Leistungen der privaten Krankenversicherung - Erstattungspflicht auch für neue Heilmethoden

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Letztlich Erfolg hatte die Klage eines Patienten, der seinen Prostatakrebs mit hochintensivem fokussiertem Ultraschall (HIFU) behandeln ließ und die Kosten hierfür in Höhe von rund 9.000 € bei seiner privaten Krankenversicherung geltend machte. Bei dieser Methode wird das Tumorgewebe durch starke Hitze (80 bis 100 Grad Celsius) zerstört. Das sachverständig beratene LG Koblenz lehnte den Erstattungsanspruch allerdings unter Hinweis auf fehlende Langzeitdaten zu dieser damals neuen Therapieform ab. Die HIFU-Therapie sei lediglich ein "alternatives experimentelles Verfahren". Als medizinisch notwendige Heilbehandlung seien nur die herkömmlichen Standardverfahren (Operation oder Strahlentherapie) anzusehen.

Das hiergegen angerufene OLG Koblenz hielt letztere Einschränkung nicht für sachgerecht, da ansonsten jeglicher medizinischer Fortschritt unterbunden würde. Vielmehr war nach der ständigen Rechtsprechung des BGH anhand eines objektiven Maßstabs zu prüfen, ob die neue Behandlungsmethode zur Heilung, Linderung oder Verhinderung der Ausbreitung der Erkrankung geeignet war, und ob ihr Einsatz von daher zum Behandlungszeitpunkt „medizinisch vertretbar“ war. Für den Nachweis der so konkretisierten medizinisch notwendigen Heilbehandlung im Sinne von § 1 (2) Satz 1 MB/KK 94 war es vor allem bedeutsam und letztlich auch ausreichend, dass die auf einem wissenschaftlich nachprüfbaren Behandlungsansatz beruhende HIFU-Methode (die also entgegen der insoweit irreführenden Äußerung des Sachverständigen kein "alternatives", sondern ein schulmedizinisches Verfahren darstellt) zum Zeitpunkt der Behandlung bereits in einer Anzahl von etwa 1.500 Fällen mit vielversprechenden Ergebnissen anderweitig erprobt worden war. Dass die Methode noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden war, hinderte die Einstufung als medizinisch notwendige Heilbehandlung nicht. Auch war zu beachten, dass die Wahl unter mehreren vertretbaren Behandlungsmethoden grundsätzlich dem Versicherungsnehmer und dem behandelnden Arzt freisteht. Dies hatte das LG in der Vorinstanz verkannt. Das OLG Koblenz bejahte vor diesem Hintergrund die Erstattungspflicht der PKV (Urteil vom 11.7.08 - 10 U 1437/07 -).

Letztlich eröffnet diese tendenziell großzügige Rechtsprechung dem behandelnden Arzt im Recht der privaten Krankenversicherung bezüglich des (dem Patienten zu unterbreitenden) Vorschlags neuer Heilmethoden einen nicht unbeachtlichen Vertretbarkeitsspielraum. Für die Anwendung einer neuen Heilmethode kann es genügen, wenn aufgrund bisheriger anderweitiger medizinischer Erfahrungen hinreichend plausible Heilungschancen bestehen, auch wenn die Ergebnisse wissenschaftlich noch nicht abgesichert sind und ein fachärztlicher Standard hierzu noch nicht existiert. Die Einschätzung des Arztes muss allerdings einem objektiven Maßstab genügen. Es kommt daher nicht auf die gänzlich subjektive Sicht des behandelnden Arztes, sondern auf die (objektivierte) prospektive Einschätzung eines fachlich qualifizierten und kompetenten Arztes in gleicher Behandlungssituation (ex ante) an. Ob die Behandlung in diesem Sinne "medizinisch vertretbar" war, kann im Erstattungsrechtsstreit freilich wiederum nur mithilfe eines Sachverständigen nachträglich (ex post) festgestellt werden, der sich mithin ex post in die ex-ante-Situation des behandelnden Arztes hineinversetzen und (allein) die damaligen medizinischen Erkenntnisse zugrunde legen muss.

Angesichts dieser anspruchsvollen Aufgabe des Sachverständigen im Rechtsstreit wegen Erstattung der Kosten einer (noch) experimentellen Heilmethode darf nicht vergessen werden, dass die Tätigkeit des behandelnden Arztes in diesem Zusammenhang sehr haftungsträchtig ist. Er muss den Patienten, der hier auch dem wissenschaftlichen Fortschritt dient, über die gegebenenfalls noch unbekannten Risiken der neuen Heilmethode und die Alternativen hierzu besonders sorgfältig aufklären. Aber das ist ein anderes Thema ...

Rechtsanwalt Holger Barth

Fachanwalt für Medizinrecht

www.arztrechtplus.de



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