Neue Rechte der Betroffenen im Bußgeldverfahren!

  • 5 Minuten Lesezeit

Es lohnt sich mehr denn je, einen Bußgeldbescheid überprüfen zu lassen. Insbesondere wenn ein Punkt oder gar ein Fahrverbot droht, gibt eine eine ganz aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgericht dem Betroffenen ganz neue Möglichkeiten zur Überprüfung der Messung.

Mit einem heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die den Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu Informationen betrifft, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. 

Der Beschwerdeführer begehrte zunächst im Rahmen des behördlichen Bußgeldverfahrens erfolglos Zugang zu Informationen, unter anderem der Lebensakte des verwendeten Messgeräts, dem Eichschein und den sogenannten Rohmessdaten, die sich nicht in der Bußgeldakte befanden. 

Der gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch blieb vor den Fachgerichten erfolglos. Der begehrte Zugang zu den Informationen wurde dem Beschwerdeführer auch vom Amts- und Oberlandesgericht vor seiner Verurteilung nicht gewährt. 

Das Bundesverfassungsgericht stellt nun klar, dass die Entscheidungen des Amts- und Oberlandesgerichtes den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Wie war der Sachverhalt der der Entscheidung zugrunde lag?

Der "Geblitzte" beantragte im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung Einsicht unter anderem in die gesamte Verfahrensakte, die Lebensakte des Messgerätes, die Bedienungsanleitung des Herstellers und in den Eichschein des verwendeten Messgerätes . 

Zudem verlangte er die Herausgabe der Rohmessdaten der gegenständlichen Messung . 

Die Bußgeldstelle gewährte ihm und seinem Verteidiger zwar Einsicht in die Bußgeldakte, die neben dem Messprotokoll und dem Messergebnis auch den Eichschein des eingesetzten Messgerätes enthielt. Die Bedienungsanleitung zu dem verwendeten Messgerät wurde dem Beschwerdeführer als Datei auf der Internetseite der Bußgeldstelle zugänglich gemacht. 

Bezüglich der übrigen angefragten Informationen teilte die Behörde mit, dass diese nicht Bestandteil der Ermittlungsakte seien und nur auf gerichtliche Anordnung vorgelegt würden.

Gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein und wiederholte sein Gesuch. 

In der Hauptverhandlung wies das Amtsgericht die Anträge des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Hauptverhandlung und gerichtliche Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 238 Abs. 2 StPO zurück und verurteilte den angeblichen Temposünder wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h zu einer Geldbuße. Zudem sprach das Gericht ein einmonatiges Fahrverbot aus. 

Der begehrte Zugang zu den Informationen wurde dem Beschwerdeführer zuvor nicht gewährt. 

Das Amtsgericht führte zur Begründung der Verurteilung aus, bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem zum Einsatz gekommenen Messgerät handele es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren. Das Gerät sei geeicht gewesen und durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt worden. Die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts sei damit indiziert. Konkrete Anhaltspunkte, die geeignet wären, Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder der sachgerechten Handhabung des Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen, seien im Rahmen der Hauptverhandlung nicht entstanden. 

Das Oberlandesgericht Bamberg verwarf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde und führte unter anderem aus, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht vorliege, da es allein um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht gehe. Der Betroffene habe im Verfahren ausreichende prozessuale Möglichkeiten, sich aktiv an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. Eine Beiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen sei allerdings unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt geboten.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch die Fachgerichte.

Die wesentlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgericht

Die Kammer sah diem Verfassungsbeschwerde als begründet an.

Zwar sei es von Verfassungs nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen sind.

Bei diesen Messverfahren sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geringere Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte zu stellen. 

Bei standardisierten Messverfahren sind daher im Regelfall – ohne konkrete Anhaltspunkte für eventuelle Messfehler – die Feststellungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts reduziert. 

Dem Betroffenen bleibt aber die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Hierfür muss er konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen. 

Aber aus dem Recht auf ein faires Verfahren folge auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. 

Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehrt, die sich außerhalb der Gerichtsakte befinden, um sich Gewissheit über seiner Entlastung dienende Tatsachen zu verschaffen, ist ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt. Jedoch sei eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen, um eine uferlose Ausforschung, erhebliche Verfahrensverzögerungen und Rechtsmissbrauch zu verhindern. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf.

Die Verfassungsrichter führten aus, dass sich der Betroffene nur mit den Erkenntnissen erfolgreich verteidigen kann, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Ermittelt der Betroffene oder sein Verteidiger konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. 

In dem Verfahren konkreten Verfahren hattendie Fachgerichte verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Betroffenen grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt. 

Neue Möglichkeiten für die Verteidigung

Dieses - vom saarländischen Verfassungsgerichthof bereits 2018 festgestellte Recht des Betroffenen - eröffnen der Verteidigung neue Möglichkeiten. Durch den Zugang zu Wartungsprotokollen und Rohmessdaten gibt es nun die Chance durch einen Sachverständigen die Messergebnisse überprüfen zu lassen. Während bisher nur das Messergebnis die Grundlage der Verurteilung war, kann jetzt auch auf die Daten zugegriffen werden, die die mathematische Grundlage dieser Messung waren.

Es empfiehlt sich daher mehr denn je, einen Anwalt einzuschalten, wenn man der Messung keinen Glauben schenkt oder gar ein Punkte oder ein Fahrverbot droht.   

Foto(s): https://www.autobild.de

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Torsten Thiel LL.M.

Beiträge zum Thema