Leistungsschutz versus Kompatibilitätsprodukt

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Kompatibilitätsprodukte 

Nachahmungen von Produkten, die keinen Sonderrechtsschutz genießen, sind immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Der Grund liegt im widerstreitenden Interesse, des Inhabers an seinem möglichst umfassenden Leistungsschutz und dem Wettbewerb, entweder den Primärmarkt mit Konkurrenzprodukten beschicken oder im Sekundärmarkt kompatible Zubehör-, Ersatzteil- oder Ergänzungsprodukte anbieten zu können.

Das Problem

Es geht um die Frage, ob ein konkurrierendes Produkt das Leistungsergebnis des originären Produkts nachahmt oder lediglich dessen Leistungsergebnis übernimmt. Manchmal führt an (weitgehender) Leistungsübernahme kein Weg vorbei, z. B., wenn das Leistungsvorbild (weitgehend) technisch funktional bedingt ist. Es geht beim Nachahmungsschutz (in neuerer Zeit) aber auch um die Frage, ob auch Produktnachahmungen betroffen sind, die sich in ihrer Produktart grundlegend unterscheiden (z. B. Schokoladenbär in Goldfolie/Pippi-Langstrumpf-Kostüm als Karnevalsartikel).

Wettbewerblicher Leistungsschutz

Als Nachahmung das ganze oder teilweise Leistungsergebnis eines Dritten als eigene Leistung definiert. Die nachgeahmte Leistung muss allerdings sog. „wettbewerbliche Eigenart“ für sich reklamieren können und es müssen besondere Umstände hinzutreten, aus denen die geforderte Unlauterbarkeit folgt. Zu dieser Unlauterkeit gehören neben der Intensität der Übernahme eine damit verbundene vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft oder eine unangemessene Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts.

Die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts wird getragen von ihrer konkreten Ausgestaltung oder bestimmten Merkmalen, die geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Es sind die besonderen ästhetischen Vorzüge oder technisch originellen Lösungswege, die den Gesamteindruck, den das Produkt erzeugt, bestimmen. So entsteht in Abgrenzung zu anderen Produkten für den betreffenden Bedarf am Markt die Vorstellung, die zu beurteilende Lösung als besonders anzusehen und gleichzeitig auf eine bestimmte Ursprungsquelle zurückzuführen, mag diese selbst auch nicht benannt werden können. Die Rechtsprechung nennt hierzu Indizien, aus denen auf diese Art der Besonderheit geschlossen werden kann, wie eine besondere Marktbedeutung und Bekanntheit, Dauer der Marktpräsenz, Umsatz, Marktanteil und Werbeaufwendungen.

Aus normativen Gründen nicht berücksichtigt wird eine Gestaltung, die technisch notwendig ist, ohne dass technisch gleichwertige Lösungsalternativen zur Verfügung stehen. Solche Gestaltungselemente können keine wettbewerbliche Eigenart begründen. Dies gilt jedoch nicht für technische Gestaltungselemente, die zwar technisch bedingt, aber willkürlich wählbar und austauschbar sind.

Der Begriff der Waren/Dienstleistungen wird weit ausgelegt. Dies können Leistungs- und Arbeitsergebnisse aller Art sein, so zum Beispiel auch fiktive Figuren, die im Wege des sogenannten „character merchandising“ wirtschaftlich verwertet werden.

Angebot einer Nachahmung

Zur weiteren Tatbestandserfüllung der unlauteren Nachahmung muss die Nachahmung ganz oder teilweise als eigene Leistung angeboten werden. Wird im Ergebnis nicht die Leistung eines Dritten vermarktet, sondern eine eigene Leistung angeboten, liegt keine Nachahmung vor. Das gilt auch für eigene Leistungen, die lediglich an das Erzeugnis (= Leistungsergebnis) eines Dritten anknüpfen, wie zum Beispiel die Zusammenstellung und Vermarktung von Teilen von Fußballspielen, die von Dritten aufgezeichnet wurden.

Für die Annahme einer Nachahmung reicht es auch nicht, wenn eine fremde Leistung lediglich als Vorspann für eigene, andersartige Angebote ausgenutzt wird. Das hat der BGH auch angenommen, wenn sich Original und vorgebliche Nachahmung in ihrer Produktart grundlegend unterscheiden. In solchen Fällen dient die Originalleistung lediglich als „Idee“ oder „Vorbild“ und damit als „Handlungsanweisung“ dazu, wie das eigene Angebot aussehen soll. Man spricht hier von „Leistungsübernahme“, obwohl dieser Ausdruck keinen Eingang in den Wortlaut des UWG gefunden hat. Leistungsübernahme ist im Gegensatz zur Nachahmung „Fortentwicklung“ ohne die identische oder nahezu identische Übernahme erkennbar prägender Gestaltungsmerkmale ästhetischer oder technisch origineller Art.

