Recht für jedermann – wie man durch Fehler im Erbfall viel Geld vernichten kann

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Erbrecht ist nicht einfach. Die Rechtsprechung entwickelt sich fort. Verwandte Rechtsmaterien, wie Sozialrecht und Steuerrecht, ändern sich häufig. Die Gerichte müssen sich daher oft mit Schadensersatzfällen befassen, in denen Berater sich für fehlerhafte Gestaltungen zu verantworten haben.

Nachfolgend möchte ich Ihnen zwei Fälle vorstellen, in denen Erblasser unberaten oder durch falsche Beratung Schiffbruch erlitten haben. Vielleicht hilft Ihnen das, solche Fehler zu vermeiden.

Beispiel 1: Das Berliner Testament ist nicht immer das Richtige

Wir schreiben das Jahr 1975. Die Eheleute Sparsam, 42 und 45 Jahre alt, haben ein Haus und ein wenig Erspartes, Wert zusammen DM 300.000. Für ihre Nachfolgeplanung habe sie zwei Wünsche:

  1. Der überlebende Ehegatte soll seinen bisherigen Lebensstandard beibehalten können.
  2. Nach dem Tod beider Ehegatten sollen die Kinder zu gleichen Teilen das gesamte Vermögen erhalten.

Die Lösung ist scheinbar einfach: Ein Berliner Testament erfüllt beide Wünsche. Es hat daher insbesondere im ländlichen Bereich mittlerweile einige Beliebtheit erlangt.

Otto Sparsam schreibt also mit Kuli auf einen Zettel: „Testament – Unser letzter Wille: – Wir, die Eheleute Sparsam, setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Erben des Letztversterbenden sollen unsere Kinder zu gleichen Teilen werden. Hohenahr, den 20.11.1975, Otto Sparsam“

Die Frau schreibt darunter: „Dies ist auch mein letzter Wille, Hohenahr, den 20.11.1975, Hertha Sparsam“.

So weit, so gut. Die Eheleute Sparsam haben ihre Ziele erreicht. Das Testament ist wirksam. Aber das Leben geht nach der Formulierung eines Testaments weiter und das alte Testament kann dann irgendwann unpassend werden, wie ein Anzug, aus dem man herausgewachsen ist.

So ist in unserem Fall der Schreinerbetrieb von Herrn Sparsam seit 1975 erheblich expandiert. Als Herr Sparsam schließlich 2009 verstirbt, hinterlässt er ein Vermögen in siebenstelliger Höhe. Die Witwe zeigt das Testament aus dem Jahr 1975 einem Berater. Dieser informiert sie, dass sie als Alleinerbin mit einer erheblichen Erbschaftsteuerbelastung rechnen muss. Im Hinblick auf das erheblich gewachsene Vermögen sei es unglücklich, dass nur sie allein erbt und daher auch nur sie ihre steuerlichen Freibeträge geltend machen kann. Die Freibeträge der Kinder blieben ungenutzt. Im schlimmsten Fall greift der Fiskus später nach dem Tod der Witwe auch noch einmal bei den Kindern zu.

Dieser Fall zeigt, dass das Berliner Testament in Reinform bei größeren Vermögen eher nicht die richtige Lösung ist. Hier hätte es sich empfohlen, das Testament zu Lebzeiten von H. Sparsam zu ergänzen und zugunsten der Kinder etwa Vermächtnisse auszusetzen. Dann hätten auch die Kinder ihre Freibeträge schon nach dem ersten Erbfall ausnutzen können.

Doch der Berater weiß eine Lösung. Er rät, dass die Kinder ihren Pflichtteil geltend machen. Viele übersehen, dass durch das Berliner Testament die Kinder für den Todesfall des ersten Ehegatten enterbt werden, weil eben der überlebende Ehegatte zunächst einmal alles erhält. Dadurch entsteht ein Pflichtteilsanspruch für die Kinder. Dieser sollte hier von den Kindern geltend gemacht werden, um die Freibeträge zu retten.

Was lernen wir aus diesem Fall?

  1. Ein Testament sollte nach einigen Jahren oder wesentlichen Veränderungen in den Lebensverhältnissen überprüft werden.
  2. Dazu sollte ein qualifizierter Berater eingeschaltet werden. Abschreiben von Mustern ist Sparen am falschen Platz!

