Insolvenzverschleppung: Strafbarkeit und Verteidigung

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60 % aller Geschäftsführer, die für ihre Gesellschaft einen Insolvenzantrag stellen mussten, leiteten - laut einer Studie der Uni Mannheim - verspätet das Insolvenzverfahren ein- sie haben die Insolvenz verschleppt. Wo kein Kläger, da kein Richter. Stimmt. 
Es wird aber viel öfters ermittelt als der Laie glaubt. 

I. Was ist eine Insolvenzverschleppung  nach § 15a InsO?

Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler
ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. 
Der Antrag ist spätestens drei Wochen 
nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit 
und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.

Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 und 2, auch in Verbindung mit Satz 3 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag
1.nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder
2.nicht richtig stellt.


II. Gründe für die Verschleppung
Es gibt mehrere Gründe, warum Geschäftsführer möglicherweise verspätet ein Insolvenzverfahren einleiten:

1. Unkenntnis der finanziellen Lage: Geschäftsführer könnten die finanzielle Lage ihres Unternehmens falsch einschätzen oder den Ernst der Lage unterschätzen³.
2. Hoffnung auf Besserung: Manchmal hoffen Geschäftsführer, dass sich die finanzielle Situation des Unternehmens verbessert, und zögern daher, ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Sie nehmen die strafrechtlichen Risiken in Kauf.
3. Haftungsrisiken und strafrechtliche Konsequenzen: Die verspätete Einleitung eines Insolvenzverfahrens kann zur Strafbarkeit und zur  Haftungsrisiken für die Geschäftsführung führen. Bei verspäteter Antragsstellung kann der Geschäftsführer sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar machen. Manche Geschäftsführer wissen Wesentliches zu Insolvenzstraftaten nicht. Indes schützt Unwissenheit vor Strafe nicht.  
4. Neue gesetzliche Regelungen nicht bekannt: Seit dem 1. Januar 2021 ist das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in Kraft getreten. Nach dem neuen § 15 b Abs. 2 S. 2 InsO sind Zahlungen erlaubt, die der nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife dienen¹. Diese Neuregelungen vermindern zwar die Haftungsgefahr für Zahlungen bei Insolvenzreife gegenüber der bisherigen Regelung in § 64 GmbHG. Dennoch wird klar geregelt: Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife können zur vollen persönlichen Haftung führen.  Geschäftsführer sollten sich jedes Jahr über gesetzliches Neuerungen informieren und oder über neue Rechtsprechung zur Haftung.
5. Geschäftsführer scheuen sich, spezialisierte Berater zu konsultieren
Es ist wichtig zu beachten, dass Geschäftsführer gesetzlich verpflichtet sind, einen Insolvenzantrag beim zuständigen Gericht zu stellen, wenn die Voraussetzungen einer Insolvenz vorliegen. Eine rechtzeitige Hinzuziehung eines im Insolvenzrecht spezialisierten Rechtsanwalts kann Fallstricke und Haftungsfälle vermeiden. Manche Geschäftsführer scheuen den Weg zum Fachanwalt aus Angst für Strafe oder den Kosten oder hoffen einfach, dass nichts passiert.

III. Wann liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor ? 

Eine Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen kann. Dies ist im Insolvenzrecht ein in § 17 Abs. 2 InsO geregelter Rechtsbegriff.

Die 3-Wochen-Frist kommt ins Spiel, wenn es um die Unterscheidung zwischen einer bloßen Zahlungsstockung und einer tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit geht. Der Bundesgerichtshof (BGH) definiert Zahlungsunfähigkeit in ständiger Rechtsprechung wie folgt: Ist der Schuldner binnen drei Wochen nicht in der Lage, 90 Prozent aller fälligen Verbindlichkeiten zu tilgen, so gilt er als zahlungsunfähig.

Das bedeutet, wenn ein temporärer Liquiditätsmangel innerhalb von 3 Wochen behoben werden kann, wird dies als bloße Zahlungsstockung betrachtet und stellt keinen Insolvenzeröffnungsgrund dar. Wenn jedoch die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt und nicht innerhalb von drei Wochen vollständig oder fast vollständig beseitigt werden kann, ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen.

