Mit wem spreche ich? Die s.g. „Scheinvollmacht“ bei grenzüberschreitenden Geschäften

  • 3 Minuten Lesezeit

 

Das bekannte Sprichwort „Zeit ist Geld“ wurde durch Benjamin Franklin bereits im Jahr 1748 geschaffen. Seitdem wird es in meisten europäischen Sprachen verwendet; diese Redewendung gibt’s sogar auch auf Chinesich (一寸光阴一寸金).

Jeder Kaufmann kennt es gut. Der Druck, schnell Geschäfte abzuschließen, hat in den letzten Jahren nicht nur wegen erheblichem Rückgang der Sparzinsen, die in nunmehr effektiv bei 0% liegen, sondern auch wegen massiver Veränderungen in den Kommunikationswegen, noch weiter genommen.

Alles funktioniert sehr gut, solange die Lieferungen rechtszeitig ankommen, Transporte ausgeführt werden und Zahlungen dem Bankkonto gutgeschrieben werden. Unterbleibt dies, in der Praxis gibt’s meistens drei Hauptgründe:

a) Es handelt sich um einen Betrug,

b) es tauchen Liquiditätsprobleme bei unserem Vertragspartner oder

c) Sie mit einer unberechtigten Person gesprochen, die vielleicht auch nur gutgläubig Ihrem Unternehmen helfen wollte, aber im Nachhinein nicht unbedingt auf Akzeptanz der Vorgesetzten hoffen kann.

In diesem Betrag besprechen wir diese letzte Variante, welche wegen der COVID-19 Epidemie und Einschränkungen in der Mobilität zum beachtlichen Problem geworden ist. Also, was ist zu machen, wenn wir ein Geschäft eingegangen sind, ohne sorgfältig die Vertretungsregeln unseren Vertragspartners zu prüfen? Ist der Vertrag auch dann nichtig, wenn wir offiziell, etwa mittels einer Firmenemail mit der entsprechenden second-level domain angeschrieben wurden? Wie sieht es aus, wenn Sie grenzüberschreitende Geschäfte in Europa machen? Ist immer ein solches Geschäft nichtig und müssen Sie Ihren Geldern oder Waren hinterher laufen?

Nicht immer. Viele europäische Rechtsordnungen kennen den Begriff der Scheinvollmacht („apparent authority“).

Dieses Rechtsinstitut ist sowohl in Deutschland[1], wie als auch in Großbritannien[2], in den Niederlanden[3], in Spannien[4] oder in Polen[5] bekannt. Um kurz das Wesen dieser Rechtsfigur zu erläutern, wird hier ein Ausschnitt aus dem BGH Urteil vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 289/09 zitiert:

Eine Anscheinsvollmacht ist dagegen gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters (…) Allerdings greifen die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht in der Regel nur dann ein, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist.“

Kraft einer Scheinvollmacht kann eine Person, die ihm Nahmen eines Anderen handelt ohne dazu bevollmächtigt zu sein, etwa ein Mitarbeiter eines Unternehmens, unter bestimmten Voraussetzungen wirksam Willenserklärungen, etwa Annahmen der Angebote, für den Vertretenen, also z. B. für ein Unternehmen, welches als eine Handelsgesellschaft agiert, abgeben.

Es wäre ein vertiefter, mehrseitiger wissenschaftlicher Aufsatz notwendig, um diese Voraussetzungen in verschiedenen Rechtsordnungen der wichtigsten Handelspartner Deutschaland grundlegend zu analysieren. Ohne den Einspruch auf Vollständigkeit zu erheben, lässt sich jedoch vereinfacht sagen, dass es in allen diesen Ländern aber wohl zwei - neben weiteren spezifischen Voraussetzungen - gemeinsame Bedingungen gibt, die immer einzuhalten sind:

a) auf die mutmaßliche Befugnis darf man nicht bei allererstem Kontakt mit einem neuen Vertragspartner vertrauen

sowie

b) die auf die Bevollmächtigung vertrauende Person muss eine gewisse Sorgfalt, gemessen an den Umständen des Falles, immer darbringen. Es darf nicht „ins Blaue hinein“ geglaubt werden, die Drittperson sei ein rechtmäßiger Vertreter.

Diese Sorgfalt bedeutet nicht weniger als kritisch nachzufragen und nach entsprechenden Unterlagen, die auch als einfache Bilder auf What’s app übermittelt werden könnten, zu fordern und diese entsprechend auszuwerten.

Daher, statt immer nur nach dem Motto Zeit ist Geld zu handeln, lohnt es sich Sie Geschäftsleben auch ein anderes, altes Sprichwort der klugen Griechen und Römer zu berücksichtigen: σπεῦδε βραδέω, Lateinisch: Festina lente. Eile mit Weile - und denken Sie ein paar Sekunden mit dem, mit wem Sie sprechen und prüfen Sie es.

[1] Vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 289/09

[2] Vgl. Thanakharn Kasikorn Thai Chamkat (Mahachon) v Akai Holdings Ltd (in liquidation) [2010] HKCFA 63, LNOC v Watford  [2013] EWHC 3615 (Comm) Case No: 2012 FOLIO 1264]

[3] Vgl. GWK Bank NV v. Cadform, C 01/018

[4] Vgl. STS de 22/10/2014 (Recurso 3088/2012)

[5] Vgl. I CSK 598/13.



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Marcin Byczyk

Beiträge zum Thema