KI für Anwälte: „Die Technik ist (noch) nur so gut wie derjenige, der sie bedient“

  • 9 Minuten Lesezeit
Rechtsanwalt Dominik Wawra: KI für Anwälte: „Die Technik ist (noch) nur so gut wie derjenige, der sie bedient“
Theresa Höfle anwalt.de-Redaktion

Seit einiger Zeit ist der Begriff KI und besonders ChatGPT in aller Munde. Noch nie war das Konzept der künstlichen Intelligenz so greifbar und zugänglich wie heute. Rechtsanwalt Dominik Wawra von Wawra und Gaibler Rechtsanwälte spricht im Interview über Einsatzmöglichkeiten von KI durch Anwälte und darüber, wie KI die juristische Arbeit in Zukunft erleichtern kann. 

Welche anwaltlichen Tätigkeiten hat KI bereits erleichtert oder verbessert?

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der juristischen Arbeitswelt steckt derzeit noch in den Kinderschuhen. Erfahrungsgemäß gehört die Juristerei sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis eher zu den antiquierteren Branchen, sodass (digitale) Neuerungen hier – ähnlich wie im Bereich der öffentlichen Verwaltung – tendenziell zuletzt um- und eingesetzt werden. Allerdings zeigen aktuelle Entwicklungen bereits, dass sich KI weitreichend nutzen lässt. Insbesondere bei der täglichen Mandatsbearbeitung kann KI dabei helfen, Anfragen zu sortieren, automatisierte Prozessabläufe durchzusetzen und einfache Tätigkeiten effizienter zu gestalten. 

Im Bereich Dieselabgasskandal oder dem sogenannten Widerruf von Autofinanzierungen kann KI beispielsweise Namen, Adressen, Fahrzeug- und Vertragsdetails selbstständig „herauslesen“ und – basierend auf „eigener Erfahrung“ – Vorschläge zum Anlegen der Akten, d. h., wer ist unser Mandant, gegen wen muss geklagt werden, an welchem Gericht muss Klage eingereicht werden etc., unterbreiten, die Akte weitgehend selbstständig anlegen und anschließend Vorschläge unterbreiten, welche Unterlagen noch bei dem Mandanten anzufordern sind. Zu unterscheiden ist dabei jedoch, in welchen Bereichen die Kanzlei tätig ist. Im Bereich der sogenannten Massenverfahren mit vielen gleich gelagerten Abläufen und den häufig sehr ähnlichen rechtlichen Problemstellungen lässt sich KI leichter, schneller und kostengünstiger integrieren als bei Kollegen, die in Rechtsgebieten tätig sind, welche eine sehr persönliche Betreuung der Mandanten erfordern, wie beispielsweise im Familienrecht oder im M&A-Bereich. 

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Texten mit KI-Tools ist so einfach wie nie: Was haben Sie bereits ausprobiert? 

Tätigkeiten, die fachliche Kompetenz außerhalb der juristischen Bildung erfordern, wie z. B. das Übersetzen oder Erstellen von Texten, lassen sich durch KI durchaus effizienter und kostengünstiger gestalten, weshalb wir bereits eine Vielzahl von Tools (Texterstellung, Grafik, Dokumentenmanagement, Recherche) getestet haben. Allerdings muss man wissen, dass ein Großteil der auf dem Markt verfügbaren KI-Software nicht auf dem „aktuellsten Stand“ und daher nicht für unsere Zwecke geeignet ist. 

ChatGPT beispielsweise verwendet nach eigener Auskunft lediglich Informationen, die bis 2021 bekannt gewesen sind – mithin also keine aktuellen Daten. In Bereichen, in denen die Rechtsprechung also sehr dynamisch ist, wie beispielsweise aktuell im Bereich der sogenannten Datenlecks oder des Dieselabgasskandals, ist die Zuhilfenahme also keinesfalls ratsam. 

Lassen Sie sich auch beim Schreiben von Rechtstipps bereits von KI unterstützen?

KI-Programme wie ChatGPT setzen auf das sogenannte Machine Learning, d. h., die Software bildet sich selbst anhand der jeweiligen Anfragen und anschließenden Bewertung der Resultate durch die Anwender weiter. Es kann mithin vorkommen, dass das Tool auch Informationen verwendet bzw. kreiert, die nicht unbedingt immer korrekt sind. Dies gilt besonders dann, wenn es um komplexe juristische Fragestellungen geht, bei denen im Internet viele unterschiedliche Fachmeinungen kursieren.  

