Fiat-Abgasskandal: LG Halle verurteilt Mutterkonzern Stellantis zu 15 Prozent Schadensersatz

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Die Erfolgsaussichten für Schadensersatz im Diesel-Abgasskandal steigen nach der neuen Rechtsprechung am Bundesgerichtshof (BGH) auch für Wohnmobile mit einem Fiat-Basisfahrzeug. Das Landgericht Halle hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Fiat-Chrysler-Mutterkonzern Stellantis Europe S.p.A. zur Zahlung von 15 Prozent Schadensersatz verurteilt. Das streitgegenständliche Wohnmobil von Dethleffs ist mit einem Fiat Ducato Multijet 2,3 der Abgasnorm Euro 6 ausgestattet (Az.: 4 O 77/21). Das Urteil vom 29. November 2023 unterstreicht aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die Relevanz der aktuellen Rechtsprechung des BGH und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Bezug auf unzulässige Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen. Daher rät die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer Dieselfahrern, insbesondere Wohnmobil-Besitzern, zu einer anwaltlichen Beratung im kostenlosen Online-Check. Mehr Informationen zu den Entwicklungen am EuGH und BGH gibt es auf unseren Spezial-Websites.


Illegale Abschalteinrichtung im Wohnmobil Trend T von Dethleffs 

Seit Sommer 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Fiat-Abgasskandal – bisher ohne veröffentlichte Ergebnisse. Vor allem Wohnmobile sind vom Skandal betroffen, da die meisten Hersteller von Wohnmobilen auf den Fiat Ducato als Basisfahrzeug vertrauen. 2020 sprach die Staatsanwaltschaft von 200.000 Freizeitfahrzeugen. Der Fiat-Diesel Multijet soll mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten und nicht im normalen Straßenverkehr. Bei den Abschalteinrichtungen handelt es sich unter anderem um einen sogenannten Timer, der nach 21 Minuten die Abgasreinigung ausschaltet, und das Thermofenster, das die Abgasregulierung von der Außentemperatur abhängig steuert. Das Landgericht Halle hat den Fiat Chrysler-Mutterkonzern Stellantis Europa S.p.A. zu Schadensersatz verurteilt. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die das Verfahren führte, fasst das aktuelle Urteil und die Rechtslage zusammen:

  • Der Kläger erwarb das Wohnmobil Trend T7057 von Dethleffs 16. Oktober 2017 zum Netto-Kaufpreis von 47.242 Euro. In dem finanzierten Fahrzeug ist der Multijet-Motor F1AGL11C, Euronorm: 6, 2,3 ccm und 150 PS Leistung verbaut.
  • In dem Wohnmobil Trend T7057 von Dethleffs soll nach Ausführungen des Klägers die Abgasreinigung mithilfe eines sogenannten Thermofensters von der Außentemperatur abhängig geregelt– sprich manipuliert werden. Zwischen 20°C und 30°C wird die Abgasrückführung (AGR) nicht reduziert, außerhalb dieses Fensters erfolgt eine Reduzierung der AGR.
  • Darüber hinaus ging der Kläger davon aus, dass die AGR deaktiviert werde, wenn das Gaspedal komplett durchgedrückt wird. Auch werde die AGR ab einer Leistung von 34kW herabgeregelt. Das Fahrzeug reduziere außerdem dann die AGR, wenn sogenannte Nebenverbraucher, also Klimaanlage, Sitzheizung, Radio oder Assistenzsysteme eingeschaltet werden. Die Emissionswerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs seien zudem besser, wenn das Lenkrad nicht bewegt werde.
  • Der Kläger fordert die Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie die Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Hilfsweise beantragte der Kläger die Erstattung des sogenannten Differenzschadensersatzes von 5 bis 15 Prozent. Der Bundesgerichtshof hatte diesen neuen Schadensersatz am 26. Juni 2023 erstmalig in die Diesel-Rechtsprechung eingeführt.
  • Das Landgericht Halle folgte teilweise den Anträgen des Klägers und verurteilte den Fiat-Mutterkonzern Stellantis Europe aufgrund fahrlässigen Handelns gemäß §823 BGB. Dabei kam die neue Rechtsprechung des BGH im Diesel-Abgasskandal zur Anwendung. Der daraus resultierende Differenzschaden beläuft sich im vorliegenden Verfahren aus Sicht des Gerichts 15 Prozent vom Netto-Kaufpreis des Wohnmobils – also 7086 Euro.
  • Die Kammer sah zwar kein vorsätzliches und sittenwidriges Handeln von Stellantis, hielt allerdings die Timerfunktion für unzulässig.
  • Die Stellantis-Anwälte haben die Vorwürfe des Klägers nicht bestritten. Die nicht ausreichend bestrittene Motor-Funktion eines Timers stellt aus Sicht des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 dar. Daraus ergab sich der ausgeurteilte Differenzschaden.
  • Der Anspruch auf Schadensersatz ist nicht verjährt.
  • Das Gericht lehnte eine Nutzungsentschädigung für die bisher gefahrenen Kilometer ab. Der Restwert des Wohnmobils übersteige unter Abzug der Wertminderung von 15 Prozent zusammen mit den Nutzungsvorteilen und dem Restwert des Fahrzeugs nicht den Wert bei Vertragsschluss, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung.
  • Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Fazit von Dr. Stoll & Sauer: Das Urteil des Landgerichts Halle spiegelt die grundlegende Linie der BGH- und EuGH-Rechtsprechung wider. Der BGH hat mit seiner neuen Rechtsprechung vom Sommer 2023 klargestellt, dass das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen mindestens fahrlässiges Handeln darstellt. Der EuGH hat ebenfalls in seiner Rechtsprechung die Unzulässigkeit solcher Manipulationen betont. Diese Urteile bilden eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Landgerichts Halle und stärken die Position von Verbrauchern im Abgasskandal. Bemerkenswert an diesem Urteil ist der Umstand, dass ein deutsches Gericht einen italienischen Hersteller verurteilt.

Dr. Stoll & Sauer gehört zu den führenden Kanzleien

Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Verbraucher- und Anlegerschutzrecht. Mit der Expertise von über 30 Anwälten und Fachanwälten steht die Kanzlei in allen wichtigen Rechtsgebieten den Mandanten in den Standorten Lahr, Stuttgart und Ettenheim zur Verfügung. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht sowie den Abgasskandal spezialisiert. Hinzu kommen die Themen Arbeits-, IT-, Versicherungs- und Verwaltungsrecht. Aktuell führen die Inhaber in einer Spezialgesellschaft die Musterfeststellungsklage gegen die Mercedes-Benz Group AG. Bereits gegen VW war Dr. Stoll & Sauer erfolgreich. Im JUVE-Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.

Foto(s): Pixabay

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