Schmerzkatheter nicht komplett entfernt: 200.000 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 16.10.2014 hat sich ein Krankenhaus verpflichtet, an meine Mandantin einen Gesamtabfindungsbetrag in Höhe von 200.000 Euro und die außergerichtlichen Anwaltsgebühren zu zahlen.

Die 1965 geborene Mandantin wurde im August 2004 am linken Ringfinger an einem Neurofibrom operiert. Nach der OP, bei welcher das Neurofibrom nur teilweise entfernt wurde, war der linke Ringfinger krumm und steif. Die Mandantin begab sich im Oktober 2004 in das Krankenhaus der Beklagten. Man schlug ihr eine Plexusanästhesie am linken Arm vor, um den linken Ringfinger wieder mobilisieren zu können. Die Anlage des Plexuskatheters erfolgte am 18.10.2004. Am 22.10.2004 wurde der Plexuskatheter wieder entfernt. In den Behandlungsunterlagen des Krankenhauses ist die Katheterentfernung an drei verschiedenen Tagen dokumentiert worden.

Seit Januar 2007 leidet die Mandantin unter heftigen Migräneanfällen mit ständigen Kopfschmerzen. Einen Dauerkopfschmerz hat die Mandantin fast täglich. Hinzu treten heftige Schmerzattacken von bis zu 2 Stunden Dauer und einer Stärke von 8 – 9 auf der visuellen Analogskala von 0 – 10. Der Kopfschmerzcharakter strahle in den Hinterkopf und ginge auch vom Nacken aus und habe stechenden Charakter. Über Jahre litt die Mandantin unter einem unwillkürlichen Augenzwinkern links. Einmal im Monat kommt es zu einem Flackern und Flimmern vor den Augen, das über eine halbe Stunde über ihr Gesichtsfeld wandert und mit starken Kopfschmerzen einhergeht. Unvermittelt tritt ein Schwindel auf und hält attackenartig für 5 – 10 Minuten an. Die Mandantin leidet unter plötzlichem Erbrechen, was sie völlig unvermittelt ereilt. Ebenso leidet die Mandantin unter Schmerzen in beiden Armen von der Schulter aus bis in die Ellenbogen. Hinzu kommen Konzentrationsstörungen und Alpträume maximal einmal pro Monat.

Im Zuge der Untersuchungen aufgrund der Migräneanfälle wurde im Januar 2007 eine Computertomographie gefertigt, welche folgenden Befund hatte: „Von links über das Neuroforamen in HWK5/6 kommender, röntgenologisch dichter Schlauch bis nach intracraniell reichend.“ Eine Vorstellung im Februar 2007 in der Neurochirurgie der Beklagten kam zu dem Ergebnis, dass der Fremdkörper als Residuum des Axillarisplexus anzusehen sei. Da bei der Mandantin keine weiteren Fremdmaterialien in den Körper eingebracht worden waren, wurde der Verdacht erhoben, dass es sich hierbei um einen Teil des 2004 eingebrachten Plexuskatheters handeln könne. Am 17.04.2007 wurde eine CT-Untersuchung der Halswirbelsäule durchgeführt, wo erneut der Fremdkörper in der Halswirbelsäule nachgewiesen wurde.

Eine weitere CT-Untersuchung vom 16.01.2008 zeigte den mutmaßlichen Schmerzkatheter unverändert in Lage und Verlauf. Die CT vom 16.01.2008 beschrieb die Lage des Schlauches: „Der Verlauf innerhalb des Spinalkanales ist im Subarachnoidalraum gelegen. Diese Fremdkörperstruktur weist, wie auch die Struktur aus der Computertomographie vom 22.10.2004 einen Durchmesser von approximativ einem Millimeter auf ... Die Länge des Befundes lässt sich ... mit mindestens 13,5 Zentimeter angeben.“ Es sei mit hinreichender Gewissheit davon auszugehen, dass es sich bei der bestimmenden Struktur um einen Katheter handele, dessen Röntgendichte allerdings geringer sei als die von z. B. zentral nervösen Kathetern. Es handele sich somit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den Schlauch der Plexusanästhesie aus dem Jahre 2004.

Trotz eines Bescheides der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein vom 25.11.2010, welcher der behandelnden Krankenschwester bei der Entfernung einen schwerwiegenden Behandlungsfehler vorwarf, lehnte die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses die Haftung ab.

Im Prozess vor dem Landgericht Essen bestätigten sowohl der anästhesiologische als auch der neurologische Sachverständige: Aufgrund der umfassenden Vorgutachten sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei dem einliegenden Fremdkörper um den Rest eines im Oktober 2004 angelegten Schmerzkatheters handele, der nach nicht vollständiger Entfernung über die Jahre in die nun dokumentierte Position gewandert sei. Aufgrund der Lage des Katheters, die sicher subdural im Subarachnoidalraum sei und damit den unmittelbaren Kontakt des Schlauches mit der Oberfläche des Hirngewebes ermögliche, seien die Symptome wie attackenartig auftretendes Erbrechen, Übelkeit, Schwindel und auch die Kopfschmerzen durch chronischen Reiz der Hirnhäute und der darunterliegenden neuro-anatomisch gut definierten Strukturen plausibel und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Die Zentren im zentralen Nervensystem, die für Gleichgewicht bzw. Schwindel verantwortlich seien, befänden sich ebenso wie das Brechzentrum im Bereich des verlängerten Markes (Medula oblongata). Gerade hier befände sich das einliegende Fremdmaterial. Es stelle ein grobes Verschulden dar, bei Entfernung eines Plexuskatheters nicht darauf zu achten, dass der Plastikschlauch auch komplett entfernt worden sei, sodass Reste des Schlauches von 13,5 cm im Körper eines Patienten verbleiben könnten.

Zur Abgeltung sämtlicher materieller und immaterieller Ansprüche verpflichtete sich das Krankenhaus, ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu zahlen. Ebenso verpflichtete sich das Krankenhaus, eventuell auf den Abfindungsbetrag zu entrichtende Steuern auf entsprechenden Nachweis durch die Klägerin in Form eines Steuerbescheides zusätzlich zu erstatten.

 (Landgericht Essen, Vergleich vom 16.10.2014, AZ: 1 O 78/11)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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