Arzthaftung - 50.000 € für rechten Unterarm

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Treten nach einer Gipsschienenbehandlung Symptome eines Kompartmentsyndroms auf, muss der mit der Nachsorge betraute Hausarzt diese abklären lassen. Bei dem auch Muskelkompressionssyndrom genannten Phänomen tritt infolge eines erhöhten Gewebedrucks eine Verminderung der Durchblutung des Gewebes ein. Die verminderte Durchblutung wiederum kann zu Gewebe- und Organschädigungen führen. Im vorliegenden Fall kam es gar zum Verlust des vollständigen rechten Unterarms.

Ursprünglich lag lediglich eine unfallbedingte Prellung des rechten Unterarms und Ellenbogens vor. Der Arm wurde mittels Gipsschiene ruhiggestellt. Im Rahmen der Nachsorge durch den beklagten Hausarzt zeigte sich eine Woche nach dem Unfall eine deutliche Schwellung an der verunfallten Stelle. Darüber hinaus zeigte sich ein Hämatom sowie eine Bewegungsminderung. Der spätere Kläger litt zu diesem Zeitpunkt auch schon unter erheblichen Schmerzen. Daraufhin ließ der beklagte Hausarzt lediglich die Gipsschiene austauschen und verordnete ein Schmerzmittel (Tilidin – ein Opioid).

Drei Tage später suchte der Kläger die Praxis erneut auf, weil der betroffene Arm dick geschwollen und druckempfindlich war. Diesmal wurde er an einen niedergelassenen Chirurgen überwiesen. Dieser wiederum überwies den Patienten noch am selben Tage in eine Klinik. Dort wurde ein fortgeschrittenes Kompartmentsyndrom am rechten Unterarm diagnostiziert. Im Verlauf der weiteren Behandlung musste der rechte Unterarm des Klägers amputiert werden.

Mit der Begründung, der beklagte Hausarzt hätte die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms zu spät in Betracht gezogen, hat der Kläger S unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro sowie weiteren Schadensersatz verlangt.

Die Klage hatte erst in der zweiten Instanz Erfolg. Der 26te Senat des OLG Hamm war nach sachverständiger Beratung der Auffassung, dass der Hausarzt die Symptome bereits beim ersten Besuch des Klägers in der Praxis habe abklären (lassen) müssen. Das Landgericht Bochum als erste Instanz war noch davon ausgegangen, dass sich ein Behandlungsfehler nicht feststellen lasse. Es berücksichtigte dabei im Rahmen der Beweiswürdigung noch einen Vermerk den der beklagte Hausarzt ca. zwei Jahre nach dem streitgegenständlichen Geschehen gemacht hatte. Der Kläger griff in zweiter Instanz im Wesentlichen die Beweiswürdigung des Landgerichts Bochum an und hatte damit beim OLG Hamm Erfolg.

Der 26te Senat des OLG Hamm war der Auffassung, dass das ca. zwei Jahre nach der Behandlung erstellte Protokoll – also zu einem Zeitpunkt zu dem bereits der im Strafverfahren eingeschaltete Gutachter einen Behandlungsfehler festgestellt hatte – nicht berücksichtigungsfähig sei. Es leide unter einem erheblichen Mangel an Glaubwürdigkeit.

Darüber hinaus seien bereits beim ersten Besuch abklingende Schmerzen zu erwarten gewesen. Stattdessen habe der Kläger sich über zunehmende Schmerzen beschwert. Sowohl Verlauf als auch Intensität der Schmerzen hätten bereits beim ersten Besuch des Klägers in der Praxis deutlich auf ein Kompartmentsyndrom hingewiesen. Denn deutliche Schmerzen, die atypisch heftig für die zugrunde liegende Verletzung sind, Schwellungen im traumatisierten Gebiet und Störungen der Beweglichkeit als Ausdruck motorisch, druckbedingter Nervenstörungen weisen auf ein Kompartmentsyndrom hin. Darauf das der Kläger tatsächlich heftige Schmerzen hatte, deute bereits die Verordnung eines Schmerzmedikaments der Stufe II nach WHO Schema hin, das nur dann verordnet werden darf, wenn Medikamente der Stufe I keine Wirksamkeit zeigen.

Das Vorgehen des Arztes sei auch grob behandlungsfehlerhaft gewesen. Das OLG Hamm ging daher von einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und eingetretenen Folgen – sprich: Amputation des Unterarms – aus. Neben dem materiellen Schadensersatz sei ein Schmerzensgeld von 50.000 EUR angemessen, da der zum Zeitpunkt des Geschehens 48 Jahre alte Kläger den Rest seines Lebens ohne Unterarm leben müsse.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 13.06.2017 – 26 U 59/16


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