Morbus Sudeck falsch behandelt: 15.000 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 28.10.2014 hat sich ein Chirurg aus Paderborn verpflichtet, an meine Mandantin einen Betrag in Höhe von 15.000 Euro sowie außergerichtliche Anwaltskosten (2,0-Geschäftsgebühr) aus dem Erledigungswert von 15.000 Euro zu zahlen.

Die am 29.05.1954 geborene medizisch-technische Angestellte unterzog sich am 08.10.2007 unter der Diagnose „Halux valgus li., Stockwarz MTP III dorsal“ einer Operation nach Chevron durch den beklagten Chirurgen (Retrocapitale Chevronumstellungsosteotomie links, Operation einer Krallenzehe der 2. Zehe sowie Extirpation einer Stechwarze). Die Weiterbehandlung durch den Belegarzt erfolgte ab 17.10.2007 mit untersuchenden Kontrollen des Operationsergebnisses am 17.10., 18.10., 19.10., 22.10. und 30.10.2007. Am 30.10.2007 und 16.11.2007 erfolgte die Verordnung von physiotherapeutischer Therapie. Am 29.11.2007 fand sich eine mäßig lokale Schwellung mit mäßig lokaler Überwärmung. Als Diagnose vermerkte der Beklagte: Verdacht auf Morbus Sudeck.

Auf den Röntgenbilder vom 29.11.2007 zeigten sich gelenksnahe und gelenkübergreifende zystische Entkalkungen im Bereich der Großzehengrundgelenke, besonders am Großzehengrundgelenk, die den Verdacht neben der klinischen Symptomatik auf einen Morbus Sudeck erhärteten. Der Chirurg verordnete Calcitonin ratiopharm, das die Mandantin als Nasenspray täglich zweimal für etwa zwei Wochen nehmen sollte. Bis auf eine verkrustete Nase erbrachte dies keinen Effekt. Am 06.12.2007 erfolgte eine Überweisung ins Krankenhaus. Nach dem handschriftlichen Befundbericht vom 10.12.2007 ergab sich ein Druckschmerz und Schwellung im Bereich des Fußrückens. Haut überwärmt und glänzend. Die Funktion des linken Großzehengrundgelenkes war schmerzhaft eingeschränkt. Es wurde ebenfalls der Verdacht auf Morbus Sudeck geäußert.

Am 10.12. und 19.12.2007 verordnete der Arzt nochmals Calcitonin. Da sich die Beschwerden weiter verschlechterten, suchte die Mandantin am 28.12.2007 einen weiteren Orthopäden auf, der eine Calcitonin-Behandlung als subkutane Spritze verordnete. Im gesamten Januar 2008 sind wechselnde Schmerzen, Schwellzustände und Blauverfärbungen des linken Vorfußes dokumentiert.

Erst Ende Januar 2008 therapierte ein weiterer Nachbehandler die Mandantin mit Calcitonin 100 täglich über drei Wochen, Kalzium 500 mg sowie Krankengymnastik und ASS. Eine Befundbesserung konnte nicht mehr erreicht werden. Bis zum heutigen Zeitpunkt leidet die Mandantin unter Schmerzen im Fuß und Missempfindungen.

Sie kann keine Wärme am linken Fuß ertragen, geht in Schuhen meistens ohne Strümpfe. Sie könne kaum sitzen, stehen und liegen. Sie nehme wieder Lyrica 75mg, ein massives Schmerzmittel. Ihr Fuß sei schmerzend heiß, im Gegensatz zu dem gesunden rechten. Dies führe dazu, dass sie mit einem Fuß unter der Bettdecke, mit dem anderen darüber schlafen müsse. Sie habe auch begonnen, ihr Haus umzurüsten, von der Fußbodenheizung auf normale Zentralheizung mit Heizkörpern, da sie die Wärme am Fuß nicht aushalte könne. Der Fuß sei immer noch verfärbt, ansonsten sei der Zustand seit dem Jahre 2007 bis heute konstant gleich schlecht.

