Herzinfarkt nicht erkannt: 150.000 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 03.08.2015 hat sich ein Siegener Krankenhaus verpflichtet, an meine Mandantin und deren Kinder wegen des Todes ihres Ehemanns einen Betrag von 150.000 Euro zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche zu zahlen.

Der im Oktober 1966 geborene Facharbeiter stellte sich am 02.08.2011 gegen 21.00 Uhr in der Notaufnahme des Krankenhauses wegen brennender starker Brustschmerzen und Atemnot vor. Es wurde ein EKG geschrieben, der Blutdruck gemessen und Blut abgenommen. Anschließend musste er bis ca. 23.00 Uhr auf die Laborergebnisse warten. Dem Arzt teilte er mit, er habe immer noch starke Schmerzen in der Brust und ein starkes Brennen. Es ginge ihm schlecht. Daraufhin äußerte der Assistenzarzt, der Patient habe selbstverständlich die Möglichkeit, im Krankenhaus zu bleiben. Er könne aber auch nach Hause fahren. Sollte es ihm schlechter gehen, könne er sich jederzeit erneut im Krankenhaus vorstellen. Die Laborwerte seien in Ordnung. Daraufhin fuhr der Patient nach Hause. Am 03.08.2011 nahm er gegen 14.00 Uhr seine Arbeit auf. Gegen 20.15 Uhr fiel er plötzlich vornüber und konnte anschließend trotz des sofort herbeigerufenen Notarztes nicht mehr wiederbelebt werden.

Die Mandanten hatten dem Assistenzarzt vorgeworfen, er habe den Patienten ohne weitere Untersuchungen trotz eindeutig geschilderter Symptome und einem auffälligen EKG grob behandlungsfehlerhaft nach Hause geschickt, ohne medizinisch notwendige Myokardinfarkt-Ausschlusskontrollen durchgeführt zu haben. Die Entlassung trotz auffälligen EKGs sei grob behandlungsfehlerhaft und habe zum Tod geführt. Aufgrund des akuten Verschlusses eines der Herzkranzgefäße sei das Herz nicht mehr mit Blut versorgt worden, sodass der Ehemann der Mandantin aufgrund des nicht mehr durchbluteten Herzmuskelgewebes eine Herzrhythmusstörung mit Pumpschwäche erlitten habe. Wäre er am 02.08.2011 stationär auf die Intensivstation aufgenommen worden, wäre der Tod am Folgetag vermieden worden.

Der gerichtliche Sachverständige hatte bestätigt: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit habe am 02.08.2011 ein akutes Coronarsyndrom bestanden. Die geschilderten Beschwerden seien typisch. Neben dem Umstand, dass der Patient Schmerzen im Brustbereich hatte, sei das Ruhe-EKG pathologisch gewesen. Die Verdachtsdiagnose eines akuten Coronarsyndroms sei sehr naheliegend und die erste und – wegen der potenziellen Lebensgefahr – wichtigste Differenzialdiagnose gewesen. Diese habe der Beklagte zu 1) verkannt.

Es sei üblich, bei der Verdachtsdiagnose akutes Coronarsyndrom eine sofortige kontinuierliche Monitorüberwachung einzuleiten, um lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen zu erkennen und sofort behandeln zu können. Der Beklagte zu 1) habe jedoch in seiner persönlichen Anhörung angegeben, eine Indikation für eine telemetrische Überwachung am Monitor nicht gesehen zu haben. Diese Aussage sei objektiv falsch.

Neben der Kontrolle des Troponins bei Aufnahme hätte ca. 6 Stunden später eine weitere Troponin-Kontrolle durchgeführt werden müssen, und zwar zwischen 0.00 Uhr und 1.00 Uhr nachts. Der erste Troponin-Wert habe bei Aufnahme noch nicht erhöht sein können, weil dieser Wert erst ca. 5 – 6 Stunden nach Beginn der Beschwerden ansteige. Erst wenn zwei Troponin-Werte negativ seien, dürfe man davon ausgehen, dass es sich um einen Niedrig-Risiko-Patienten handle, der ambulant behandelt werden dürfe. Patienten mit anhaltenden Brustschmerzen unklarer Ursache seien sogar dann stationär aufzunehmen, wenn der zweite Troponin-Wert nicht pathologisch sei.

