Ordentliche Kündigung trotz Krankheit in Kleinbetrieben? LArbG Nürnberg zieht klare Grenzen und klärt Maßregelungsverbot

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Sachverhalt

Im Zentrum des hier vorgestellten Verfahrens (LArbG Nürnberg, Urteil vom 10.03.2023 – 8 Sa 340/22, veröffentlicht in BeckRS 2023, 12019) stand die Frage, ob eine ordentliche Arbeitgeberkündigung in einem Kleinbetrieb wirksam sein kann, wenn sie zeitlich mit einer Krankmeldung des Arbeitnehmers zusammenfällt. Kleinbetriebe nehmen in Deutschland hinsichtlich des Kündigungsschutzes bekanntlich eine Sonderstellung ein. Hier gilt das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur eingeschränkt, sodass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln (insbesondere §§ 242 und 138 BGB) verwiesen sind.

Im konkreten Fall war der Kläger seit mehreren Jahren (mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen) als Fahrer und zeitweise als Disponent in einem kleinen Transportunternehmen beschäftigt. Das Unternehmen hatte jedoch weniger als zehn Arbeitnehmer, sodass das Kündigungsschutzgesetz gemäß § 23 Abs. 1 KSchG nicht anwendbar war. Nachdem der Mitarbeiter sich krankmeldete und angab, sich möglicherweise in Quarantäne begeben zu müssen, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich, verbunden mit der gesetzlichen Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer meinte daraufhin, dass diese Kündigung eine unzulässige Maßregelung nach § 612a BGB darstelle, weil sie allein auf seine Krankmeldung und seinen Hinweis zur Quarantänepflicht zurückzuführen sei.

Zur Vorgeschichte trug der Arbeitnehmer vor, sein Arbeitgeber habe ihn mehrfach gedrängt, trotz möglicher Infektion oder Quarantäneanordnung seine Arbeit fortzusetzen. Er habe anfänglich aus Angst vor einer Entlassung tatsächlich weitergearbeitet. Als er sich jedoch endgültig krankmeldete, habe er nur kurze Zeit später die Kündigung erhalten. Nach Ansicht des gekündigten Mitarbeiters sei dies ein typischer Fall einer Maßregelungskündigung. Eine derart enge zeitliche Nähe zwischen Krankmeldung und Kündigung lege den Verdacht nahe, dass das Fernbleiben infolge Krankheit das „tragende Motiv“ gewesen sei.

Der Arbeitgeber hingegen stützte sich auf wirtschaftliche Gründe. Er verwies darauf, dass das Unternehmen in den vergangenen Jahren mit einem Umsatzrückgang und sogar negativen Betriebsergebnissen zu kämpfen hatte. Bereits vor der Krankmeldung habe festgestanden, dass man Personal abbauen müsse. Da es sich um einen kleinen Familienbetrieb handle, stünden bei der Personalentscheidung auch familiäre Aspekte und die Frage nach der betrieblichen Organisationsstruktur im Vordergrund. Die Wahl sei auf den Kläger gefallen, der die kürzeste Betriebszugehörigkeit und nach Darstellung des Arbeitgebers weniger breite Einsatzmöglichkeiten als andere Beschäftigte habe.

Während der Arbeitnehmer umfangreich schilderte, wie stark ihn die kurzfristige Kündigung im Verdacht einer unzulässigen Sanktion bestätige, stellte sich das Arbeitsgericht in erster Instanz auf die Seite des Arbeitgebers und hielt die Kündigung für wirksam. Das Urteil wurde vom Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigt.

Entscheidung

1. Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg betonte zunächst, dass das Kündigungsschutzgesetz gemäß § 23 Abs. 1 KSchG im vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung finde. Der Betrieb beschäftigte weniger als zehn Arbeitnehmer. In solchen Konstellationen besteht kein allgemeiner Kündigungsschutz nach § 1 KSchG. Das bedeutet, dass eine Kündigung nicht nach den Kriterien der sozialen Rechtfertigung geprüft wird.

2. Kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB)

Der Arbeitnehmer sah in der Kündigung eine unzulässige Maßregelung, weil sie sich unmittelbar an seine Krankmeldung bzw. sein Fernbleiben von der Arbeit anschloss. Das LArbG hat hierzu ausgeführt, dass das Kranksein an sich keine „Rechtsausübung“ im Sinne von § 612a BGB sei. Wer krankgeschrieben ist, übt nicht bewusst ein Recht aus, sondern ist schlicht außerstande, zu arbeiten. Erst wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit zur Arbeitsleistung zwingt und unmittelbar danach bei Weigerung kündigt, könne man von einer Maßregelung sprechen. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer zwar vorgetragen, dass der Arbeitgeber ihn zu weiterer Arbeit drängen wollte, er aber dennoch zunächst freiwillig weitergefahren sei und erst später eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte.

Das Gericht stellte klar: Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigung ist für sich genommen kein ausreichender Beweis für eine unzulässige Sanktion. Zudem sei eine Kündigung im Kleinbetrieb – selbst wenn sie während oder wegen einer Erkrankung ausgesprochen wird – nicht automatisch als Verstoß gegen § 612a BGB anzusehen. Dazu müssten weitere Umstände hinzutreten, die eindeutig zeigten, dass der Arbeitgeber ausschließlich und gezielt die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers sanktionieren wolle.

3. Kein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Auch die Generalklausel des § 242 BGB („Treu und Glauben“) wurde im Urteil herangezogen. Außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes findet nur eine eingeschränkte Überprüfung durch die Gerichte statt: Arbeitgeber in Kleinbetrieben dürfen kündigen, solange sie nicht willkürlich oder sittenwidrig handeln. Ein gewisses Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme ist jedoch zu wahren.

Das LArbG erkannte, dass die unternehmerische Entscheidung, bei nachweisbaren Umsatzrückgängen oder Verlusten Personal abzubauen, ein legitimer Grund sei und keinesfalls willkürlich. Da der Kläger zudem der Mitarbeiter mit der kürzesten Betriebszugehörigkeit war und andere Beschäftigte über Ausbildungen bzw. spezifisches Know-how verfügten, sei die konkrete Auswahl nicht zu beanstanden.

Das Gericht hob hervor, dass insbesondere bei einem inhabergeführten Kleinbetrieb familiäre Interessen oder langjährige Betriebszugehörigkeiten der übrigen Mitarbeitenden stärker ins Gewicht fallen können. Die Darlegungs- und Beweislast, dass die Kündigung dennoch treuwidrig oder auf sachfremden Motiven basiere, liege allein beim Kläger. Dieser konnte nach Auffassung des Gerichts nicht nachweisen, dass der Arbeitgeber lediglich einen Vorwand suchte, um einen unliebsamen Mitarbeiter loszuwerden.


Praxishinweise

  1. Besonderheiten im Kleinbetrieb:
    Wer in einem Kleinbetrieb mit regelmäßig weniger als zehn Beschäftigten arbeitet, genießt keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG. Das bedeutet, dass eine Kündigung nicht am Maßstab der sozialen Rechtfertigung gemessen wird. Für betroffene Arbeitnehmer ist es daher oft erschreckend, wie vergleichsweise leicht das Arbeitsverhältnis beendet werden kann. Dennoch gilt auch hier, dass Kündigungen weder sitten- noch treuwidrig sein dürfen (§§ 138, 242 BGB). Das ist jedoch eine hohe Hürde.

  2. Krankheit ist keine „Rechtsausübung“:
    Das Maßregelungsverbot des § 612a BGB setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ein Recht (z.B. ein Weigerungsrecht, Vergütungsansprüche, Beschwerderechte etc.) in zulässiger Weise ausübt und deswegen vom Arbeitgeber benachteiligt wird. Das LArbG Nürnberg bekräftigt die höchstrichterliche Rechtsprechung: Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit stellt keinen „Willensakt“ und damit keine Rechtsausübung dar. Erst wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit zwingen will und die Verweigerung dieser rechtswidrigen Weisung sanktioniert, könnte § 612a BGB greifen.

