Hilft „Vergessen“ in der Hauptverhandlung?

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Vor Gericht erlebt man es immer wieder, dass Zeugen „plötzlich“ nichts mehr wissen. Sei es, weil sie sich tatsächlich nicht erinnern können oder eben nicht mehr wollen.

Bemerkenswert ist dies meistens, wenn sie in der polizeilichen Vernehmung detailliert berichten konnten.

In der Regel betrifft dies Zeugen, die sich selbst nicht belasten wollen oder die unter Umständen Angst vor entsprechenden Repressalien haben, ohne dies zugeben zu wollen. Oder es betrifft Zeugen, die einer bestimmten Gruppierung angehören und aus diesem Grund keinen belasten „dürfen“. 

Hilft die vermeintliche Vergesslichkeit, um die Aussage zu vermeiden?

Bereits aus der Zeugenbelehrung (§ 57 Abs. 2 StPO) des Richters, die jedem Zeugen spätestens zu Beginn seiner Vernehmung gemacht werden muss, ergibt sich, dass nicht nur die unrichtige, sondern auch die unvollständige Aussage zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. 

Unvollständig meint insoweit das vermeintliches Vergessen, d. h. heißt auch dann, wenn Teile bewusst weggelassen werden. 

Wie dann mit dem vermeintlichen Vergessen umgegangen wird, ist dann Sache des Vorsitzenden Richters. Dieser hat zu beurteilen (bzw. zu untersuchen), ob die Aussage, dies oder jenes vergessen zu haben, auch glaubhaft ist. Zunächst wird er i .d. R. durch beharrliches Nachfragen versuchen, die Erinnerung Stück für Stück zurückzuholen. 

Bereits hierdurch verstricken sich einige Zeugen in Widersprüche – nicht selten stehen derartige Zeugen wegen dieser falschen Aussagen bereits mit einem Bein in ihrem eigenen Strafverfahren. Allein die Tatsache, dass der Richter sie durch seine Beharrlichkeit wieder auf den rechten Weg zurückbringt, schützt diese Zeugen vor der Strafverfolgung wegen dieser Aussagedelikte. 

Durch Ordnungs- und Zwangsmittel kann der Zeuge zu einer entsprechenden Aussage „gezwungen“ werden

Diese Mittel sind in Art.5 ff. EGStGB, §§177–182 GVG geregelt. Das Gericht kann danach gegen Prozessbeteiligte (Angeklagte, Zeugen, Sachverständige etc.) oder Zuschauer zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gerichtsverfahren und der Sicherung der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens richterliche Anordnungen treffen, um ungebührliches Verhalten zu ahnden oder ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen.

Im Einzelnen sind folgende Ordnungsmittel zulässig:

  • das Entfernen von Personen aus dem Sitzungssaal,
  • das Ordnungsgeld und
  • die Ordnungshaft.

Erscheint der ordnungsgemäß geladene Zeuge ohne ausreichende Entschuldigung nicht oder verweigert dieser ohne Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 52, 53 StPO) oder Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) unberechtigt die Aussage, werden diesem die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt – in der Regel wird ein Ordnungsgeld und ersatzweise für den Fall der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft gerichtlich angeordnet. 

Gleiches gilt, wenn Zuschauer, Zeugen, Sachverständige oder Angeklagte Anordnungen des Gerichtsvorsitzenden zuwider handeln oder sich ungebührlich vor Gericht verhalten (Tätlichkeiten, Trunkenheit, störende Zwischenrufe etc.).

Gegenüber dem Verteidiger, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft (auch Rechtsreferendare), Schöffen und Beisitzern sind Ordnungsmittel nicht zulässig.

Ordnungshaft ist eine im Falle der genannten Verstöße angedrohte Freiheitsentziehung. Die Ordnungs- oder die Beugehaft darf nur von einem Richter angeordnet werden.

Im Strafverfahren kann die Ordnungshaft von 1 Tag bis zu 6 Wochen verhängt werden (Art. 6 Abs. 2 EGStGB). Gesetzlich geregelt ist sie in § 70 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO). In § 70 Abs. 2 StPO ist zusätzlich die Möglichkeit einer Beugehaft von bis zu sechs Monaten vorgesehen. 

Die Beugehaft

Die Beugehaft kann zur Erzwingung des Zeugnisses (= der Aussage) eines Zeugen angeordnet werden. Die Beugehaft darf nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug und nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus andauern. Sind die Maßregeln erschöpft, kann die Beugehaft in demselben oder in einem anderen Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden.

Die Ordnungshaft bzw. Beugehaft ist sofort zu beenden, wenn der Zeuge sich zu einer Aussage bereit erklärt.

Angehörige

Der Vollständigkeit halber soll natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass der Zeuge unter bestimmten Umständen keine Aussage machen muss und so den eben genannten Maßnahmen entgehen kann:

Das Strafprozessrecht gesteht Angehörigen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, um der Zwangslage des zur Wahrheit verpflichteten Zeugen entgegenzutreten, der befürchten muss, durch eine belastende Aussage dem nahen Angehörigen zu schaden. Wer berechtigt ist, das Zeugnis zu verweigern, ergibt sich aus § 52 StPO

Wahrung der Selbstbelastungsfreiheit

Vom Zeugnisverweigerungsrecht zu unterscheiden ist das Auskunftsverweigerungsrecht, das es dem Zeugen ermöglicht, auf solche Fragen nicht antworten zu müssen, durch die er sich selbst belasten würde. Ausreichend dafür ist, dass ihm selbst oder einem Angehörigen des § 52 StPO die Gefahr von Ermittlungen wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit drohen würde. 


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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