Kindeswohlgefährdung durch das Tragen einer Maske?

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Seit Pandemiebeginn vertrete ich Eltern gegenüber Schulen und Schulträgern wenn es um die Frage des notwendigen Selbstschutzes gerade, aber nicht nur bei vulnerablen Familien geht. Da sind zum einen die "Schattenfamilien", die sich zum Schutz vor Ansteckung wegen dem Wegfall aller verbindlichen Schutzmaßnahmen aus dem öffentlichen Leben weitestgehend zurück ziehen. Da sind aber auch zum anderen diejenigen, die zumindest versuchen, durch das konsequente Tragen einer Maske sich und andere vor Ansteckung zu schützen - sozusagen als Kompromiss, um trotzdem noch Teilhabe erleben zu können.

Hier taucht nun seit einiger Zeit ein Phänomen auf, das ich mir persönlich nicht erklären kann. Eltern, deren Kinder in der Schule eine Maske tragen, werden von Schulen angegangen. Es läge eine Kindeswohlgefährdung vor und die Eltern sollten dem Kind erlauben, die Schule ohne Maske zu besuchen, weil das ja schließlich alle anderen auch machen.

Um es kurz zu machen: Das Tragen einer Schutzmaske wird, wenn nicht noch andere gravierende Faktoren hinzu treten, keine Kindeswohlgefährdung begründen. Dennoch muss ich betroffenen Eltern raten, sich rechtlichen Beistand zu suchen, denn die Sache kann schnell unerfreuliche Auswüchse annehmen.

Im Einzelnen:

1.
Das Kinderschutzzentrum-Berlin definiert Kindeswohlgefährdung wie folgt und berücksichtigt dabei die wesentlichen Eckpunkte des Problemfeldes:

“Kindeswohlgefährdung ist ein das Wohl und die Rechte eines Kindes (nach Maßstab gesellschaftlich geltender Normen und begründeter professioneller Einschätzung) beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln bzw. ein Unterlassen einer angemessenen Sorge durch Eltern oder andere Personen in Familien oder Institutionen, (wie z.B. Heimen, Kindertagesstätten, Schulen, Kliniken oder in bestimmten Therapien) das zu nicht zufälligen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und/oder Entwicklungsbeeinträchtigungen eines Kindes führen kann, was die Hilfe und eventuell das Eingreifen von Jugendhilfe-Einrichtungen und Familiengerichten in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge im Interesse der Sicherung der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig machen kann.”


Der BGH bleibt bei seiner Definition offener und versteht unter einer Kindeswohlgefährdung

„eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“,


vgl.: BGH FamRZ 1956, S. 350.

An den Definitionen ist zu erkennen, dass eine Kindeswohlgefährdung nicht schon dann vorliegt, wenn Maßnahmen der Eltern im Bereich der Erziehung, der Pflege oder der Betreuung des eigenen Kindes nicht den Maß- oder Wertevorstellungen eines anderen entsprechen, sondern dazu eine erkennbare und vor allen Dingen unabwendbare Gefährdung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit des Kindes vorliegen muss. Das wird man im Einzelfall prüfen müssen. Jedoch müssen neben dem Masketragen wohl noch ganz erhebliche zusätzliche Einschränkungen hinzutreten, um eine Kindeswohlgefährdung begründen zu können.

Die Behauptung einer angebliche Kindeswohlgefährdung durch das bloße Tragen einer Maske verfängt schlicht nicht, weil das Tragen der Maske nicht zu einer unabwendbare Gefährdung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit des Kindes führt.

a)
Das Tragen einer Maske hat keinen negativen Einfluss auf die Gesundheit des Tragenden. Das erschließt sich schon aus dem Umstand, dass während vieler Stunden andauernden Operationen die Beteiligten im OP Maske tragen ohne das jemals zu vernehmen gewesen wäre, dass Ärzte oder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im OP auf Dauer gesundheitliche Probleme wegen des dauernden Tragens einer Maske erfahren hätten. Selbst beim Sport ist das Tragen einer FFP2- oder sogar einer FFP3-Maske völlig unbedenklich. Es kommt zwar zu einem leicht erhöhten Atemwiderstand durch die Filterwirkung der Maske. Gesundheitsspezifische Nebenwirkungen haben sich aber nicht bestätigt, vgl. z.B.: Epstein D, Korytny A, Isenberg Y, et al. Return to training in the COVID-19 era: The physiological effects of face masks during exercise. Scand J Med Sci Sports. 2020.

Die vorerwähnte Studie hat festgestellt, dass weder OP-Mundschutz noch FFP2-Masken im Test zu alarmierenden Veränderungen der physiologischen Parameter führten. Lediglich extreme Anstrengung mit FFP2-Maske führte im Vergleich zum Training ohne Maske an verschiedenen Messzeitpunkten zu einem signifikanten Anstieg der Konzentration von endtidalem Kohlenstoffdioxid (etCO2) in der Ausatemluft. Das ist aber eine Trainingssituation, die allenfalls im Leistungssport auftreten könnte. Im Schul- oder Breitensport ist ein solcher Effekt praktisch ausgeschlossen.