  3. Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme:
    Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz im Kleinbetrieb nicht gilt, muss der Arbeitgeber bei der Entscheidung, wen er kündigt, ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme wahren. Das LArbG Nürnberg stellt klar, dass familiäre Hintergründe, Betriebszugehörigkeitsdauer, berufliche Qualifikation und die betrieblichen Anforderungen berücksichtigt werden können. In einem kleinen Familienunternehmen sind solche betrieblichen Erwägungen häufig komplexer als in größeren Betrieben, wo es klar definierte Abteilungen und standardisierte Strukturen gibt.

  4. Beweislast bei treuwidriger Kündigung:
    Wer als Arbeitnehmer eine Kündigung in Frage stellt, trägt die Darlegungs- und Beweislast. Außerhalb des KSchG muss der Arbeitnehmer glaubhaft machen, dass der Arbeitgeber sittenwidrig oder treuwidrig handelt. Reine Vermutungen, etwa dass die Kündigung „zufällig“ in zeitlicher Nähe zur Krankschreibung kam, reichen nicht aus. Erst bei einer klaren Drohung („Wenn Sie jetzt nicht trotz Krankschreibung erscheinen, sind Sie gefeuert!“) und anschließender Kündigung liegt nahe, dass eine unzulässige Maßregelung erfolgt ist.

  5. Rechtzeitige arbeitsrechtliche Beratung:
    Im Konfliktfall lohnt sich frühzeitige anwaltliche Beratung. Gerade in Kleinbetrieben herrschen oft übersichtliche Strukturen, und vieles beruht auf mündlichen Absprachen. Je früher man sich juristisch beraten lässt, desto besser können relevante Beweise gesichert und die richtige Strategie gewählt werden. Auch wenn der Arbeitnehmer zunächst glaubt, gegen die Kündigung vorgehen zu wollen, ist eine realistische Einschätzung der Prozess- und Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Kleinbetrieb ratsam.

  6. Alternative Schutzmechanismen:
    Dass das KSchG nicht greift, heißt nicht, dass Beschäftigte ganz schutzlos sind. Bei diskriminierenden oder wegen politisch, rassistisch oder sonst wie menschenunwürdigen Motiven ausgesprochenen Kündigungen kann es zu Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder sogar gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) kommen. Auch das Beschäftigungsverbot von Schwangeren (§ 9 MuSchG) oder der Schutz Schwerbehinderter (§ 168 SGB IX) bestehen unabhängig von der Betriebsgröße. Darüber hinaus stehen dem Arbeitnehmer unter Umständen weitere arbeitsrechtliche Ansprüche (z.B. auf Zeugnis, Urlaubsabgeltung, Gratifikation) zu, die bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden müssen.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 10.03.2023 (8 Sa 340/22) verdeutlicht einmal mehr, dass Arbeitnehmer in Kleinbetrieben zwar keinen vollen Kündigungsschutz nach dem KSchG haben, aber dennoch vor vollkommen willkürlichen Kündigungen geschützt sind. Eine Kündigung, die mit einer Krankmeldung zeitlich zusammenfällt, ist nicht automatisch rechtswidrig. Ein klarer Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB scheidet aus, wenn der Arbeitnehmer nicht aktiv ein Recht ausübt, sondern rein faktisch erkrankt ist. Arbeitgeber dürfen auch im Kleinbetrieb wirtschaftlichen Erwägungen folgen und Personal reduzieren, sofern dies nicht offensichtlich missbräuchlich geschieht.

Wer sich in einer vergleichbaren Situation befindet – sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer – sollte stets bedenken, dass Kleinigkeiten wie die Dokumentation von Gesprächen, die Einbindung betrieblicher Interessen (Umsatzrückgänge, Dispositionsfähigkeit anderer Mitarbeiter) und das rechtliche Wissen zu den Grenzen von Treu und Glauben ausschlaggebend sein können. Eine sorgfältige Prüfung, ob im Einzelfall ein unzulässiges Motiv oder eine verfassungsrechtlich problematische Benachteiligung vorliegt, ist immer ratsam. So lassen sich unangenehme Überraschungen, teure Gerichtsprozesse oder ungerechtfertigte Entlassungen besser vermeiden.

Foto(s): RITTER Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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