Herkunftstäuschung

Des Weiteren ist die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft eines nachgeahmten Erzeugnisses erforderlich. Die angesprochenen Verkehrskreise müssen auf Grund von Übereinstimmungen oder Annäherungen der die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale den Eindruck gewinnen, die Nachahmung stamme vom Hersteller des Originals, wie immer der auch heißen mag, oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen. Die Täuschung besteht in der Auffassung, das Produkt werde nach wie vor in demselben Unternehmen gefertigt, auch wenn der Inhaber inzwischen möglicherweise gewechselt haben mag und sie besteht so lange, so lange die Produktkontinuität gewahrt ist. Dies setzt voraus, sofern nicht Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden und der Verkehr damit beide unmittelbar miteinander vergleichen kann, dass das nachgeahmte Erzeugnis bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Es reicht bereits eine Bekanntheit, die die Gefahr der Herkunftstäuschung in noch relevantem Umfang ergeben kann.

Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung

Die Herkunftstäuschung muss vermeidbar sein. Sie ist vermeidbar, wenn sie durch geeignete und zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. Ob und welche Maßnahmen zur Verhinderung einer Herkunftstäuschung dem Mitbewerber zugemutet werden können, wird anhand einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt. Bei dieser Abwägung sind unter anderem das Interesse des Herstellers des Originalprodukts an der Vermeidung einer Herkunftstäuschung, das Interesse der Mitbewerber an der Nutzung nicht unter Sonderrechtsschutz stehender Gestaltungselemente sowie das Interesse der Abnehmer an einem Preis- und Leistungswettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern zu berücksichtigen. Regelmäßig liegt kein sachlich gerechtfertigter Grund für eine (fast) identische Übernahme ästhetischer Gestaltungsmerkmale vor, mit denen die angesprochenen Verkehrskreise Herkunftsvorstellungen verbinden, weil den Wettbewerbern in aller Regel ein Ausweichen auf andere Gestaltungsformen und damit ein Abstand zum Original möglich und zumutbar istIst dies auf Grund der besonderen die das Leistungsergebnis bestimmenden Merkmale nicht möglich, kann die Anbringung eines auffälligen Kennzeichens genügen, das auf eine Herstellungsabweichung hinweist.

Problematik kompatibler Konkurrenzprodukte

In der Regel liegt kein sachlich gerechtfertigter Grund für eine (fast) identische Übernahme ästhetischer Gestaltungsmerkmale vor. Mitbewerbern stehen in aller Regel Ausweichmöglichkeiten auf andere Gestaltungsformen zur Verfügung, die einen Abstand zum Original ermöglichen und zumutbar sind. Anders liegt der Fall jedoch, wenn die Abnehmer wegen eines Ersatz- oder Erweiterungsbedarfs ein Interesse an der Verfügbarkeit auch in der äußeren Gestaltung kompatibler Konkurrenzprodukte haben. Dem Interesse der Mitbewerber folgend, diesen Ersatz- und Erweiterungsbedarf durch Elemente, die mit der Produktreihe des Originalherstellers kompatibel sind, zu befriedigen und von dem nicht unter Sonderrechtsschutz stehenden Formenschatz Gebrauch zu machen, dürfen diese Mitbewerber nicht auf Produktgestaltungen verwiesen werden, die die Verkäuflichkeit ihrer Produkte im Hinblick auf den bestehenden Ersatz- und Erweiterungsbedarf beim Originalprodukt einschränken oder gar verhindern. In solchen Fällen sind selbst Herkunftsverwechslungen, die auf übereinstimmenden Formgestaltungen beruhen, hinzunehmen, sofern der Nachahmende Verwechslungen durch andere geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen so weit wie möglich entgegenwirkt.

Im Ergebnis orientieren sich die geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung von Kompatibilitätsprodukten an denselben Möglichkeiten, die sich zur Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung von weitgehend technisch funktionalen Leistungsergebnissen anbieten. Zumutbar können eine abweichende Formgebung oder Optik oder eine auffällige Kennzeichnung am Produkt oder in der Werbung gehören. Ist dies alles nicht möglich, bleibt dem Wettbewerber nichts anderes übrig, als auf eine angemessene Lösung auszuweichen. Genießt das nachgeahmte Produkt Bekanntheit, kann mit der Nachahmung zudem eine unangemessene Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung einhergehen, selbst wenn sie die angesprochenen Verkehrskreise zwar nicht zu täuschen vermag, aber auf einer Anlehnung an die fremde Leistung beruht und eine erkennbare Bezugnahme auf den Leistungsinhaber oder seine Produkte beinhaltet. Die Frage wie der Grad der Anlehnung oder die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, ist im Wege einer Gesamtwürdigung einzelfallbezogen zu beantworten. Grundsätzlich kann schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden Produkts zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderlichen Übertragung der Gütevorstellung führen. Allerdings reicht es nicht aus, wenn lediglich Assoziationen an ein fremdes Produkt und damit Aufmerksamkeit erweckt werden. Herauszufallen aus dieser Problematik scheinen die vorgeblichen Nachahmungen, die sich in ihrer Produktart von ihrem Vorbild grundlegend unterscheiden. Diese Tendenz zeigen BGH–Goldbären; Pippi-Langstrumpf-Kostüm II).


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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