Ein Beispiel für eine Liquiditätslücke, die größer als 10 Prozent ist, könnte sein: Angenommen, ein Unternehmen hat fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 100.000 Euro. Wenn das Unternehmen nur über 85.000 Euro verfügt und nicht in der Lage ist, innerhalb von drei Wochen zusätzliche Mittel zu beschaffen, um die Differenz von 15.000 Euro zu decken, dann beträgt die Liquiditätslücke 15 Prozent. In diesem Fall wäre das Unternehmen zahlungsunfähig.

Die Zahlungseinstellung spielt eine Rolle, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Dies ist ein weiterer Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 InsO. Die Zahlungseinstellung ist ein Indiz für die Zahlungsunfähigkeit. Sie liegt vor, wenn der Schuldner seine Zahlungen endgültig eingestellt hat, d.h., er leistet keine Zahlungen mehr oder nur noch Zahlungen, die seine Gläubiger als völlig unzureichend ansehen würden.

IV. Sonstiges zur Insolvenzverschleppung und zum Strafverteidigung

1. Abgrenzung: Beschuldigter ./. Angeklagter
Ein Verdächtiger erlangt die Stellung eines Beschuldigten, wenn die Polizei oder Staatsanwalt-schaft Maßnahmen mit dem erkennbaren Ziel ergreift, gegen ihn strafrechtlich vorzugehen. Im Sinne des §157 StPO ist Angeschuldigter der Beschuldigte, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist, Angeklagter der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist. 

2. Grundsatz des fairen Verfahrens und Vernehmungsgrundsätze
Die Staatsanwaltschaft grundsätzlich verpflichtet auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln. Aus Vorsichtsgründen sollte sich der Beschuldigte frühzeitig um anwaltlichen Rat und Begleitung kümmern, damit auch entlastende Umstände ermittelt und berücksichtigt werden. Was es zur Entlastung gibt, muss ermittelt und vorgetragen werden. 

3. Erweiterte Ermittlungen 
Ob, wann und was zur Verteidigung ausgeführt wird, ist genau abzuwägen und Teil der Vertei-digungsstrategie. Im Insolvenzstrafrecht hat sich in der Praxis vielfach bewährt, dass der Be-schuldigte nicht allein Fragen bei der polizeilichen Vernehmung beantwortet, sondern eine Vertretungsanzeige durch den Verteidiger erfolgt, die Ermittlungsakte eingesehen wird und dann eine ausführliche Stellungnahme durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt in Absprache mit dem Beschuldigten erfolgt. In zahlreichen Fällen wurden so Ermittlungsverfahren eingestellt oder es wird nur ein Teil der vorher im Raum stehenden Straftaten angeklagt oder im vereinfachten Strafbefehlsverfahren geklärt.
Wichtig ist aber: keine Aussagen vorherige anwaltliche Beratung.

4. Verhalten im Ermittlungsverfahren?
Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, einer polizeilichen Vorladung Folge zu leisten - anders bei einer richterlichen Ladung oder Ladung durch die Staatsanwaltschaft. Ich empfehle - ohne anwaltlichen Beistand und ohne Kenntnis der Aktenlage - keine Aussagen zu tätigen.

Wichtig: Aus einem Schweigen oder der Tatsache, dass man einen Rechtsanwalt einsetzt, dürfen keinerlei Schlüsse zum Nachteil des Beschuldigten oder Angeklagten gezogen werden (BGHSt 20, 281).

5. Einstellung
a) Mangelnder Tatverdacht
Ein Ziel der Verteidigung kann sein: Die Einstellung des Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen.
b) Einstellung wegen Geringfügigkeit
Von der Staatsanwaltschaft kann das Verfahren mit Zustimmung des Gerichts eingestellt werden, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht, § 153 Abs.1 S.1 StPO.
c) Einstellung gegen Auflagen
Soweit ein Vergehen Gegenstand des Verfahrens ist, ist eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen oder Weisungen gemäß § 153 a Abs.1 StPO möglich, sofern die Schwere der Schuld nicht entgegensteht.


