SCHUFA-Scoring als Profiling?- Absurde Scheingefechte vor dem EuGH - Teil 2

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Im ersten Teil des Beitrags zeigte Bankrechtsanwältin und SCHUFA-Expertin Dr. Ina Becker auf, dass das Scoring der SCHUFA seit vielen Jahrzehnten juristisch und kommunikativ beherrschbar war. Die Hamburger Anwältin geht bereits seit Jahrzehnten von einer Unrechtmäßigkeit des SCHUFA-Scorings aus. Sie setzte für eine Vielzahl von Mandanten außergerichtlich erfolgreich Scorewertsperrungen durch.


EuGH-Verfahren greift nicht weit genug und birgt erhebliche Gefahren


Eine Anrufung des EuGH diesbezüglich war weder erforderlich, noch greift das bemerkenswert unterkomplexe, singulär auf das SCHUFA-Scoring bezogene Verfahren weit genug. Denn bekanntlich gibt es sowohl externe Scoring-Verfahren von Dienstleistern wie der SCHUFA Holding AG, als auch bankeninterne Scoring- sowie Rating-Verfahren. Bei jeder Kreditentscheidung geht es um einen komplexen Prozess, bei dem eine Bank die Leistungs- und Kapitaldienstfähigkeit des Kreditantragstellers und vor allem mögliche Sicherheiten prüft. Ein eingesetztes Scoring oder Rating von Bonitätsrisiken stellt daher stets nur einen Baustein in einem Mosaik der Finanzierung dar. Nach den Basel II-Regeln zur Eigenkapitalhinterlegung sind Scoring-Verfahren nur ein Teilinstrument zur Risikobewertung. Dass ein Kredit angeblich allein wegen eines „schlechten Scorewerts der SCHUFA“ abgelehnt wird, ist bankrechtlich wegen des komplexen Kreditverhandlungsprozesses nicht nachvollziehbar.


Bezüglich der fragwürdigen Ziele des EuGH-Verfahrens ist sogar zu fragen, was im Ergebnis schlimmer wäre:


Entweder befindet der EuGH das SCHUFA-Scoring als vermeintlich verbotenes „Profiling“ oder das Gericht sieht das Verfahren als mit den Regularien in Art. 22 DSGVO, § 31 BDSG vereinbar an. Beides würde mutmaßlich eine deutlich verschlechterte Situation für prospektive Kreditnehmer europaweit nach sich ziehen. Denn im ersten Fall wäre damit zu rechnen, dass die seit vielen Jahren geäußerten Forderungen nach einem zentralisierten Kreditscoring im Rahmen des umfassend angelegten EU-Regulierungsvorhabens einer Verordnung zur Künstlichen Intelligenz (EU AI Act) umgesetzt würden. Dies durch ähnlich dysfunktionale und völlig unbestimmte Regularien wie Art. 22 DSGVO, § 31 BDSG.

Im zweiten Fall könnte sich die SCHUFA auf eine vermeintliche, nunmehr ausdrücklich gerichtlich „abgesegnete“ Rechtmäßigkeit ihres Scorings berufen, obwohl dieses einer wissenschaftlich anerkannten Methode gerade nicht genügen kann. 


Festzementierung und Perpetuierung dysfunktionaler Regularien auf EU-Ebene?


In beiden Konstellationen wäre einem Betroffenen ein Widerspruch zu künftigen Bonitätseinschätzungen durch Scoring dann wohl nicht mehr möglich. Durch die EuGH-Entscheidung, wie immer diese auch ausfallen mag, können rechtlich gravierende Irrtümer festzementiert und perpetuiert werden. Zu fragen ist außerdem, wie eine EuGH-Entscheidung mit den weltweit seit Jahrzehnten eher unkritisch eingesetzten übrigen Scoring- sowie Rating-Verfahren und den auf einer ganz anderen Ebene real existierenden Gefahren von Profiling zu vereinbaren sein wird.


Produktive Nutzung von Nichtwissen- Worin der EuGH-Generalanwalt gewaltig irrt 


Das Scoring der SCHUFA führt keinesfalls zu einem „Profiling“ im Sinne einer nutzbaren Erstellung eines Gesamtbildes einer Persönlichkeit für bestimmte Zwecke- dies würde dem SCHUFA-Scoring, mit Verlaub, allerdings viel zu viel der Ehre einräumen.


Im Ergebnis beseitigt jeder Scorewert nicht Kontingenz, sondern reproduziert sie vielmehr.

Denn die SCHUFA und ihr scheinbar „objektives“ Verfahren können das Problem der Unüberwindbarkeit von Nichtwissen nicht lösen (s. hierzu vor allem Strulik, Soziale Welt, 2000, 443 ff. m. w. N.; Becker, Datenschutzrechtliche Fragen des SCHUFA-Auskunftsverfahrens - Unter besonderer Berücksichtigung des sogenannten Scorings, Verlag Dr. Kovac, Hamburg, zugleich Dissertation, Universität Hannover, 2006 m. w. N.).