Der Beklagte habe zwar geäußert, dass der Troponin-Wert sich im normalen Bereich befunden und er dem Patienten erklärt habe, im Moment sei alles in Ordnung. Er hätte ihn auch darauf hingewiesen, dass Auffälligkeiten im EKG vorhanden seien, die eine zusätzliche Abklärung des Troponin-Wertes nach 4 – 6 Stunden nötig machten und er daher stationär aufgenommen werden müsse.

Zur Überzeugung des Gerichtes hatte der Arzt jedoch die Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer zweiten Troponin-Untersuchung nicht in Betracht gezogen. Der Sachverständige hat ausgeführt, ein Arzt müsse ausdrücklich darauf hinweisen, dass zur Diagnosesicherung ein zweiter Troponin-Wert dringend erforderlich sei. Die zweite Troponin-Kontrolle habe im relativ sicheren Zeitfenster von fünf Stunden zu erfolgen. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Kontrolle bei dem Hausarzt genüge den Anforderungen selbst dann nicht, wenn er stattgefunden hätte. Es fehle der eindringliche Hinweis auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Untersuchung unmittelbar am nächsten Morgen, unter Heraushebung des erhöhten Risikos, sich ansonsten einer weiteren Gefährdung auszusetzen. Aus den Behandlungsunterlagen ergebe sich kein Hinweis auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Troponin-Wert-Kontrolle bei dem Hausarzt. Zwar werde das akute Coronarsyndrom mit Refluxbeschwerden häufig verwechselt. Zunächst muss jedoch die schlimmste Diagnose, nämlich das akute Coronarsyndrom untersucht werden. Erst wenn bei dieser Untersuchung nichts festgestellt werde, könne ein Übergang zur Untersuchung von Refluxbeschwerden erfolgen.

Für die Kammer ergaben sich zudem gewichtige Anhaltspunkte, die den Wert der Behandlungsdokumentation in Zweifel zogen. Der Vermerk, dass der Patient auf eigenen Wunsch und entgegen ärztlichen Rats die Klinik verlassen wolle, sei fehlerhaft. Der Assistenzarzt habe entgegen des Inhalts des Arztbriefs den Patienten am Abend des 02.08.2011 nicht auf die Dringlichkeit der Situation und nicht auf die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme hingewiesen. Er hat den Ernst der Situation völlig falsch eingeschätzt.

Bei den festgestellten Behandlungsfehlern handle es sich um grobe Fehler, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen. Es sei allgemeiner Standard, dass ein Patient, der mehr als fünf Minuten Brustschmerzen habe, wegen des akuten Verdachts auf ein Coronarsyndrom innerhalb von 5 – 10 Minuten ans Monitoring angeschlossen werden müsse. Es müsse zeitnah ein EKG geschrieben werden und ein Arzt kommen. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn das EKG erst zwei Stunden später angesehen werde. Dieses liege sofort vor und müsse frühzeitig kontrolliert werden. Der Tod des Patienten sei durch diese Behandlungsfehler jedenfalls mitverursacht worden. Es sei sehr wahrscheinlich, dass ein Nicht-ST-Hebungsinfarkt vorlag, der am Folgetag in einen ST-Hebungsinfarkt übergegangen sei, der zum plötzlichen Herztod geführt habe. Bei adäquater Behandlung nach positivem Troponin-Ergebnis wäre der Patient mit 99 %-iger Sicherheit nicht verstorben. Die Infarkt-Letalität läge im Krankenhaus bei maximal gerade einmal 3 %.

Zur Abgeltung der Beerdigungskosten, eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie des Barunterhaltsschadens für die Ehefrau und Mutter zweier erwachsener und bereits erwerbstätiger Kinder haben sich die Parteien auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 150.000 Euro sowie Zahlung der außergerichtlichen Anwaltskosten geeinigt. Mit diesem Risikovergleich wurde insbesondere der problematischen Frage der Kausalität zwischen dem gerügten Behandlungsfehler und dem Tod des Ehemannes Rechnung getragen.

Das Krankenhaus hatte die Kausalität bestritten, weil bei der erst vier Wochen nach dem Tod des Patienten durchgeführten Obduktion eine genaue Todesursache nicht mehr mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden konnte.

(OLG Hamm, Vergleich vom 03.08.2015, AZ: I-3 U 144/14)

Christian Koch

Fachanwalt für Medizinrecht



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