"Gelber Schein" und der Chef muss immer zahlen? Irrtümer rund um die Arbeitsunfähigkeit!

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1. Wer kennt das nicht. Der Kollege ist bereits 6 Wochen krank und am Montag kommt der nächste "Gelbe Schein". Der Kollege meint, er ist mit einer anderen Krankheit arbeitsunfähig geschrieben worden und will weiter Geld vom Arbeitgeber.

Hat er einen Anspruch auf Entgelt?


2. Der gesunde Kollege kündigt bereits am Mittwoch an, dass er nächsten Montag krank sein wird.

Hat er einen Anspruch auf Entgelt?


3. Der Mitarbeiter wird gekündigt und am Folgetag der Kündigung und für den Rest der Kündigungsfrist ist er plötzlich krank also arbeitsunfähig geschrieben.

Hat er einen Anspruch auf Entgelt?


Grundsatz

Ist ein Mitarbeiter arbeitsunfähig wegen einer Erkrankung, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, hat er für 6 Wochen einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber. So geschrieben im § 3 EFZG.

Daraus werden die Voraussetzungen für die Zahlung des Entgeltfortzahlungsanspruch deutlich. Das sind

  • Arbeitsverhältnis muss bereits 4 Wochen bestehen, sonst keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber;
  • Arbeitnehmer ist arbeitsunfähig,
  • wegen einer Erkrankung,
  • ist daran nicht schuld.

Das scheint einfach. Aber schauen wir uns das an unseren drei Beispielfällen an.

Grundsätzlich hat der sogenannte "Gelbe Schein", die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die rechtliche Qualität einer Urkunde. Sie hat erheblichen Beweiswert. Sie allein spricht primär für die Richtigkeit und somit die Arbeitsunfähigkeit. Diese zu erschüttern gelingt dem Arbeitgeber sehr selten.

Mit der neuen Rechtsprechung des BAG sollte sich dies in Zukunft ändern.

Es ist mir wichtig, mit den häufigsten Irrtümern in Verbindung mit der Arbeitsunfähigkeit aufzuräumen.

1. Der Mitarbeiter ist 6 Wochen krank und direkt anschließend reicht er eine neue Erstbescheinigung ein, muss der Arbeitgeber wieder 6 Wochen zahlen?

Der Mitarbeiter ist bereits seit 6 Wochen arbeitsunfähig, ist länger als 6 Wochen beschäftigt und hat volle Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber erhalten.

Nach Ablauf der sechs Wochen muss der Arbeitgeber grundsätzlich nicht mehr zahlen. Nun zahlt die Krankenkasse das reduzierte Krankengeld iHv. 70 des letzten durchschnittlichen Bruttogehaltes aber maximal 90% vom Netto.

Aber was ist, wenn sich an die 6 Wochen eine andere Erkrankung nahtlos anschließt?

In vielen praktischen Fällen in unserer Kanzlei sehe ich, dass der Arbeitgeber meint weiterzahlen zu müssen und der Mitarbeiter meint, weiter Geld vom Arbeitgeber in voller Höhe bekommen zu können.

Das ist aber ein kostenträchtiger Irrtum, da der Arbeitgeber hier nicht weiterzahlen sollte und die Krankenkasse eintreten muss.

Das BAG hat in gefestigter Rechtsprechung zuletzt am 11.12.2019 entschieden, dass bei einer andauernden Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiter nach Ablauf von 6 Wochen auch bei einer “neuen“ Erkrankung keinen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe gegen den Arbeitgeber hat. Er bleibt an die Krankenversicherung verwiesen.

Ein praktisches Beispiel dazu.

Eine Frau leidet an einer psychischen Erkrankung und ist arbeitsunfähig. Sie bekommt 6 Wochen Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber. Daran schließt sich nahtlos eine gynäkologische Erkrankung an, mit der sie arbeitsunfähig geschrieben wird. Sie bekommt dennoch nur das reduzierte Krankengeld von der Krankenkasse.

Hintergrund ist der Grundsatz des einheitlichen Verhinderungsfall.

