Leistungsanspruch in der Risiko-Lebensversicherung trotz Falschangaben zu Online-Gesundheitsfragen?

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1. Viele Interessenten einer Risiko-Lebensversicherung ziehen es vor, anstelle eines zur umfassenden Beratung verpflichteten Versicherungsvermittlers (§ 61 VVG) die Online-Portale darauf spezialisierter Lebensversicherer aufzusuchen, um nach Beantwortung einiger Gesundheitsfragen und Zustandekommen des Versicherungsvertrags den Versicherungsschein in den in den Händen zu halten- überwiegend zu deutlich geringeren Monatsprämien als über den Weg des klassischen Vertragsschlusses, was neben der bequemen Handhabung zumeist entscheidendes Motiv zur Erlangung eines summenmäßig doch beträchtlichen Risiko-Schutzes sein dürfte.

Zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Gesundheitsfragen nimmt der Interessent den meistens vorangestellten Hinweis zu Inhalt und Umfang seiner sog. vorvertraglichen Anzeigepflicht betreffend seinen Gesundheitszustand, Lebensgewohnheiten beruflichen Risiken, Einkommenssituation, Freizeitverhalten und geplanten Auslandsaufenthalten einschließlich Beschwerden mehr oder weniger bewusst zur Kenntnis.

Die Rechtsfolgen von unrichtigen und unvollständigen Angaben werden, textlich durch Fettdruck hervorgehoben, meistens wie folgt umschrieben:

„Bitte beachten Sie, dass Sie den Versicherungsschutz gefährden, wenn Sie unrichtige oder unvollständige Angaben machen. Denn eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht kann den Versicherer je nach Verschulden berechtigen, den Vertrag anzufechten, vom Vertrag zurückzutreten, ihn aufzukündigen oder –auch rückwirkend- anzupassen. Dies kann zur Leistungsfreiheit des Versicherers (auch für bereits eingetretene Versicherungsfälle) führen.“…. (Quelle hier: C.....D.....)

Es folgt ein umfangreicher Fragekatalog, der thematisch gegliedert sich auf alle Bereiche möglicher Erkrankungen und Beschwerden erstreckt und entweder mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten ist. Soweit Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, schließen sich Unterfragen zur Abklärung der gesundheitlichen Situation an.

Häufig wird der am Abschluss Interessierte die immensen Auswirkungen, die auch eine eventuell unbeabsichtigte Falschangabe haben kann, in dieser Situation nicht hinreichend erfassen. Hilfestellungen parallel zur online-Fragestellung gibt es nicht in dem gebotenen Umfang. Der „butterweich“ formulierte Hinweis auf die möglichen Folgen unrichtiger oder unvollständiger Angaben verwischt in der konkreten Situation die Erkenntnis, dass jede (!!!) Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht unter den näheren Voraussetzungen der §§ 19 ff VVG zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann. 

Demgegenüber stellt das GdV- Muster einer Belehrung nach § 19 Abs. 5 VVG, wenn auch etwas umfangreich und sperrig, genau darauf ab und bietet dem Interessenten die notwendige Transparenz, um die unterschiedlichen Reaktionen des Versicherers auf je nach Verschuldensgrad und kausalem Zusammenhang getrennt zu betrachtenden Anzeigepflichtverletzungen aufzuzeigen (abgedruckt u.a. bei Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 4. Aufl., S 669 ff.) 

2. Gewiss: Es soll nicht verkannt werden, dass nur die wahrheitsgemäße korrekte Beantwortung der Gesundheitsfragen für den Versicherer eine hinreichende Grundlage zur Risikoeinschätzung bietet, die es ihm ermöglicht, Versicherungsschutz uneingeschränkt oder eingeschränkt gegen Ausschluss bestimmter Risiken bzw. Einschluss bestimmter Risiken gegen Prämienerhöhung einzugehen- oder einen Abschluss bei einem zu hoch erscheinenden Risiko vollständig abzulehnen. 

