Keine dienstliche Beurteilung ohne gesetzliche Regelung

  • 4 Minuten Lesezeit

BVerwG - 2 C 2.21, Urteil vom 7. Juni 2021, und
BVerwG 1 WB 60.22 – Beschl. vom 29. August 2023



1. Sachverhalt

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in jüngerer Zeit mehrere Entscheidungen zur Rechtmäßigkeit dienstlicher Beurteilungen getroffen.

Im ersten Fall hatte eine Landesbeamtin aus Rheinland-Pfalz gegen ihre Beurteilung geklagt. Sie war zunächst in zwei Instanzen gescheitert.

Im zweiten Fall hatte das BVerwG dem Antrag eines Offiziers auf Neuerstellung seiner Beurteilung stattgegeben.,

Die Kläger hatten dabei u.a. beanstandet, dass die für sie erstellten Beurteilungen über keine ausreichende gesetzliche Grundlage verfügten.

Das BVerwG hat in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung festgestellt, dass es in den genannten Fällen (dienstliche Beurteilungen von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und dienstliche Beurteilung einer Landesbeamtin) an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage mangele, Urteil vom 7. Juni 2021 - 2 C 2.21 -; BVerwG 1 WB 60.22 - Beschluss vom 29. August 2023.


2. Die Entscheidungen

Im ersten Fall hatte das BVerwG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Klägerin rügte die Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG und damit von revisiblen Recht.

Sodann hat das Gericht festgestellt, dass die normativen Vorgaben im Land Rheinland-Pfalz für die Erstellung der angegriffenen Anlassbeurteilung durch die Beklagte unzureichend waren. Dies führe allerdings nicht zur Aufhebung der angegriffenen Anlassbeurteilung, weil dieser Zustand für einen Übergangszeitraum hinzunehmen ist. Für die Erstellung der neuen dienstlichen Beurteilung der Klägerin sei aber die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes maßgeblich.


Wegen der Bedeutung von dienstlichen Beurteilungen für die allein nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG zu treffenden Auswahlentscheidungen können die Vorgaben für ihre Erstellung nicht allein Verwaltungsvorschriften überlassen bleiben. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Verwirklichung eines Grundrechts maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen; sie dürfen nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen werden. Wesentlich in diesem Sinne sind alle Regelungen, die für die Verwirklichung dieses Rechts erhebliche Bedeutung haben (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97). 

Die bislang vertretene Auffassung, wonach sich die Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen als dem wesentlichen Instrument für die Ausübung ihres Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG allein aus Verordnungen oder bloßen Verwaltungsvorschriften ergeben könnten, hat das BVerwG ausdrücklich als überholt angesehen.

Somit hat der Gesetzgeber das System der Regel- oder Anlassbeurteilungen sowie die Bildung eines zusammenfassenden Gesamturteils unter Würdigung der Einzelmerkmale vorzugeben. Weitere Einzelheiten (Rhythmus von Regelbeurteilungen oder der Inhalt der zu beurteilenden Einzelmerkmale) können einer Rechtsverordnung auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung überlassen bleiben (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2/21).


Im zweiten Fall hat das BVerwG dem entsprechenden Antrag eines Offiziers stattgegeben, da auch das Soldatengesetz keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage für das Beurteilungswesen enthält. Öffentliche Ämter werden auch bei Soldaten gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nach Eignung, Leistung und Befähigung auf der Grundlage von dienstlichen Beurteilungen übertragen. Daher müssten auch hier die wesentlichen Grundsätze für die Erstellung der Beurteilungen vom parlamentarischen Gesetzgeber bestimmt werden.


 Laut BVerwG kann auch hier für eine Übergangszeit das bisherige System der dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage der Soldatenlaufbahnverordnung (§§ 2, 3 SLV) und allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Allgemeine Regelung A-1340/50) weitergeführt werden, da die bisherige Rechtsprechung das Fehlen einer gesetzlichen Regelung nicht beanstandet habe (vgl. BVerwG, Beschl. vom 26. Mai 2009 - 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59). Die gebotene Ergänzung des Soldatengesetzes sei bereits durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden (BR-Drs. 377/23);

BVerwG 1 WB 60.22 – Beschl. vom 29. August 2023.

   


3. Bewertung der Entscheidungen

Diese Rechtsprechung des BVerwG stellt eine kleine Revolution im beamtenrechtlichen Beurteilungsrecht dar. Denn erstmals stellt das höchste deutsche Verwaltungsgericht – in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung – klar, dass die wesentlichen Regelungen für die Erstellung von Beurteilungen in einem Parlamentsgesetz getroffen werden müssen. Regelbeurteilungen dienen der Gewährleistung des Rechts nach Art. 33 Abs. 2 GG und sind die maßgebliche Grundlage für Auswahlentscheidungen im Beförderungsverfahren.


 Die Rechtsprechung des BVerwG zu den gesetzlichen Grundlagen von Beurteilungen wirkt sich unmittelbar auch auf die Rechtmäßigkeit von Beförderungsentscheidungen aus. Da diese auf der Grundlage von rechtmäßigen Beurteilungen zu erfolgen haben, muss sich künftig jede Auswahlentscheidung in Beförderungsverfahren als rechtswidrig erweisen, bei der die zugrundeliegenden Beurteilungen der Beamten nicht auf der Grundlage eines Parlamentsgesetzes ergangen sind. Das ist bislang in den Ländern i.d.R. nicht der Fall.


 Damit ist eine Vielzahl von Konkurrentenklagen jedenfalls dann vorprogrammiert, wenn der Bundes- und die Landesgesetzgeber nicht zeitnah das Beurteilungswesen auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen.

Zudem bleibt abzuwarten, ob das Bundesverwaltungsgericht demnächst klarere gesetzliche Grundlagen auch für das Auswahlverfahren selbst einfordert. Denn die Erstellung von Beurteilungen allein stellt die Gewährleistung des Rechts nach Art. 33 Abs. 2 GG noch nicht sicher.



Dresden, 27.09.2023




Lothar Hermes

Rechtsanwalt

auch Fachanwalt für Verwaltungsrecht



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Lothar Hermes

Beiträge zum Thema