In unserem Fall wollten eigentlich die Kinder Sparsam „ihrer Mami gar nichts wegnehmen.“ Sie sagten sich, „wir kriegen doch nach dem Tod der Mami alles“ und mussten erst vom Berater überzeugt werden, dass es ihr gutes Recht ist, den Pflichtteil zu verlangen. Diese Haltung war früher weitverbreitet. So wurden im ländlichen Raum auch oft Erbengemeinschaften über Jahrzehnte nicht auseinandergesetzt. Das ändert sich langsam. Nicht jede Witwe geht mit dem ererbten Vermögen sorgsam um. Nicht jeder Abkömmling will heute warten, bis auch der längerlebende Ehegatte verstirbt.

Es sind aber nicht alle Familien so gut situiert, wie in unserem Fall die Sparsams. Dann kann ein geltend gemachter Pflichtteil den überlebenden Ehegatten in Finanznöte bringen, schlimmstenfalls muss das Familienheim verkauft werden, um die Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge erfüllen zu können. Daher müssen Strategien entwickelt werden, um die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten zu verhindern. So kann man in die letztwillige Verfügung die Regelung aufnehmen, wonach der Abkömmling, der nach dem Tod des Erstversterbenden gegen den Willen des überlebenden Ehegatten seinen Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des längerlebenden Ehegatten auf den Pflichtteil gesetzt werden soll. Andere Lösungen bieten etwa Erbverträge mit Pflichtteilsverzicht.

Beispiel 2: Das teure Nudelholz

Erblasser E. hatte im Laufe seines Lebens ein schönes Vermögen aufgebaut. Seine Ehefrau hatte ein etwa gleich hohes eigenes Vermögen. Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Ein Zugewinn war nicht vorhanden.

E. ging zum Notar, um seine Tochter als Alleinerbin einzusetzen. „Die Ehefrau soll nichts erben, sie weiß warum!“ sagte E. Der Notar belehrte E. über den Pflichtteilsanspruch der Ehefrau. Murrend nahm E. dies zur Kenntnis. Dann fiel ihm aber noch eine kleine Gehässigkeit ein. „Nein,“ sagte der E, „meine Frau soll doch etwas kriegen, ich vermache ihr das Nudelholz, dass sie immer nach mir geschwungen hat, wenn ich spät abends vom Skat nach Hause kam!“.

Der Notar schmunzelte über diesen scheinbar gelungenen Einfall und nahm die Regelung in das Testament auf. Das führte dazu, dass die Ehefrau nach dem reinen Wortlaut des notariellen Testamentes das Doppelte dessen erhielt, was sie ohne Nudelholz-Vermächtnis bekommen hätte. Das alles wegen eines schlichten Vermächtnisses.

Wie kommt das?

Hier bestehen Schnittstellen zwischen Erbrecht und Familienrecht. Der Ehegattenerbteil wird durch das gesetzliche Erbrecht der Verwandten und durch den Güterstand, in dem die Eheleute gelebt haben, bestimmt. Gemäß § 1931 Absatz 1 Satz 1 BGB ist der überlebende Ehegatte des Erblassers neben Verwandten der ersten Ordnung (dazu gehört hier die Tochter) zu einem Viertel als gesetzlicher Erbe berufen. § 1931 findet sich im 5. Buch des BGB, das sich dem Erbrecht widmet.

Lebten die Eheleute zum Zeitpunkt des Erbfalls in Zugewinngemeinschaft, dann erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft. Durch diese Erhöhung wird pauschal der in der Ehe erwirtschaftete Zugewinn ausgeglichen (sogenannte erbrechtliche Lösung). Hierbei ist es unerheblich, ob während der Ehe überhaupt ein Zugewinn erzielt wurde, § 1371 Absatz 1 BGB. § 1371 hat also erbrechtliche Wirkungen, findet sich jedoch im 4. Buch des BGB, in dem das Familienrecht geregelt ist.

Der Ehegatte des Erblassers ist pflichtteilsberechtigt, wenn er durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Dabei bleibt die Vorschrift des § 1371 BGB unberührt, § 2303 Absatz 2 Satz 2 BGB.