So fiel beispielsweise ein amerikanischer Kollege, der sich bei der Erstellung einer Klageschrift gegen eine Airline von ChatGPT unterstützen ließ, auf frei erfundene Urteile herein. In seinem Fall hatte ChatGPT fünf Urteile zur Untermauerung der eigenen Argumentation zitiert, die schlicht frei erfunden waren.  

Auch im Rahmen unserer Tests mussten wir bereits einmal feststellen, dass es ein von ChatGPT zitiertes OLG-Urteil so überhaupt nicht gab. Erwähnenswert ist diesbezüglich auch, dass die meisten KI-Programme nach eigenen Angaben keinerlei Zugriff auf juristische Datenbanken besitzen. Hier sollte man bei der Recherche also besser zweimal hinsehen.  

Es ist nach hiesigem Dafürhalten als Rechtsanwalt höchste Vorsicht bei der Zuhilfenahme von KI-Software geboten, weshalb wir diese Software aktuell nicht einsetzen. Die Erstellung von Texten und Rechtstipps wird intern derzeit von im Bereich Content Creation ausgebildeten Mitarbeitern sowie von Juristen übernommen. KI setzen wir aktuell nicht zur Textproduktion ein, da sich die Anzeichen verdichten, dass diese Texte von großen Suchmaschinen- und Softwareanbietern als „KI-produziert“ erkannt und folglich nicht indexiert oder SEO-seitig schlecht geratet werden. 

Wie hoch schätzen Sie den Aufwand für die Korrektur ein, die ein Anwalt vornehmen müsste, um KI-generierte Texte mit juristischen Inhalten veröffentlichungstauglich zu machen?

Meiner Meinung nach ist dies je nach Themenbereich unterschiedlich zu beurteilen. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Fehlinformationsproblematik, von erfundenen Urteilen oder nicht existenten Referenzen wäre der inhaltliche Korrekturaufwand KI-generierter Texte mit juristischem Inhalt also derzeit sehr hoch. 

Insbesondere bei komplexen juristischen Fragestellungen ist es derzeit unerlässlich, dass KI-generierte Texte von Juristen auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft werden. Insbesondere um Imageschäden zu vermeiden und ein etwaiges Haftungsrisiko zu minimieren. 

Mit KI-Tools Texte, wie z. B. Schreiben an Mandanten oder Rechtstipps, in andere Sprachen übersetzen lassen: Nutzen Sie so etwas schon heute?

Unsere Mandanten kommen hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Raum. Dennoch müssen wir Klageschriften und Schriftsätze gegen große Autohersteller, Banken und internationale Unternehmen häufig in andere Sprachen übersetzen lassen. Hierzu bedarf es (noch) professioneller Übersetzungsbüros, da die derzeitige KI-Übersetzungssoftware im juristischen Kontext für unsere Bedürfnisse einfach zu leistungsschwach, d. h., zu ungenau und fehlerhaft arbeitet. Bei international über Sprach- und Landesgrenzen hinweg tätigen Kanzleien ist die Möglichkeit, (einfache) Rechtstipps oder (einfache) Schreiben an die Mandanten mithilfe von KI-Tools übersetzen zu lassen, hingegen sicherlich eine effiziente und kostengünstige Alternative. 

Profile mit Kanzleilogo sind für Ratsuchende besonders ansprechend. Wie kann ein KI-Tool die Gestaltung Ihrer Meinung nach erleichtern?

Vor dem Hintergrund, dass einige KI-Bildbearbeitungstools mittlerweile wirklich sehr bedienerfreundlich sind, könnte man auf die Idee kommen, sich den Einsatz von (teuren) Experten zu sparen. Ich persönlich halte den Einsatz von KI in allen Bereichen, in denen emotionale Gesichtspunkte eine Rolle spielen, hingegen für nicht zielführend, da Maschinen die emotionalen Auswirkungen, auf die es beispielsweise bei einem Logo ankommt, nicht „berechnen“ oder abschätzen können. Zur kostengünstigen Ideenfindung kann KI hier aber durchaus hilfreich sein. 