Der gerichtliche Sachverständige, leitender Oberarzt einer Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, hat ausgeführt: Aufgrund der Diagnose Morbus Sudeck sei die Gabe von Calcitonin allein nicht ausreichend gewesen. Bei dem Krankheitsbild Morbus Sudeck handele es sich um ein komplexes Krankheitsbild, das eine diesem komplexen Bild angemessene ebenfalls komplexe Behandlung erfordere. Den Behandlungsunterlagen des Beklagten sei nicht zu entnehmen, welche Schmerzmittel er wann und in welcher Dosierung der Klägerin verordnet habe. Die Medikation habe definitiv nicht ausgereicht, weil die Klägerin weiter unter Schmerzen gelitten habe.

Ein Morbus Sudeck erfordere die Aufstellung eines im jeweiligen Einzelfall angemessenen Behandlungsregimes, das eine letztlich suffiziente Behandlung der Beschwerdesymptomatik gewährleiste. Calcitonin sei jedenfalls allein keine ausreichende Behandlung eines Morbus Sudeck, zumal bei der Verordnung als Nasenspray die Resorption fraglich sei. Wichtig sei die frühzeitige und suffiziente Therapie nach einem individuellen Behandlungsschema, das dann im weiteren Behandlungsverlauf kontrolliert werden müsse.

Es bestehe Einigkeit darüber, dass eine suffiziente Schmerztherapie durchgeführt werden müsse, ergänzend gefäßregulierende Medikamente gegeben werden müssten, hinzu käme eine Physio-, ggf. sogar eine Psychotherapie und Psychopharmaka. Jeder Morbus Sudeck, den der Sachverständige behandelt habe, sei nach einer suffizienten Therapie letztendlich zur Ausheilung gebracht worden. Wäre die Mandantin nach diesem Stufenplan engmaschig kontrolliert und behandelt worden, wäre auch bei ihr die Ausheilung der Krankheit durchaus möglich gewesen.

Die Kammer hat ausgeführt: Der Sachverständige habe zwar einen Behandlungsfehler bei der Behandlung des unstreitig festgestellten Morbus Sudeck bejaht. Ob durch diese Behandlung ein Schaden hervorgerufen worden sei, lasse sich nicht hinreichend beurteilen. Der Sachverständige habe mitgeteilt, auch bei ordnungsgemäßer Behandlung könne es in einigen Fällen zu keiner Besserung der Krankheitssymptome kommen.

Allerdings habe der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei der Nichteinhaltung der Behandlung der Morbus Sudeck-Regeln um einen Verstoß „gegen elementare Behandlungsregeln" handele. Bei der Annahme eines groben Behandlungsfehlers greife für den Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Primärschaden generell eine Beweislastumkehr ein. Die Kausalität werde vermutet. Der Beklagte müsse beweisen, dass der Behandlungsfehler nicht für die Schädigung ursächlich geworden sei. Dieses könne der Beklagte nicht.

Materielle Schäden wollte das Landgericht Bielefeld nicht zusprechen: Die Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler komme der Klägerin nur für die Annahme des Primärschadens zugute. Es werde also vermutet, dass der Primärschaden (Körperschaden) aufgrund des groben Behandlungsfehlers eingetreten sei, der grobe Behandlungsfehler also ursächlich für den Primärschaden war. Sekundärschäden seien alle sonstigen Schadensfolgen wie Heilbehandlungskosten, Nachbehandlungskosten, Mehrbedarf, Erwerbsschaden und Haushaltsführungsschaden.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Sekundärschäden trage grundsätzlich der Patient. Die Beweislastumkehr erstrecke sich nur auf den sogenannten Primärschaden, nicht aber auch auf die haftungsausfüllende Kausalität, auf den sogenannten Sekundärschaden (Verdienstschaden, Haushaltsführungsschaden usw.). Aus diesem Grund wollte die Kammer den Verdienstschaden nicht zusprechen. Es sei nicht hinreichend geklärt, ob der jetzige Zustand in Form von Verdienstschäden usw. auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sei. Der Klägerin käme keine Beweiserleichterung zugute.

Die Parteien haben aufgrund dieses Hinweises den Abfindungsvergleich in Höhe von 15.000 Euro geschlossen.

(Landgericht Bielefeld, Vergleichsbeschluss vom 28.10.2014, AZ: 4 O 369/10)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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