Die Mitteilung eines Scorewerts begründet bestimmte Erwartungen beim Empfänger hinsichtlich eines Ereignisses, das entweder prognosegemäß eintreten, aber genauso gut auch entgegen der Prognose ausfallen kann. Ob sich ein Wahrscheinlichkeitsurteil im Einzelfall bewahrheitet oder nicht, hängt von einer Vielzahl bekannter und unbekannter Faktoren ab. Beim Scoring-Verfahren wird gerade nicht berücksichtigt, dass menschliches Verhalten nicht vorhersehbar und ausrechenbar ist, da bestimmte Handlungen auf einer Vielzahl von Motiven beruhen können. Die SCHUFA selbst verwies bereits vor Jahrzehnten auf die Unwägbarkeiten bei der zuverlässigen Vorhersage menschlichen Verhaltens.


So räumte der Chefsyndikus der SCHUFA Dr. Wulf Kamlah bereits im Jahr 1999 ein, dass mit dem berechneten Scorewert keine Aussage darüber verbunden sei, ob sich „gerade in dem individuellen Betroffenen, … das gruppenspezifische Ausfallrisiko konkretisiert“ (Kamlah, MMR 1999, 395, 401). Offensichtlich kritisch ist bereits die angeblich objektive und sachlich zutreffende Bildung von Vergleichsgruppen samt empirischer Erkenntnisse zu sehen, was hier nicht weiter vertieft werden kann. Jedenfalls müssen Datensätze, die einem Scoring zugrunde gelegt werden, den datenschutzrechtlichen Grundsätzen der Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität genügen (Becker, a. a. O., S. 497 f.). Bekanntlich passieren im Rahmen des SCHUFA-Melde- sowie Auskunftsverfahrens häufig Fehler wie z. B. Namensverwechslungen oder fehlerhafte oder ungenaue Datenspeicherungen, so dass es bereits an der Grundvoraussetzung für einen zutreffenden Gruppenvergleich fehlt.


Scorewerte reproduzieren Nichtwissen in einer anderen Form 


Ein Vertragspartner der SCHUFA erhält mit dem Scorewert eine scheinbare Erwartungssicherheit und damit eine vermeintlich tragfähige Entscheidungsgrundlage. Mit der Berechnung des Scorewerts wird Nichtwissen in einer in einer anderen Form reproduziert, was spezifische Gefahren mit sich bringt. Denn ein branchenspezifisch berechneter Scorewert stellt ein Werturteil dar, das dazu geeignet ist, den Empfänger zu beeinflussen, nicht jedoch zu informieren.


Bei einem Scorewert handelt es sich keineswegs um einen objektivierten Wert (so jedoch Kamlah, ZVI 2004, 9,10, ders. MMR 2003, Beil. Zu Heft 2 V, VII), da die Bewertungskriterien zu seiner statistisch-mathematischen Berechnung subjektiv ausgewählt werden. Es hängt von einer menschlichen Entscheidung ab, welche Daten zur Erstellung der sogenannten „Risikoprognose“ in einem intransparenten Black-Box-Verfahren angeblich relevant sind und welche nicht.


Ob die Aussage eines mitgeteilten Scorewerts sachlich richtig verstanden wird oder ob ein Scorewert z. B. missverständlich als „K.O.-Kriterium“ bewertet wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie detailliert der Empfänger über das Scoring-Verfahren von der SCHUFA informiert worden ist. Die SCHUFA ist dazu verpflichtet ihre Vertragspartner umfassend zu schulen, damit Missverständnisse zu Lasten des Betroffenen vermieden werden. In diesem Zusammenhang wurde bereits vor Jahrzehnten in der Literatur bezweifelt, dass die SCHUFA angesichts der Eigenständigkeit ihrer Vertragspartner über ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf diese verfüge (z. B. Petri, DuD 2001, 290, 291; Möller/Florax, NJW 2003, 2724, 2725).


Scoring ist kein Profiling - Konterkarieren der Wissenssoziologie 


Ein Scorewert kann schlicht keine zuverlässige Risikoprognose treffen, da es in keiner denkbaren Konstellation möglich ist, wirklich sämtliche entscheidungserheblichen Gesichtspunkte bei einer statistisch-mathematischen Berechnung zu berücksichtigen, die eine menschliche Verhaltensweise in der Zukunft angeblich ausrechenbar und beschreibbar machen könnte.