Die Autoren der Studie weisen außerdem auf einen positiven Nebeneffekt des Masketragens beim Sport hin: Messungen haben ergeben, dass die intermittierende Exposition gegenüber leicht erhöhtem CO2 während Anstrengungsphasen die respiratorische Adaptation verbessern und die Ermüdungsrate der Atemmuskulatur verringern.

Ermüdungserscheinungen nach dem Sport können vielfältige Ursachen haben. Auf das Tragen einer Maske sind sie definitiv nicht zurück zu führen.

b)
Oft wird von Schulen auch angeführt, dass es zur sozialen Ausgrenzung komme, weil die anderen Kinder keine Maske tragen und das mit Maske verhüllte Gesicht nicht vollständig zu sehen sei. Das Maske tragende Kind würde deswegen gehänselt und ausgegrenzt.

Schulkinder, die sich nicht angepasst verhalten, sind leider bisweilen Ausgrenzungen ausgesetzt. Das ist nichts Neues. In so einem Fall ist in erster Linie die Schule gefragt, solchen sozialen Ausgrenzungen entgegen zu wirken. So könnte den Mitschülern/innen erklärt werden, warum ein Kind eine Maske trägt. Die Lösung kann nicht sein, dem Kind das Tragen einer Maske zu verbieten. Schließlich gehört doch das Vermitteln auch sozialer Kompetenzen zum Aufgabenfeld der Schule.

c)
Überdies steht beim Tragen der Maske ein notwendiger Schutzzweck im Vordergrund. Die Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger ist alles andere als harmlos und nicht mit derjenigen einer Grippe oder anderen Atemwegserkrankungen vergleichbar.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe hat auf Grundlage der vorhanden epidemiologischen Daten SARS-CoV-2 mit Beschluss 1/2020 vom 19.02.2020 in die Risikogruppe 3 nach Biostoffverordnung eingestuft. Diese Einstufung gilt noch heute. Ich verweise auf den Beschluss 11/2023 des ABAS vom 24.05.2023. Dort heißt es:

„Das SARS-CoV-2 Virus wurde in der RICHTLINIE (EU) 2020/739 DER KOMMISSION vom 3. Juni 2020 zur Änderung des Anhangs III der Richtlinie 2000/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Aufnahme von SARS-CoV-2 in die Liste der biologischen Arbeitsstoffe, die bekanntermaßen Infektionskrankheiten beim Menschen hervorrufen, und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1833 der Kommission in die Risikogruppe 3 eingestuft. Dies gilt bis auf Weiteres für alle Varianten.


Diese Einstufung ist für alle Mitgliedsstaaten rechtsverbindlich.


Der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) schließt sich weiterhin der EU-Einstufung an. Die weiteren Entwicklungen zur Einstufung von SARS-CoV-2 werden weiterhin beobachtet und regelmäßig diskutiert. Die Einstufung von SARS-CoV-2 ist entsprechend in der TRBA 462 „Einstufung von Viren in Risikogruppen“ enthalten.“

(abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/ABAS/pdf/SARS-CoV-2.pdf?__blob=publicationFile&v=4)


Die Einordnung erfolgt nicht ohne Grund in der zweithöchsten Risikogruppe. Die Folgen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger sind keineswegs harmlos. So kann man beim RKI hierzu zum aktuellen Stand der Erkenntnisse nachlesen:

„Akut kann sich die SARS-CoV-2-Infektion neben überwiegend milden Symptomen des oberen Respirationstraktes (mit oder ohne Fieber) ab der zweiten Krankheitswoche auch pulmonal im Sinne einer interstitiellen Pneumonie präsentieren, die durch ein Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) kompliziert werden kann. Neben der Lunge können auch andere Organsysteme betroffen sein, was sich in einem breiten Spektrum z.T. schwerwiegender extrapulmonaler Manifestationen äußert (Griffin, 2022; Gupta et al., 2020; Helms et al., 2020). Zugrunde liegende Pathomechanismen beinhalten: (i) Zytolyse, d.h. direkte Schädigung der Wirtszellen durch das replizierende Virus, (ii) eine dysregulierte, überschießende Immunantwort, die zu einem lebensgefährlichen Zytokinsturm führen kann (Schulte-Schrepping, Reusch et al. 2020), (iii) organspezifische Entzündungsreaktionen (Helms, Kremer et al. 2020, Matschke, Lutgehetmann et al. 2020, Abu-Raddad, Chemaitelly et al. 2021, Meinhardt, Radke et al. 2021, Solomon 2021) und (iv) eine Endothelschädigung, die mit Dysregulation des Renin-Angiotensin Systems einhergehen kann und z.B. thrombo-embolische Komplikationen nach sich zieht (Ackermann et al., 2020; Teuwen et al., 2020). Das aktuell seltener gewordene pädiatrische Krankheitsbild PIMS/MIS-C, eine postakute Komplikation, steht mit einer postinfektiösen Dysregulation des Immunsystems im Zusammenhang, bei der ursächlich auch eine überschießende T-Zellaktivierung, möglicherweise infolge von Viruspersistenz, diskutiert wird (Brodin, 2022; Carter et al., 2020). Eine Beteiligung von COVID-19 an der Ätiologie fulminanter Hepatitiden bei Kindern im Sinne einer postinfektiösen Komplikation wird diskutiert (Brodin and Arditi, 2022; Cooper et al., 2022; Kendall et al., 2022).


