozess erfasst, der die Einholung von Informationen über einen Kunden und die nachfolgende Beurteilung der Geeignetheit eines bestimmten Anlageprodukts für diesen Kunden durch die Firma einschließt, Seite 5 der Leitlinien.


Ein Schwerpunkt dieser Leitlinien bildet das Konzept der Nachhaltigkeitspräferenzen gemäß Artikel 2 Abs. 7 der Delegierten Verordnung MIFID II (DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2021/1253 DER KOMMISSION vom 21. April 2021 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 im Hinblick auf die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen in bestimmte organisatorische Anforderungen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen).


Gemeint ist mit den ‚Nachhaltigkeitspräferenzen‘ die Entscheidung eines Kunden oder potenziellen Kunden darüber, ob und, wenn ja, inwieweit eines der folgenden Finanzinstrumente in seine Anlage einbezogen werden soll:


a)

ein Finanzinstrument, bei dem der Kunde oder potentielle Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne von Art. 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates angelegt werden soll („ökologisch nachhaltige Investition“ ist eine Investition in eine oder mehrere Wirtschaftstätigkeiten, die gemäß dieser Verordnung als ökologisch nachhaltig gelten; VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088).


b)

ein Finanzinstrument, bei dem der Kunde oder potenziellen Kunden bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates angelegt werden soll. Gemeint ist damit eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften, Artikel 2 Nummer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates,


c)

ein Finanzinstrument, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden, wobei die qualitativen und quantitativen Elemente, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen werden, vom Kunden oder potenziellen Kunden bestimmt werden.


Dazu werden in den Leitlinien weitere Ausführungen zum Verständnis der Nachhaltigkeitspräferenzen gemacht. So heißt es auf Seite 9 der Leitlinien:


"Die Firmen müssen über geeignete Grundsätze und Verfahren (einschließlich geeigneter Mittel) verfügen, um eine umfassende Kenntnis der wesentlichen Tatsachen und Merkmale in Bezug auf ihre Kunden zu erlangen. Die Firmen sollten ungeachtet der für die Einholung der Informationen verwendeten Mittel sicherstellen, dass die Beurteilung der erhobenen Kundeninformationen einheitlich erfolgt.


Die Firmen sollten zudem geeignete Maßnahmen treffen, um beurteilen zu können, inwiefern der Kunde das Konzept des Anlagerisikos sowie den Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite der Anlage versteht, da davon maßgeblich abhängt, ob die Firmen in der Lage sind, bei der Durchführung der Geeignetheitsprüfung im besten Interesse des Kunden zu handeln. Bei der Vorlage der entsprechenden Fragen sollten die Firmen dem Kunden klar und deutlich erklären, dass ihre Beantwortung dem Zweck dient, seine Risikobereitschaft (sein Risikoprofil) zu beurteilen und somit die Arten von Finanzinstrumenten (mit den entsprechenden Risiken) zu ermitteln, die für ihn geeignet sind."


Die Leitlinien erfassen 38 Seiten. Ein Schwerpunkt ist die Feststellung von Nachhaltigkeitspräferenzen. 


Ausgeführt wird in den Leitlinien auf Seite 15:


"Bevor Firmen Anlageberatung oder Portfolioverwaltung erbringen, müssen sie sämtliche „notwendigen Informationen“ über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden, seine finanziellen Verhältnisse und seine Anlageziele einholen. Der Umfang der „notwendigen“ Informationen kann unterschiedlich ausfallen und richtet sich nach der zu erbringenden Anlageberatung und Portfolioverwaltung, der Art und den Merkmalen der in Frage kommenden Anlageprodukte sowie den Kundenmerkmalen."


Ein wichtiger neuer Punkt ist auch noch die Aktualisierung von Risikoinformationen im Falle laufender Geschäftsbeziehungen. Dazu wird unter der Rz. 55 ausgeführt:


„Die Häufigkeit der Aktualisierung kann beispielsweise in Abhängigkeit vom Risikoprofil der Kunden und unter Berücksichtigung der Art des empfohlenen Finanzinstruments variieren. Anhand der Informationen, die im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Geeignetheit eingeholt wurden, bestimmt die Firma das Anlagerisikoprofil des Kunden, d. h. die Art von Wertpapierdienstleistungen bzw. Finanzinstrumenten, die bei Zugrundelegung der Kenntnisse, Erfahrungen, finanziellen Verhältnisse (einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen) und Anlageziele des Kunden (einschließlich seiner Risikotoleranz) für diesen generell geeignet sein kann. So dürfte beispielsweise ein Risikoprofil, das dem Kunden die Möglichkeit eröffnet, mit einer breiteren Palette von risikoreichen Produkten zu handeln, eine häufigere Aktualisierung erfordern. Auch bestimmte Ereignisse können eine Aktualisierung anstoßen, beispielsweise wenn der Kunde das Rentenalter erreicht.“


Fazit: Die Auswirkungen und das Verständnis der Entscheidung des EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, QB/Mercedes-Benz Group AG, vormals Daimler AG, werden beschrieben in dem Beitrag des Kollegen Nasasall, „Stachelfragen aus Luxemburg“ in der NJW 15/2023, dort Seite 3.


Im Grundsatz werden damit Richtlinien der Europäischen Union gleichgesetzt mit Schutzgesetzen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Dieses dürfte auch die ESMA-Leitlinien betreffen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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