Minijobber im Kreuzfeuer: Unbezahlte Stunden und ein Urteil, das Arbeitgeber zittern lässt

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Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg urteilte in einem Fall, bei dem ein Minijobber eine Nachzahlung für ungenutzte Abrufzeiten forderte, basierend auf der Annahme einer 20-Stunden-Woche. Obwohl das Gericht entschied, dass der Arbeitgeber nicht nachzahlen muss, weil der Minijobber aufgrund der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche objektiv nicht leistungsfähig war, hebt das Urteil eine wichtige Problematik hervor: Die Praxis der "Abrufverträge" ohne klare schriftliche Regelung zur wöchentlichen Arbeitszeit birgt ein erhebliches Risiko für Arbeitgeber. Minijobber könnten nach einer Kündigung auf Verzugslohn klagen und Nachzahlungen fordern. Dies kann besonders in Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel existenzbedrohend werden. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung präziser Vereinbarungen in Arbeitsverträgen, um Konflikte und kostspielige Nachforderungen zu vermeiden. Rechtsanwalt Jens-Arne Former rät Arbeitgebern dringend, bestehende Verträge zu prüfen und klare, schriftliche Festlegungen zur Arbeitszeit zu treffen. Durch proaktives Handeln und rechtliche Absicherungen können Arbeitgeber potenzielle Verzugslohnforderungen vermeiden.

von Jens-Arne Former*



Minijobber, die plötzlich tausende Euro Nachzahlung fordern? Für einige Arbeitgeber wurde das Realität. Mit dem jüngsten Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13.09.2024 - 12 Sa 321/24) ist diese Gefahr erneut in den Fokus gerückt. Ein Pizzabote verlangte eine Nachzahlung von rund 3.800 Euro für ungenutzte Abrufzeiten, gestützt auf eine Annahme einer 20-Stunden-Woche. Was wie ein kurioser Einzelfall erscheint, birgt jedoch weitreichende Konsequenzen für die Praxis.


Der Fall: Anspruch auf Verzugslohn für ungenutzte Stunden

Im Kern drehte sich der Fall um einen Minijobber, der neben seinem 38-Stunden-Hauptjob gelegentlich als Pizzalieferant arbeitete. Sein Arbeitsvertrag beinhaltete keine festgelegte Arbeitszeit – der Arbeitsanfall sollte bedarfsgerecht abgerufen werden. Doch im Streitfall berief sich der Kläger auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG), wonach ohne schriftliche Festlegung eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden gilt. Da er in den meisten Wochen deutlich weniger Stunden geleistet hatte, verlangte er eine Nachzahlung für 316,6 „fehlende“ Stunden.


Urteil mit Sprengkraft: Annahme einer 20-Stunden-Woche

Das LAG Berlin-Brandenburg urteilte, dass der Arbeitgeber hier nicht nachzahlen muss, da der Minijobber aufgrund der gesetzlichen Höchstarbeitszeit (48 Stunden pro Woche gemäß § 3 ArbZG) objektiv nicht leistungsfähig war. Dennoch bleibt ein wichtiger Punkt: In der Praxis könnte die Annahme von 20 Wochenstunden als „fiktive Vereinbarung“ gelten, wenn keine klare Regelung getroffen wird. 


Die Tragweite für Arbeitgeber

Warum sollten Arbeitgeber aufhorchen? Viele Betriebe beschäftigen Minijobber ohne klare schriftliche Regelung zur wöchentlichen Arbeitszeit. Durch das Urteil könnten zahlreiche Arbeitgeber Gefahr laufen, für nicht geleistete Stunden in Regress genommen zu werden, wenn Minijobber – besonders nach einer Kündigung – auf Verzugslohn klagen. In diesem Fall könnte das Risiko sogar existenzbedrohend werden, insbesondere in Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel, die auf flexible Minijobber angewiesen sind.


Relevanz für die Praxis: Arbeitgeber haften für ungenutzte Stunden?

In der Praxis gibt es viele „Abrufverträge“ für Minijobber ohne schriftliche Festlegung zur wöchentlichen Arbeitszeit. Das aktuelle Urteil birgt enormes Risiko für Arbeitgeber: Minijobber könnten nach einer Kündigung auf Verzugslohn klagen und Nachzahlungen für die gesamte Beschäftigungszeit fordern. Damit steigt das Risiko für erhebliche, im Extremfall sogar existenzbedrohende Nachforderungen.


Lektion aus dem Urteil: Präzise vertragliche Regelungen

Dieses Urteil zeigt, wie entscheidend präzise Vereinbarungen in Arbeitsverträgen sind. Wenn Arbeitszeiten nicht klar geregelt sind, kann das für Arbeitgeber teuer werden – sogar existenzbedrohend. Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg zeigt: Arbeitgeber, die sich auf „Abrufverträge“ verlassen, könnten plötzlich mit massiven Nachforderungen ihrer Minijobber konfrontiert sein. Dies betrifft besonders Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel, in denen Minijobber häufig flexibel und auf Abruf eingesetzt werden. Arbeitgeber sollten daher bei Minijobs klare, schriftliche Festlegungen zur wöchentlichen Arbeitszeit treffen, um solche Konflikte und kostspieligen Nachforderungen zu vermeiden. Ein früheres Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 10.08.2022 – 5 AZR 154/22) bestätigt dies indirekt: Auch dort führte eine unklare Anweisung zu Annahmeverzug und zur Zahlungspflicht des Arbeitgebers. Das BAG entschied, dass ein Arbeitgeber Annahmeverzug riskiert, wenn er selbst eine faktische Arbeitsverhinderung herbeiführt, z. B. durch unklare oder unbillige Weisungen.


Fazit für Arbeitgeber: Handeln Sie proaktiv

Klare, schriftliche Vereinbarungen sind unverzichtbar. Arbeitgeber sollten alle bestehenden Verträge prüfen und sicherstellen, dass Minijobber nicht mit offenen Zeitfenstern ohne klare Stundenregelung arbeiten. Andernfalls könnten Minijobber sich bei Unstimmigkeiten auf Verzugslohn berufen – ein Szenario, das durch dieses Urteil alles andere als abwegig erscheint.

Tipp: Sichern Sie sich rechtlich ab, um Verzugslohnforderungen zu vermeiden.



Über den Autor

Rechtsanwalt Jens-Arne Former ist Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Als Gründungspartner von LFR Wirtschaftsanwälte berät er seit über 20 Jahren Unternehmer, leitende Angestellte, und Arbeitnehmer bei arbeitsrechtlichen rechtlichen Fragestellungen. Ihr besonderer Fokus liegt auf der Konfliktlösung und dem Schutz von Gesellschafterrechten.


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