Die meisten COVID-19-Patienten haben nach einigen Tagen bis Wochen nach der akuten Infektion keine damit in Verbindung zu bringenden Symptome mehr. Bei einigen Menschen treten jedoch, zum Teil nach einer anfänglichen Erholung, eine Vielfalt körperlicher, kognitiver und psychischer Symptome auf. Zu diesen Symptomen gehören unter anderem Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Unwohlsein, Dyspnoe, orthostatische Dysregulation sowie neurokognitive Störungen (Di Gennaro et al., 2022; Lopez-Leon et al., 2021; Nübel et al., 2022). Diese Folgeerscheinungen können langwierig sein, als stark beeinträchtigend erlebt werden, und sich negativ auf die Funktionsfähigkeit im Alltag und die Lebensqualität auswirken. Bei Persistenz oder Neuauftreten solcher Symptome, die nicht anderweitig zu erklären sind, ab 4 Wochen nach einer akuten Infektion spricht man von Long COVID, ab 12 Wochen von Post-COVID-Zustand (RKI - Coronavirus SARS-CoV-2 - Was ist Long COVID?).


Während auch tierexperimentelle Daten auf eine molekulare Pathogenese hindeuten (Frere et al.), sind die zugrundeliegenden Mechanismen bislang unzureichend verstanden, so dass Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen nicht kausaler sondern rein supportiver Natur sind. Pathophysiologisch diskutiert werden neben einer prolongierten Entzündungsreaktion und Autoimmunprozessen auch eine langfristige Viruspersistenz (Mehandru and Merad, 2022). Es gibt Hinweise darauf, dass SARS-CoV-2-Schutzimpfungen mit geringerer Häufigkeit und/oder Ausprägung von Long COVID-Symptomen nach einer Durchbruchinfektion assoziiert ist (Harrison et al., 2022). Die wenigen Studien, die diese Fragestellungen unter Einbeziehung einer Kontrollgruppe untersucht haben, sind jedoch methodisch und im Ergebnis sehr heterogen (Al-Aly et al., 2022; Byambasuren et al., 2022; Notarte et al., 2022).“

(abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Virologische_Basisdaten.html?nn=13490888#doc14716546bodyText3)


Selbst bei milden oder gar symptomlosen Verläufen haben sich erhebliche Schäden nach einer Covid-Infektion gezeigt. So hat z.B. die Innsbrucker Universitätsklinik irreversible Lungenschäden festgestellt, die auf eine Covid-Infektion mit mildem Verlauf in häuslicher Quarantäne zurückzuführen sind, vgl.: https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2020/04/tag-Coronavirus-Lungeschaden-Forschung-Uniklinik-Innsbruck-6708e11e-28dc-4843-a760-e7f926ace61c.html.

Diese Umstände zeigen, dass der Wunsch, sich vor einer Infektion mit diesem Virus zu schützen, absolut vernünftig und rational ist. Das gilt umso mehr, wenn ein Familienmitglied aufgrund eigener Vulnerabilität im Falle einer Infektion schwere gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod befürchten muss.

Die Maske bietet allein oder unterstützt mit einer Impfung immer noch den allerbesten Schutz vor einer Ansteckung. Tatsächlich ist es völlig leichtsinnig, wenn man sich selbst oder andere vor einer Infektion schützen möchte oder muss, sich in der derzeitigen Situation ohne Maske außerhalb der eigenen Wohnung, insbesondere in geschlossenen Räumen ohne Lüftungsanlage, zu bewegen.

2.
Nach alledem wird deutlich, dass das Tragen einer Maske keine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Abgesehen davon, dass der Wunsch einer Familie, sich selbst zu schützen, der Annahme einer Kindeswohlgefährdung schon dem Grunde nach entgegen steht, gibt es keine tragenden Argumente, die beim Tragen einer Maske eine Kindeswohlgefährdung begründen würden und zwar weder aus medizinischer noch sozialer Perspektive.

Wenn Sie zu den Familien gehören, die sich vor einer Infektion schützten wollen oder müssen, ist das derzeit nur durch das konsequente Tragen einer Maske zu erreichen. Lassen Sie sich nicht durch den Vorwurf einer Kindeswohlgefährdung verunsichern. Wenn es Ihrem Kind im übrigen gut geht, liegt keine Kindeswohlgefährdung vor.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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