Pflichtteilsrecht: Selbstständiges Beweisverfahren zur Bestimmung des Verkehrswertes einer Nachlassimmobilie

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In der Beratungspraxis birgt die Bewertung einer Nachlassimmobilie zur Berechnung eines Pflichtteilsanspruchs erhebliches Streitpotential. Der Pflichtteilsberechtigte hat als übergangener gesetzlicher Erbe grundsätzlich einen Auskunftsanspruch sowie einen Anspruch auf Wertermittlung zur Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs, § 2314 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Die Kosten für die Einholung eines Sachverständigens sind vom Nachlass zu tragen, wobei der Pflichtteilsberechtigte in Höhe seiner Pflichtteilsquote an den Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens partizipiert. Der Pflichtteilsschuldner hat das Recht den Sachverständigen selbstständig auszuwählen.

Häufig führt die Auswahl des Sachverständigen zu Streit, da einerseits der Vorwurf eines Gefälligkeitsgutachtens im Raum steht oder andererseits die Feststellung des Verkehrswerts aus der Sicht der Beteiligten entweder als zu hoch oder als zu niedrig empfunden wird. In diesen Fällen verbleibt den Beteiligten dann beispielweise die Möglichkeit ein zweites Gutachten durch einen anderen Sachverständigen einzuholen. Die Gutachten sind aber in einem anschließenden Klageverfahren nicht verbindlich. Dies hat zur Folge, dass der Pflichtteilsberechtigte bei einer Zahlungsklage das Kostenrisiko trägt, wenn ein durch das Gericht beauftragter Sachverständiger einen niedrigeren Verkehrswert feststellen würde.

Durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm kann das o.g. Kostenrisiko reduziert werden. Der Pflichtteilsberechtigter kann auch im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des Verkehrswerts einer im Nachlass vorhandenen Immobilie verlangen, sofern ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist. Gemäß § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass:

  1. der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache,
  2. die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels,
  3. der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels

festgestellt wird. Nach Satz 2 ist ein rechtliches Interesse anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eine Rechtsstreits droht.

In der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm trat als Besonderheit hinzu, dass die Immobilie nach dem Erbfall verkauft wurde. Der neue Eigentümer beabsichtigte die Immobilie in naher Zukunft abzureißen. Diese scheinbare Eilbedürftigkeit der Einholung eines Gutachtens zur Bestimmung des Verkehrswertes der Immobilie war für die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens aber nicht entscheidend. Das Oberlandesgericht Hamm hat festgestellt, dass es für das rechtliche Interesse genügt, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dient.

„(…) Nach dieser Vorschrift kann eine Partei, wenn – wie hier – ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Wert einer Sache festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO. Das ist hier der Fall. (…).“ (OLG Hamm ZEV 2024, 39)

Die Einholung eines Verkehrswertgutachtens im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens kann für den Pflichtteilsberechtigten aus mehreren Gründen vorteilhaft sein. Droht bei der Ermittlung des Verkehrswertes einer Immobilie Streit, kann das Kostenrisiko einer drohenden Zahlungsklage reduziert werden. Die Gerichtskosten für das selbstständige Beweisverfahren sind geringer als die Kosten für eine Zahlungsklage. I.d.R. dürfte die Feststellung des Verkehrswertes im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens die Einigungsbereitschaft der bzw. des Erben deutlich erhöhen. Sollte dies nicht der Fall sein, sind die Ergebnisse des selbstständigen Beweisverfahrens im anschließenden Hauptsacheprozess verwertbar, § 493 Abs. 1 ZPO. 

Abschließend kommt es auf den Einzelfall an, ob für den Pflichtteilsberechtigten bei einem Streit über die Bewertung einer Nachlassimmobilie die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens empfohlen werden kann. Dies bedarf eines sorgfältigen und ausführlichen Gesprächs mit dem beratenden Rechtsanwalt. In jedem Fall bietet die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm dem Pflichtteilsberechtigten eine Möglichkeit zur effektiven Durchsetzung seiner Ansprüche.


Foto(s): www.erbrecht-stiftungsrecht.de

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