Erschleicht sich jemand den Versicherungsschutz aufgrund bewusst unrichtiger Angaben, darf dies nicht zu Lasten des Versicherers und der Versichertengemeinschaft gehen. § 22 VVG sieht deshalb im Falle der arglistigen Täuschung, quasi als Relikt des Alles-oder-nichts-Prinzips des alten VVG, ein umfassendes Anfechtungsrecht des Versicherers vor, welches auch dann greift, wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Risikoeintritt und der (absichtlichen) Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht besteht.

Aus generalpräventiven Erwägungen ist dieses Ergebnis akzeptabel, da die §§ 19 ff VVG dem redlichen, wenn auch nicht schuldlos gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht verstoßenden Versicherungsnehmer einen abgestuften und ausgewogenen Schutz gegen Ablehnungsexzesse der Versicherer bieten.

Aber: Ist es wirklich angemessen, hinter jeder Falschbeantwortung gleich Täuschungsabsicht zu vermuten? Die Ursachen hierfür sind deutlich vielschichtiger. Nicht zuletzt tragen viele Versicherer durch fehlende oder unzureichende Online-Hilfestellungen zu Missverständnissen bei, die zur Falschbeantwortung führen. 

3. Von ausschlaggebender Bedeutung wird regelmäßig sein, welches Maß an Verschulden den damals Vertragsinteressierten bei der Verletzung seiner vorvertraglichen Anzeigepflichten getroffen hat. Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit werden regelmäßig vermutet. Daran schließen sich die am meisten einschneidenden Reaktionen des Versicherers, insbesondere Rücktritt vom Vertrag bereits bei grober Fahrlässigkeit an, § 19 Abs. 2 VVG

Es geht also zunächst darum, den Vorwurf des Vorsatzes bzw. der groben Fahrlässigkeit zu entkräften. Anhaltspunkte könnten weit zurückliegende Behandlungsdaten sein, deren Ergebnis nicht schwerwiegend war, sodass das Erinnerungsvermögen daran nicht zu erwarten war. Ein weiteres Argument zur Relativierung des Schuldvorwurfs könnte ein Mitverschulden des Versicherers durch Voranstellung unvollständiger oder gar irreführender Hinweise gem. § 19 Abs. 5 VVG sein. 

Haben demgegenüber in einem überschaubaren, jedenfalls nicht sehr lange zurückliegenden Zeitraum vor der Beantwortung der Gesundheitsfragen Behandlungen bzw. Krankenhausaufenthalte stattgefunden, werden sich andere Erklärungsversuche finden müssen, um die Falschbeantwortung subjektiv nachvollziehbar erscheinen zu lassen.

An dieser Stelle gewinnt die Hinweispflicht des Versicherers erhebliche Bedeutung. Diesem stehen die Rechte aus § 19 Abs. 2 – 4 VVG nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen der Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Gelingt es dem Anspruchsteller, bei Gericht ernsthafte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit des Hinweises zu wecken, ist er seinem Ziel, Versicherungsleistungen zu erhalten, ein großes Stück näher gekommen.

Wie oben dargestellt, verwenden die meisten Online-Risikolebensversicherer Hinweise, die weit hinter der og. Empfehlung des GdV zurückbleiben. Insbesondere erscheint es fehlerhaft, wenn der Versicherer anführt, den Vertrag anfechten zu können, ohne dabei klarstellend einzuschränken, dass diese Anfechtung nur bei arglistigem Verhalten erfolgen kann (§ 22 VVG)

4. Letztlich kann der Begünstigte bei lediglich grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung den Nachweis zu führen versuchen, dass der Versicherer den Vertrag auch in Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte (§ 19. Abs. 4 VVG). An dieser Stelle ist die Vorlage der Risikobeschreibungen des Versicherers zu verlangen.