Mithilfe von KI Bilder für Ihr anwalt.de-Profil oder für Rechtstipps erstellen lassen. Würden Sie im Hinblick auf das Urheberrecht eher davon abraten?

Die derzeitige Rechtslage in Deutschland im Umgang mit KI im Allgemeinen und KI-produzierten Leistungen ist noch in der Entstehung begriffen. Bei einigen Grafikprogrammen sind die mittels KI produzierten Bilder nicht durch das Urheberrecht geschützt. Anwender erhalten häufig die Nutzungsrechte an den von ihnen generierten Bildern und können diese dadurch auch kommerziell nutzen. 

Bei der Frage zur Urheberschaft von KI-produzierten Inhalten sind noch viele komplexe Einzelfragen zu klären, auch fehlt bislang eine Positionierung der höchsten deutschen Gerichte zu gewissen Grundsatzfragen. Sobald sich hier ein allgemeiner Umgang etabliert hat, sehe ich diesbezüglich großes Potenzial. 

In welchen Phasen der Rechtsberatung kann KI am meisten Unterstützung bieten?

Wie bereits oben dargelegt, kann der Einsatz von KI meines Erachtens bei der Bearbeitung von standardisierbaren, gleich gelagerten Fällen sehr viel Zeit und Ressourcen sparen. Vorbereitende Tätigkeiten wie die Sortierung von Anfragen, das Auslesen von Dokumenten, die Beantwortung von immer wiederkehrenden, gleichen Fragen oder auch – sofern die Software dem rechtlich aktuellen Stand entspräche – vorbereitende Recherchetätigkeiten könnten von künstlicher Intelligenz künftig übernommen werden. 

Im angloamerikanischen Recht, das auf sogenannten Präzedenzfällen (Case Law) basiert, lassen sich nach Auskunft einiger Kollegen aus international tätigen Kanzleien juristische Recherchetätigkeiten schon deutlich effektiver umsetzen. Durch Hinterlegung einer Datenbank, in der die Fälle gelistet werden, kann der bearbeitende Anwalt diese Fälle und die zugehörigen Entscheidungen anhand von Schlagwörtern viel schneller finden und sich so die Arbeit erleichtern. 

Inwiefern wird KI die Arbeit von Rechtsanwälten verändern? Welche Möglichkeiten erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Der Einsatz von Technik hat über die letzten Jahrzehnte sehr viele Branchen revolutioniert. Der Einsatz von Legal Tech im juristischen Bereich nimmt stetig zu. Die Automatisierung von Arbeitsabläufen spart Zeit und Geld. KI wird meines Erachtens zunächst Aufgaben wie das Auslesen von einfachen Dokumenten, das (Vor-)Filtern von Informationen aus großen Datenmengen/Schriftsätzen, einfache Recherchetätigkeiten und standardisierbare Korrespondenz mit Mandanten übernehmen. In einem zweiten Schritt könnte die Schriftsatzerstellung folgen. Ob wir in den nächsten Jahren sogar auch – aktuell aufgrund des Berufsrechts unzulässige – einfache „Rechtsberatung“ durch KI-Avatare sehen werden, bleibt abzuwarten.  

Bereits jetzt ist KI beispielsweise in der Lage, Formulierungen in Arbeitszeugnissen zu erkennen, mit der entsprechenden Notenskala zu verknüpfen, abzugleichen und dem Anwalt eine erste Einschätzung des Arbeitszeugnisses an die Hand zu geben. In der täglichen Praxis werden meines Erachtens noch mehr Reisetätigkeiten als bisher wegfallen, da Besprechungen vorwiegend mittels KI-generiertem Avatar am digitalen Besprechungstisch stattfinden und noch mehr Gerichte auf die Möglichkeit des § 128a ZPO zurückgreifen werden.     

Die genauen Auswirkungen und Möglichkeiten vermag ich derzeit noch nicht ansatzweise abzuschätzen. Allerdings vermute ich, dass die Entwicklung diesbezüglicher KI-Software auch nicht auf Anwaltsseite oder durch die Kanzleien selbst stattfinden wird, sondern durch auf IT spezialisierte Softwarefirmen. Etwas anderes könnte vor dem Hintergrund des derzeit beim EuGH anhängigen „Fremdbesitzverbotes für Anwaltskanzleien“ und den damit möglicherweise fließenden Investorengeldern gelten. Die diesbezügliche Entwicklung bleibt ebenfalls abzuwarten. 