Der Grundsatz sagt,

“Sei der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließe sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der "Erstbescheinigung" attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, habe der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.“

Das gelingt in den seltensten Fällen. Überwiegend, gerade bei den missbräuchlichen Fällen, urteilen die Arbeitsgerichte zu Gunsten der Arbeitgeber.

Mein Praxistipp dazu ist, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen nach 6 Wochen die Entgeltzahlung einstellt. Erst wenn der Mitarbeiter den Nachweis erbracht hat, dass die Krankheiten nicht im zeitlichen Zusammenhang stehen, sollte über die weitere Zahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz nachgedacht werden. Für den Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber muss der Mitarbeiter die Diagnoseschlüssel und damit die Krankheiten offen legen, an denen er erkrankt war. 

Damit ist zugleich ein weiterer Irrtum beantwortet, der da heißt, der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber nie mitteilen, welche Krankheit er hat.

Was in den ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit gilt, endet in dem soeben beschriebenen Fall der sich nach 6 Wochen anschließenden Arbeitsunfähigkeit. Hier muss der Mitarbeiter, wenn er Geld vom Arbeitgeber haben möchte, offen legen und nachweisen, weswegen er krank war und dass die Krankheiten nicht in Verbindung standen.

Es gibt auch weitere Konstellationen, in denen der Mitarbeiter die Art der Erkrankung offenlegen sollte, um seine Ansprüche zu wahren. Dies ist zum Beispiel beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement, dem BEM, der Fall.

Dazu gern mehr in einer gesonderten Folge.


2. Der gesunde Kollege kündigt bereits am Mittwoch an, dass er nächsten Montag krank sein wird. 

Hat er einen Anspruch auf Lohn?

Die Ankündigung der Krankheit durch einen gesunden Mitarbeiter kann in Verbindung mit weiteren Indizien eine später vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber eine Zahlung des Entgeltes verweigern kann.

Wird dies kombiniert mit einem nicht erfüllten "Wunsch" des Mitarbeiters, z.B. auf Urlaub,  kann dies sogar ein Grund für die berechtigte Kündigung durch den Arbeitgeber sein. So schon wiederholt von den Arbeitsgerichten entschieden.


3. Der Mitarbeiter wurde gekündigt und am Folgetag der Kündigung und für den Rest der Kündigungsfrist ist er plötzlich krank, also arbeitsunfähig geschrieben.

Hat er einen Anspruch auf Lohn?

Diese Konstellation war Gegenstand der aktuellen Entscheidung des BAG.

In diesem konkreten Fall deckte die AU-Bescheinigung genau den Zeitraum der Kündigungsfrist. In der Praxis kommt diese Konstellation weit mehr als in 50% der Kündigungsfälle vor.

Der Mitarbeiter ist plötzlich krank und das Unternehmen soll weiter zahlen.

Dem hat das BAG nun einen Riegel vorgeschoben.

Es hat, nachdem in den ersten beiden Instanzen die Gerichte noch dem Arbeitnehmer rechtgegeben haben, das Handeln des Arbeitgebers bestätigen. Dieser hatte die Zahlung des Entgeltes verweigert.

  

Das BAG hat ausgeführt, dass durch die exakte Deckung der Kündigungsfrist mit der dann bescheinigten Arbeitsunfähigkeit der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttert ist. Der klagende Arbeitnehmer hat allein durch den "Gelben Schein" nicht den Nachweis für eine vorliegende Krankheit erbracht. Danach hat er seine eigentlich geschuldete Arbeitsleistung grundlos nicht erbracht und hat keinen Entgeltanspruch.

Der Mitarbeiter geht somit leer aus.

Damit hat das BAG einen Rechtsprechungswandel eingeläutet, der zu einer Vielzahl von gerichtlichen Streitigkeiten führen wird. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als taktisches Mittel im Kündigungsschutzprozess ist vorsichtig und in genauer Kenntnis der Entscheidung anzuwenden.

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Sandro Wulf

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht


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