Ist der Versicherungsfall bereits eingetreten, kann sich eine Leistungsverpflichtung des Versicherers trotz Falschangaben dann ergeben, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht weder auf einen Umstand bezog, der für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich ist (§ 21 Abs. 2 S.1 VVG). Auf erklärten Rücktritt des Versicherers- ist dies eine durchaus sinnvolle Vorgehensweise zur Erlangung der Versicherungsleistung.

5. Nach Eintritt des Versicherungsfalls sieht sich der durch die Risiko-LV Begünstigte hingegen allzu häufig der Situation ausgesetzt, dass der Versicherer jede Falschbeantwortungen von Gesundheitsfragen zum Anlass nimmt, dem Verstorbenen arglistige Täuschung (§ 22 VVG i.V.m § 123 BGB) zum Vorwurf zu machen und mit dieser Begründung den Vertrag anficht.

Für den Versicherer ist diese Vorgehensweise durchaus verlockend. Zwar ist er mit dem Nachweis der arglistigen Täuschung belastet, an diesen werden seitens der Rechtsprechung jedoch keine allzu hohen Anforderungen gestellt, da bereits das Verschweigen eines gefahrerheblichen Umstandes, nach welchem der Versicherer ausdrücklich gefragt hat, den Verschuldensmaßstab in Richtung Arglist verschieben kann. Zudem umgeht er das Risiko, trotz Verstoßes gegen die Anzeigeobliegenheit – jedenfalls mit gewisser Wahrscheinlichkeit und nicht nur im Ausnahmefall. – leisten zu müssen.

Diejenige Person, die den besten Nachweis für das Vorliegen oder Nichtvorliegen arglistigen Verhaltens erbringen könnte, sei es durch Beibringung aussagekräftiger weiterer Beweismittel, Erklärungen oder des persönlichen Eindrucks, steht aber regelmäßig nicht mehr zur Verfügung.

Es wird also für den Anspruchsteller von entscheidender Bedeutung sein, entlastende Umstände, die die Beantwortung der Gesundheitsfragen beeinflusst haben, möglichst genau darzustellen und nachzuweisen, um den Darlegungsdruck auf den Versicherer zu erhöhen.

6. Davon abgesehen  beinhaltet der Kampf um die Arglist aber noch einen anderen sehr wichtigen Aspekt: Viele Versicherer belassen es in ihrem Ablehnungsschreiben dabei, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Ein gesonderter bzw. hilfsweise erklärter Rücktritt i.S.d. § 19 Abs.2-4 VVG fehlt hingegen häufig. Erlangt der Versicherer nun z.B. durch Anforderung von Arztberichten usw. Kenntnis von Tatsachen, die ihn sowohl zu einem Rücktritt als auch –nach seiner Ansicht- zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigen, setzt dies unabhängig von seiner Entscheidung den Fristenlauf des § 21 Abs.1 S.1 VVG in Gang.

Gelingt es dem Versicherer nicht, den Arglistvorwurf nachzuweisen – und hat er innerhalb der og. Monatsfrist von seinen Rechten gem. § 19 Abs.2-4 VVG keinen Gebrauch gemacht – wird er diese Fristversäumnis i.d.R. nicht ungeschehen machen können, was die Chancen des Anspruchstellers, die Versicherungsleistungen trotz Falschangabe zu erlangen, deutlich erhöht.

Zum Abschluss: Kein Mandat ist wie ein anderes. Konkrete, erfolgversprechende Vorgehensweisen lassen sich wie häufig im Versicherungsrecht nur einzelfallbezogen erarbeiten.

Sollten Sie Fragen zur Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen bei der Risiko-LV haben, stehe ich Ihnen zwecks Beratung zur Verfügung.

Kontaktieren Sie meine bundesweit tätige Kanzlei!

Selbstverständlich übernehme ich auch die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung in Ihrer Versicherungsangelegenheit.


RA Dieter W. Schmidt

Ihr Fachanwalt für Versicherungsrecht in Passau


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