Gemeinsames Sorgerecht auch bei zerstrittenen Eltern (OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.02.2016)

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Nicht jeder Streit zwischen den Eltern spricht gegen ein gemeinsames Sorgerecht. Ein Streit über Nachmittagsaktivitäten des Kindes, hier die Teilnahme an einer Zirkus-AG, welche die Umgangszeiten des Vaters beschränkten, rechtfertigt es für sich genommen nicht, einen Antrag des Vaters auf Herstellung des gemeinsamen Sorgerechts für ein nichteheliches Kind abzuweisen. Der Streit der Eltern muss sich vielmehr auf wichtige Erziehungsfragen beziehen. Es genügt nicht, nur auf allgemeine konflikthafte Situationen im Verhältnis der Eltern zu verweisen. Diese Entscheidung wurde erstritten von Fachanwältin Cornelia Werner-Schneider aus Wiesbaden.

Was sind wichtige Erziehungsfragen?

1. Lebensmittelpunkt des Kindes

In der Praxis wird nach einer Trennung häufig darüber gestritten, bei welchem Elternteil das Kind lebt. Das sog. Residenzmodell, bei dem das Kind im Haushalt eines Elternteils lebt, ist noch immer die Regel. Streit über ein sog. Wechselmodell, bei dem das Kind zwischen Mutter und Vater hin- und herpendelt, gehört ebenfalls zu wichtigen Erziehungsfragen. Dieser Streit muss aber nach einer neueren Entscheidung des BGH vom 01.02.2017 im Umgangsrechtsverfahren ausgetragen werden und gehört nicht zum Sorge- bzw. Aufenthaltsbestimmungsrecht.

2. Umgangsrecht

An zweiter Stelle stehen Meinungsverschiedenheiten der Eltern über das Umgangsrecht. Die Belange des Kindes sind hier am wichtigsten. Das heißt, fest vereinbarte Besuchszeiten beim Residenzmodell. Einigkeit über die Länge der Aufenthaltsphasen des Kindes beim Wechselmodell, verbunden mit Verlässlichkeit der Eltern. Geradezu traumatisch kann es für ein Kind sein, wenn es ständig von einem Elternteil enttäuscht wird, weil dieser zu vereinbarten Zeiten nicht kommt.

Kind verweigert Umgangskontakte

Der Wille des Kindes, Vater oder Mutter nicht (mehr) besuchen zu wollen, ist nach der Rechtsprechung des BGH erst ab einem Alter von 12 Jahren beachtlich. Ob seine Äußerungen nur die Folge der Manipulation des Elternteils ist, bei dem es lebt oder selbstbestimmt ist, kann in einem jüngeren Alter nicht festgestellt werden.

3. Schulische Belange

Auch schulische Belange gehören zu wichtigen Erziehungsfragen. So zum Beispiel, welche weiterführende Schule das Kind besucht. Soll es Abitur machen oder genügt die mittlere Reife? Wann liegt Überforderung vor und wann Unterforderung? Welche weltanschauliche oder religiöse Ausrichtung hat die Schule?

4. Gesundheitsfürsorge

Die ärztliche Behandlung wird dann zu einer wichtigen Erziehungsfrage, wenn es um schwerwiegende Folgen geht. So zum Beispiel ein stationärer Aufenthalt in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie oder auch eine ambulante Psychotherapie. Beides fällt nicht mehr in den Bereich der Alltagsfragen. Ob das Kind psychiatrisch krank oder psychisch auffällig ist und welche Behandlung notwendig und angemessen ist, kann für das Kind schwerwiegende Folgen haben.

5. Vermögen

Die Verwaltung des Vermögens des Kindes gehört ebenfalls zu wichtigen Erziehungsfragen. Das Sparbuch des Kindes für teure Computerspiele zu verwenden, hat Praxisrelevanz.

Beratung des Jugendamtes ohne Erfolg

Der Streit in wichtigen Erziehungsfragen muss schließlich eine Form angenommen haben, die durch Beratung des Jugendamtes nicht mehr veränderbar ist und in der Zukunft kaum eine Chance besteht, dass die Konflikte bearbeitet und beigelegt werden können. Die Aussichtslosigkeit einer Veränderung ist natürlich immer eine Entscheidung im Augenblick. Wie sich die Dinge entwickeln, ist kaum je vorhersehbar. Entscheidend ist jedoch, ob professionelle Hilfe über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel durch das Jugendamt, erfolglos geblieben ist und auch in Zukunft der Streit zwischen den Eltern in wesentlichen Erziehungsfragen unvermindert weitergehen wird.

Praxishinweis: Keine Phase des „Erprobens“ der gemeinsamen Sorge mit professioneller Hilfe

Fachanwältin Cornelia Werner-Schneider aus Wiesbaden weist auf die Gerichtspraxis hin, immer wieder bei den fortgesetzt streitenden Eltern eine Chance zur Veränderung zu sehen, obwohl schon lange Zeit mit professioneller Hilfe die Konflikte erfolglos bearbeitet wurden. In diesen Fällen, aber auch nur dann, ist der Antrag des Vaters auf Herstellung des gemeinsamen Sorgerechts für ein nichteheliches Kind ohne Aussicht auf Erfolg und das Gericht muss entscheiden, das heißt, das Verfahren beenden. 

Ein Aussetzen oder Ruhenlassen des Verfahrens, weil immer wieder und weiterhin den Eltern Beratung abverlangt wird, sollte nicht hingenommen oder in einem Vergleich mitgetragen werden. Auch eine Entscheidung des Gerichts für das gemeinsame Sorgerecht, gestützt auf die Begründung, mit professioneller Hilfe bestehe für die Zukunft Aussicht auf Besserung, obwohl derzeit in wichtigen Erziehungsfragen keine Kooperation zwischen den Eltern stattfindet, sollte mit der Beschwerde angegriffen werden.


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