Muss der Nachlasspfleger ein Aktiendepot auflösen?

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Das Problem

Verstirbt ein Mensch und hinterlässt ein Vermögen, ohne dass sofort klar ist, wer seine Erben sind, so ist in der Regel eine Nachlasspflegschaft einzurichten. Dies ist landläufig mit der Vorstellung verbunden, dass der Nachlasspfleger zulasten des Nachlasses keine Risiken eingehen darf. Das ist sicherlich richtig, aber wie zu verfahren, wenn im Nachlass schon eine Risikoposition, z. B. ein großes Aktiendepot, vorhanden ist? 

Hier bietet ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 20. April 2020 (3 W 37/20), das auch schon die jüngsten Turbulenzen am Aktienmarkt berücksichtigen konnte, interessante Hinweise. 

Der Sachverhalt

Im Nachlass, dessen Verwaltung ein Nachlasspfleger übernommen hatte, befand sich neben Immobilien und Sparkonten ein Aktiendepot von über 1 Million €. Der Nachlasspfleger beantragte die gerichtliche Genehmigung zur Auflösung des Depots. Diesen Wunsch begründete er damit, dass aufgrund der Schwankung des Depots bzw. der einzelnen Depotwerte ein Anlagerisiko bestünde, das durch die Veräußerung vermieden werden könne. 

Während des Verfahrens entwickelte sich das Depot im Jahr 2019 ausgesprochen positiv, im September 2019 wurde der Antrag zurückgewiesen wurde. Auch die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. 

Das Urteil

Das OLG Braunschweig ging davon aus, dass eine derartige Auflösung des Depots nicht im Interesse der unbekannten Erben sei. Zwar sei es Aufgabe des Nachlassverwalters, die Vermögensinteressen der unbekannten Erben auch dadurch wahrzunehmen, dass er den Nachlass vor Verlusten sichere. Die Erhaltung sei dabei regelmäßig wertbezogen zu betrachten und daher auch im Hinblick auf das im Nachlass enthaltene Wertsteigerungspotenzial zu bewerten. 

Entsprechend bestünde keine generelle Pflicht zur Umschichtung von nicht mündelsicheren Kapitalanlagen wie Aktien. Jedenfalls gelte dies dann, wenn die die Zusammensetzung des Nachlasses das eingegangene Risiko als vertretbar erscheinen lasse. Zudem hat das Gericht auch darauf hingewiesen, dass selbst bei Risiken, die sich realisieren, eine Gesamtauflösung eines Aktiendepots nicht infrage komme. Vielmehr wäre dann bei einzelnen Aktien zu prüfen, ob das Risiko in dieser konkreten Aktienposition nicht mehr tragbar sei.

In einem Schlussabsatz verweist das Gericht im Hinblick auf die turbulente Kursentwicklung infolge der Corona-Krise darauf, dass selbst diese Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt keinen Anlass geben, das Depot insgesamt aufzulösen und auf diese Weise entstandene Buchverluste zu realisieren. Gegebenenfalls müsse der Nachlassverwalter professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. 

Die Analyse

Andreas Keßler, Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Erbrecht aus Bad Vilbel bei Frankfurt am Main, weist darauf hin, dass das Urteil letztendlich aus Sicht des Nachlasspflegers wohl erfreulich ist, obwohl sein ursprünglicher Antrag in zwei Instanzen zurückgewiesen wurde. 

Das Gericht stellt zu seinen Gunsten fest, dass eine Verpflichtung zum Verkauf von Aktien gerade nicht besteht. Dies ist erstaunlich, da das Gericht mit Argumentationsketten, die aus dem Handbuch eines Vermögensberaters einer Bank stammen könnten, den Abbau von Risiken zugunsten der unbekannten Erben hinter das Marktpotenzial, das in Aktien vorhanden sein soll, zurückgestellt. Die Arbeit des Nachlasspfleger macht dies jedenfalls leichter und reduziert wohl auch seine Haftungsrisiken. 

Andreas Keßler


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