6. Durchführung der Hauptverhandlung

Wenn die Anklage erhoben wird, kommt es zu einer Hauptverhandlung.
Die realistische Abwägung der Chancen ist eine der Hauptaufgaben der Verteidigung.
In der Hauptverhandlung gibt es die Möglichkeit einer sogenannten Verteidigererklärung für den Angeklagten, in der der Verteidiger (schriftlich) Ausführungen macht, wenn der Angeklagte diese Erklärung als eigene Einlassung verstanden wissen will und dieses auch gegenüber dem Gericht so bestätigt (BGH NStZ 90, 447).
Natürlich kann sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch selbst erklären und auf die Fragen des Strafrichters, des Staatsanwalts und seines Verteidigers antworten. In bestimmten Fällen hat eine Einlassung positive Auswirkungen - in anderen weniger.
Der Strafverteidiger kann in jeder Lage des Verfahrens eine Verteidigungsschrift abgeben gemäß § 137 Abs.1 i.V.m. § 243 Abs. 4 StPO.


7. Vorsatz, Kennenmüssen, Irrtum und Fahrlässigkeit
Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Dies trifft bei der Insolvenzverschleppung zu.
Vorsatz bedeutet nach einer Kurzformel: Wissen und Wollen der Tatbestandverwirklichung. 
Für die vorsätzliche Insolvenzverschleppung beginnt die Dreiwochenfrist erst mit Kenntnis des Täters von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Die Insolvenzreife liegt zwar mit dem objektiven Eintritt dieser Umstände vor, dennoch ist für die zivil- und strafrechtlichen Folgen der Insolvenzverschleppung die Kenntnis des Täters erforderlich.
Chance: Keine vorsätzliche Insolvenzverschleppung bei Unkenntnis oder Fehl-einschätzung.


8. Strafhöhe, Ausschlussgrund als Geschäftsführer und Erfolgschancen
Der bewirkte Schaden und die Dauer der Verschleppung sind maßgeblich für die Strafhöhe.
Bei einem großen Schaden droht Freiheitsstrafe.
§ 15a InsO regelt die  Strafhöhe.

Neben einer Strafe tritt bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung auch die Wirkung ein, dass man nicht mehr Geschäftsführer sein darf. Ausschlussgründe für die Geschäftsführertätigkeit (Inhabilität) sind folgende:

  •    Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO)
  •    falsche Angaben gegenüber dem Registergericht (82 GmbHG bzw. § 399 AktG)
  •    unrichtige Darstellung (§ 400 AktG, § 331 HGB, § 313 UmwG, § 17 PublG)
  •    Betrug (§ 263 StGB)
  •    Computerbetrug (§ 263a StGB)
  •    Subventionsbetrug (§ 264 StGB)
  •    Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB)
  •    Kreditbetrug (§ 265b StGB)
  •    Untreue (§ 266 StGB)
  •    Beitragsvorenthaltung (§ 266a StGB)

Diese Ausschlussgründe bestehen neben den „klassischen Ausschlussgründen" geregelt in den §§ 283 bis 283d StGB. Das sperrende Mindestmaß einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr greift nur für die in  §6 Abs. 2 Nr. 3 lit. e GmbHG angeführten Delikte (§§ 263 ff. StGB)

Ziele der Verteidigung

Da bei Insolvenzfällen meistens wegen mehrerer verschiedener Straftatbestände parallel ermittelt wird (z.B. Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen, unordentliche Buchführung, verspätete Bilanzerstellung, Bankrotthandlungen, Betrug, Urkundenfälschung ua) ist es häufiges Ziel der Verteidigung, hinsichtlich einer oder mehrerer Tatkomplexe eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch zu erreichen. Bei einer unvermeidlichen Verurteilung wegen der restlichen Taten ist es das Ziel, eine moderate Strafe zu erzielen- auf jeden Fall keine Haft.
 Bei Zweifeln ist ein Freispruch oder eine Verurteilung wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung das Verteidigungsziel. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung besteht kein Ausschlussgrund als Geschäftsführer.

9. Ihr Strafverteidiger: Erfahrungen und Kosten 
Ich habe zahlreiche erfolgreiche Referenzen als Strafverteidiger in Insolvenz- und Wirtschaftsstrafsachen. Die Vergütung wird entweder auf Stunden- oder Tagessatzbasis oder pauschal für einzelne Abschnitte festgelegt. 



Hermann Kulzer MBA
Rechtsanwalt
Strafverteidiger

Dresden
kulzer@pkl.com


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