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils, § 2302 Absatz 1 Satz 2 BGB. Die Pflichtteilsquote berechnet sich also nach der fiktiven gesetzlichen Erbfolge, die bestünde, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht von der Erbfolge ausgeschlossen worden wäre.

Nach gesetzlichem Erbrecht wären hier die Ehefrau zu ein Halb (ein Viertel aus § 1931 BGB, ein Viertel aus dem fiktiven Zugewinn nach § 1371 Absatz 1 BGB) und die Tochter zu ein Halb Erben geworden.

Um das Pflichtteilsrecht der enterbten Ehegattin zu beurteilen, gibt es zwei Möglichkeiten, den sogenannten großen und den kleinen Pflichtteil (§ 1371 Absatz 2 BGB). Ist der Ehegatte enterbt und ist ihm auch kein Vermächtnis zugewendet, so steht ihm nur der kleine Pflichtteil zu, das ist die Hälfte des Viertels aus § 1931, also ein Achtel. Zusätzlich bleibt der Anspruch auf den realen Zugewinn (sog. güterrechtliche Lösung), einen solchen gibt es aber in unserem Fall nicht. Es wäre also für die Ehefrau ohne die kleine Gehässigkeit des Vermächtnisses bei 1/8 geblieben. Ist der Ehegatte dagegen Erbe (und sei die Quote noch so klein) oder er erhält ein Vermächtnis (und sei es noch so klein, etwa in Form eines Nudelholzes für wenige Euro), so kann der sogenannte große Pflichtteil entstehen. Dies ist die Hälfte aus dem Viertel aus Erbrecht (§ 1931 BGB) sowie dem Viertel aus fiktivem Zugewinnausgleich (§ 1371 Absatz 2 BGB, sog. erbrechtliche Lösung), im Ergebnis also ein Pflichtteil von ¼.

Im Endeffekt führt hier das Vermächtnis über ein Nudelholz im Wert von wenigen Euro dazu, dass die Ehefrau nach dem reinen Gesetzeswortlaut 1/4 statt 1/8 erhält. Darauf hätte der Notar den Erblasser hinweisen müssen. Zwar muss sich die Ehefrau den Wert des Nudelholzes beim Pflichtteil in Abzug nehmen lassen, damit kann sie aber bei einem Wert von wenigen Euro gut leben.

In Rechtsprechung und Literatur wird nun argumentiert, eine solch strenge Handhabung des § 1371 II BGB widerspreche dem Willen des Erblassers, wenn nur sehr geringe Werte vererbt oder vermacht werden. Dann gehe der Wille des Erblassers – wie auch in unserem Fall – doch dahin, dass die Ehefrau möglichst wenig erhalten soll. Das sei letztlich maßgeblich. In unserem Fall ist also die Tochter des E. nicht chancenlos, doch wird sie unter Umständen jahrelang vor Gericht mit der Ehefrau streiten müssen, nur weil im Testament eine Panne unterlaufen ist.

Die Wechselwirkungen zwischen Familienrecht und Erbrecht können also zu überraschenden Ergebnissen führen. Bei der Nachfolgeplanung eröffnet die Wahlmöglichkeit zwischen großem und kleinem Pflichtteil Gestaltungsmöglichkeiten für den Erblasser. Das gilt insbesondere bei hohen lebzeitigen Zuwendungen, Anrechnungen auf Pflichtteilsergänzungsansprüche und einem namhaften Zugewinn. Weiterhin für die Gestaltung sehr wichtig: Schenkung und Erbe unterliegen der Erbschaftsteuer, der Zugewinn dagegen nicht!

Ebenso kann es bei der Beratung nach dem Erbfall Konstellationen geben, bei denen der Ehefrau die Ausschlagung der Erbschaft zu empfehlen ist. Sie erhält dann am Ende über den kleinen Pflichtteil und den realen Zugewinn mehr, als sie als Erbin erhalten hätte!

All dies belegt, dass es unerlässlich ist, vor Abfassung einer letztwilligen Verfügung oder zeitnah nach einem Erbfall fachmännische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihnen entgehen sonst vielleicht Möglichkeiten, von denen Sie nicht einmal ansatzweise etwas wussten!

Alles Gute!

Ihr Rechtsanwalt Andreas Krau

Fachanwalt für Erbrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht


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