Können Sie sich vorstellen, auf Ihrer Kanzleihomepage einen Chatbot als Anlaufstelle für Ratsuchende anzubieten?

Der Einsatz eines Chatbots ist durchaus eine Möglichkeit, Ratssuchenden gewisse einfache Auskünfte auf immer wiederkehrende Fragen zeitnah zu erteilen. Für komplexere Angelegenheiten eignen sich Chatbots meines Erachtens (noch) nicht. Wir setzen in unserem Hause auf die zwischenmenschliche und fachliche Kompetenz unserer Mitarbeiter, sodass sich Mandanten stets gut aufgehoben fühlen und auf höchstem Niveau persönlich beraten werden. 

Wird KI Ihrer Einschätzung nach auch Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung von Anwälten haben? Welche neuen Kenntnisse werden benötigt und welche Fähigkeiten werden vielleicht auch obsolet?

Der fundierte Einsatz von KI erfordert selbstverständlich spezialisierte und gut ausgebildete Fachkräfte. Die Technik ist (noch) nur so gut wie derjenige, der sie bedient. Der Umgang mit KI und Legal Tech im Allgemeinen wird Eingang in die juristische Ausbildung finden müssen. Die Verknüpfung von juristischem Fachwissen und technischem Know-how wird in der Zukunft essenziell sein. Inwiefern dies erreicht werden kann oder erreicht wird, muss die Zukunft zeigen. In Deutschland gibt es bereits mehrere Universitäten, die den Umgang mit Technik und auch das Softwareengineering im juristischen Bereich fest in den Lehrplan integriert haben.  

Fähigkeiten, die mit Sicherheit obsolet werden, vermag ich nicht zu prognostizieren. Ich bin mir hingegen sehr sicher, dass emotionale, zwischenmenschliche Fertigkeiten im höchstpersönlichen Anwalt-Mandanten-Verhältnis in den meisten Rechtsgebieten nicht durch KI ersetzt werden können. 

In welchen Bereichen ruft der Einsatz von KI in der Rechtsberatung Ihrem Erleben nach derzeit Bedenken hervor?

Sowohl auf Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite wird derzeit diskutiert, in welchem Ausmaß Arbeitsplätze im Bereich Sekretariat, Recherche und Vertragsgestaltung wegfallen bzw. im Bereich Legal Engineering und Legal Tech neu geschaffen werden. Der nach meinem Empfinden aktuell am stärksten diskutierte Bereich ist das Zusammenspiel oder Entgegenstehen von KI und Datenschutz, d. h., wie kann der Datenschutz die Privatsphäre schützen, ohne die Entwicklung der KI zu bremsen. 

Wie wird sich der Anwaltsberuf Ihrer Meinung nach durch den Einsatz von KI-Angeboten in naher Zukunft verändern?

Zum einen werden die Mandanten durch KI-gestützte Eigenrecherche deutlich besser informiert sein, wodurch man mit den Mandaten gemeinsam schneller auf die rechtlichen Problempunkte eingehen und sie effektiver beraten kann. Zum anderen werden potenzielle Mandanten vermehrt versuchen, juristisch vermeintlich einfache Fragestellungen durch KI beantworten zu lassen. Hier zeigt die bisherige Erfahrung allerdings, dass sich dies im Nachgang meist als teurer Trugschluss für den Mandanten erweist. 

Rechtsanwalt Dominik Wawra berät Mandaten unter anderem bei Anliegen im Arbeitsrecht, Datenschutzrecht oder Verkehrsrecht. Die Kanzlei Wawra und Gaibler Rechtsanwalts GmbH mit Sitz in Augsburg und Nürnberg hat Erfahrung aus über 30.000 Mandaten in den Bereichen Schufa, Riester, DSGVO-Datenlecks, Widerruf Finanzierung, Arbeitsrecht und Abgasskandal.

(THH, ZGRA)

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Foto(s): ©privat/Dominik Wawra, ©Adobe Stock/Amore al Arte

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