Merkantiler Minderwert in der Gebäudeversicherung: OLG Stuttgart, Urteil vom 27.04.2023 - 7 U 295/22
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Im Falle eines versicherten Gebäudeschadens leistet der Versicherer in der Regel die notwendigen Reparaturkosten zum Neuwert, wenn repariert wird. Auch sehen die Bedingungen den Ersatz des merkantilen Minderwerts vor. Doch was ist eigentlich? Die Versicherungsbedingungen sind für den VN oft nicht klar. Das OLG Stuttgart hat versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, im Besonderen, die Ansprüche des VN zu klären. Grund war in dem vorliegenden Fall, dass der Gebäudeversicherer meinte, die auszugleichende Wertminderung betreffe nur eine technische Wertminderung. Davon nicht erfasst sei die Wertminderung für nicht geklärte, nicht klärbare, da etwaig versteckte Mängel im Zuge eines im Übrigen regulierten Brandschadens in einer Eigentumswohnung. Das OLG Stuttgart hat dem VN Recht gegeben:
"...Der merkantile Minderwert ist von der Regelung des § 26 Ziff. 1.2 ... und damit vom Versicherungsschutz umfasst. Diese Regelung ist bei ihrer Auslegung, ob ein merkantiler Minderwert davon umfasst wird, mehrdeutig, weshalb gemäß § 305c Abs. 2 BGB Zweifel zu Lasten des Verwenders - vorliegend der Beklagten - gehen.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (vgl. BGHZ 123,83, 85 = NJW 1993, 2369). Nicht maßgebend ist, was sich der Verfasser der Bedingungen bei der Abfassung vorstellte.
Die Entstehungsgeschichte, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben. Versicherungsrechtliche Überlegungen können allenfalls insoweit berücksichtigt werden, wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen (BGH NJW-RR 1992, 469 = LM H. 6/1992 § 61 VVG Nr. 37 = VersR 1992, 349).
Hiervon ausgehend, erweist sich die genannte Regelung als mehrdeutig, weil für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine Wertminderung, die durch Reparatur nicht auszugleichen ist, nicht nur eine technische, sondern auch eine merkantile Wertminderung, sein kann
aa) Für diese Auslegung spricht zum einen der Wortlaut des § 26 Ziff. 1.2 ..., welcher nicht zwischen einer technischen und einer merkantilen Wertminderung differenziert. Zum anderen stützen auch die Definitionen des technischen und des merkantilen Minderwerts diese Auslegung.
Ein merkantiler Minderwert, den es auch bei Gebäuden geben kann (BGH, Urteil vom 08.12.1977 - VII ZR 60/76 -, VersR 1978, 328), liegt dann vor, wenn nach der Reparatur der Verdacht verborgener Mängel verbleibt und deshalb der Verkehrswert geringer als derjenige einer nicht beschädigten Sache ist (BGH, Urteil vom 28.01.1958 - VI ZR 308/56 -, VersR 1958, 161, 162).
Ein technischer Minderwert bezeichnet dagegen den Schaden, der trotz fachgerechter Reparatur an einer Sache bestehen bleibt und die Gebrauchsfähigkeit einer Sache beeinträchtigt (bereits BGH, Urteil vom 28.01.1958 - VI ZR 308/56 -, BeckRS 1958, 31205523).
Beide Begriffe setzen somit eine Reparatur der beschädigten Sache voraus, welche aber - aus den unterschiedlichen Gründen - nicht ausreichend war.....
bb) Gegen eine Ersatzfähigkeit des merkantilen Minderwerts im Bereich der Neuwertversicherung spricht sich grundsätzlich Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Auflage 1992, R I 19, aus. Dort wird argumentiert, dass im Bereich der Neuwertversicherung ausschließlich an eine technische Wertminderung gedacht sei, denn die Neuwertversicherung gelte für Sachen, die nicht zum Verkauf bestimmt seien, wogegen sich der merkantile Minderwert auf den Verkaufswert beziehe, der aber gerade nicht Versicherungswert sei (so wohl auch Boldt, Merkantile Wertminderung in der Sachversicherung, VersR1976, 127).
Daran ist zutreffend, dass (auch) vorliegend die notwendigen Reparaturkosten nach § 26 Abs. 1 Nr. 1.2 ... auf den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles begrenzt sind und Versicherungswert nach den §§ 9,10 ... der ortsübliche Neubauwert (und nicht der Verkaufswert) ist.
Allerdings erschließen sich diese versicherungsrechtlichen Erwägungen in ihrer Gesamtheit und hinsichtlich ihrer Folgen für den verständigen Versicherungsnehmer nicht (unmittelbar) aus dem Wortlaut des § 26 Ziff. 1.2 ....
Sie haben deshalb bei der vorzunehmenden Auslegung ebenso außer Betracht zu bleiben wie entsprechende eventuelle Vorstellungen der Beklagten als Verfasserin der Versicherungsbedingungen. Dies gilt in gleicher Weise für die von der Beklagten vorliegend angestellten allgemeinen versicherungsrechtlichen Überlegungen, wonach bei einer Neuwertversicherung als reine Sachversicherung ein merkantiler Minderwert als bloßer Vermögensschaden von vornherein nicht ersetzt werde, abgesehen davon, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein merkantiler Minderwert kein Vermögensschaden, sondern Teil des Sachschadens ist (so BGHZ 82, 338, 343 f. =VersR 1982, 283, 284 im Hinblick auf die AKB und § 67 Abs. 1 S. 2 VVG a.F.).
cc) Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom03.08.1993 - 4 U 243/92 -, VersR 1994, 670). Diese Entscheidung hatte u.a. die Prüfung von § 7 Abs. 1b VGB zum Gegenstand, wonach bei beschädigten Sachen die Reparaturkosten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls zu ersetzen sind, höchstens jedoch ihr Verkehrswert. Damit wurde dort eine mit § 26 Ziff. 1.2 ... nicht identische Norm geprüft, weil nach dem Wortlaut der dortigen Bedingungen - soweit wiedergegeben - eine durch Reparatur nicht auszugleichende Wertminderung nicht ersetzt wurde. Die Entscheidung ist damit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Landgerichts München II (Urteil vom 11.06.2021 - 10 O 5471/10) stellt - bei einer mit § 26 Ziff. 1.2 ... identischen Klausel - ohne nähere Begründung lediglich auf einen aus seiner Sicht „klaren und eindeutigen Wortlaut“ ab (aaO, Rn. 25 juris) und verweist auf die genannte - den (vorliegenden) Sachverhalt aber nicht treffende - Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf.
Auch die von der Beklagten zur Stützung ihrer Auffassung herangezogene Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 06.05.2022 - 18 O 101/18 - (Bl. 1 eAkte, Anlagen Beklagte) nimmt zur Begründung der dort vertretenen Auffassung, wonach der Versicherer bei einer im Wortlaut mit der hier verwendeten vergleichbaren Regelung nur den Ersatz einer technischen Wertminderung schulde, nicht hingegen einen etwaigen merkantilen Minderwert, letztlich lediglich Bezug auf diebeiden vorgenannten Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des LG München II, zu denen bereits ausgeführt wurde.
dd) Mithin wird vorliegend auch der den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildende merkantile Minderwert von der Re‐gelung in § 26 Ziff. 1.2 ... erfasst......"
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