Ob z. B. die Tatsache eines mehrmaligen Umzugs stets aussagekräftig ist, kann je nach individueller Vita des Betroffenen in einer zunehmend mobilen Gesellschaft zu tatsächlich höchst unterschiedlichen Risiken führen. Zu fragen ist generell, ob z. B. 1000 Einzelkriterien oder eher 5 Millionen Bewertungskriterien zur Generierung eines Scores genügen, um eine verlässliche „Risikoprognose“ zu menschlichem Verhalten treffen zu können, die angeblich „wissenschaftlichen Standards“ entspricht.  Im Sinne einer recht offensichtlichen Antwort kann die SCHUFA subjektive Motive, die beim Einzelnen für ein bestimmtes Verhalten vorliegen, nicht so interpretieren, dass im Ergebnis eine zuverlässige Aussage in Form eines Scorewerts erscheint. Selbst mit 10 Millionen oder 25 Millionen zugrunde gelegten Bewertungskriterien betreibt die SCHUFA wissenssoziologisch eine produktive Nutzung von Nichtwissen. Sie entlastet ihre Vertragspartner vordergründig, indem diese ihre Entscheidungsverantwortung (auch) auf das vorgelieferte Ergebnis der Scoreberechnung verlagern können.


Soweit § 31 BDSG eine „wissenschaftlich anerkannte Methode“ voraussetzt, handelt es sich schlicht um eine Utopie. Art. 22 DSGVO ist ähnlich schwammig und nichtssagend formuliert- es fehlt ganz offenbar an einer wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung, was ein Profiling überhaupt ist, worauf noch zurückzukommen sein wird.


Rating – Umkehrschluss zum Scoring

Die eklatante Informationsineffizienz von Scoring-Verfahren zu natürlichen Personen wird durch einen simplen Umkehrschluss zu den Erfahrungen mit Rating-Verfahren offenbar. Letztere betreffen vor allem juristische Personen. Beim Rating werden auch Finanztitel wie z. B. Aktien oder Wertpapiere, aber auch deren Emittenten, d. h. Unternehmen, Staaten, Kommunen, mittels einer Risikoanalyse bewertet. Zur Bonitätsbeurteilung eines Unternehmens werden Daten der Abschlusszahlen und sogenannte qualitative Daten ausgewertet. Unter die erstgenannte Datenkategorie fallen z. B. Bilanzen, Geschäftsberichte oder die Erfolgsrechnung, während zu der letztgenannten Kategorie z. B. Daten über das Management, den Vertrieb, die Produktion, den Markt und das Produkt gehören.

Obwohl beim Rating sogar auf (freilich veraltete) Bilanzen, Geschäftsberichte etc. zurückgegriffen wird, die bestimmten Kontrollen unterliegen, haben die drei großen Rating-Agenturen bekanntlich bereits mehrfach versagt. Kurz vor den gigantischen Pleiten von Parmalat oder Enron und dem spektakulären wie folgenreichen Untergang des Investmenthauses Lehman Brothers hatten sie diesen Entitäten z. B. noch bis zuletzt eine „vorzügliche Bonität“ bescheinigt.

Wenn nicht einmal handfeste, geprüfte Daten zu Unternehmen, Staaten oder Emittenten zu einer zuverlässigen Bonitätsprognose führen, gilt dies im Umkehrschluss erst recht für den Privatkundenbereich, in dem es um die Vorhersage menschlichen Verhaltens in Abhängigkeit von einer Vielzahl bekannter sowie unbekannter Faktoren geht.


Scoring weder Persönlichkeitsabbild noch Profiling


Der Scorewert ist ein Marketingprodukt, mit dem die SCHUFA versucht, komplexe Verhaltensweisen des Betroffenen auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil zu reduzieren und hiermit scheinbar zu objektivieren. Ein Score stellt eine für den Einzelfall wenig aussagekräftige Prognose in Form interpretierter Informationen dar. Die SCHUFA intendiert rein subjektiv, eine neue, weitergehende Gesamtinformation über einen Betroffenen zu erzielen, die über die Summe der bekannten Einzelinformationen hinausgeht, was der SCHUFA jedoch, wie oben gezeigt, nicht gelingen kann.


Für ein unzulässiges Profiling oder auch verbotenes umfassendes Persönlichkeitsabbild im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung müsste ein objektives Moment hinzukommen in dem Sinne, dass die zu erzielende weitergehende Gesamtinformation überhaupt dazu geeignet ist, die (Teil-)Personalität des Betroffenen umfassend und gleichsam ausrechenbar zu beschreiben. Denn nur im Fall einer objektiven Gefahr für das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen (oder den sozialen Geltungsanspruchs eines Unternehmens) greift das Verbot zum Erstellen eines Persönlichkeitsprofils oder Profilings (Ladeur, DuD 2000, 12 ff. kritisierte die dogmatische Figur des Persönlichkeitsprofils als Mystifikation; s. a. Becker, a.a.O., 474 f.).


Durch das SCHUFA-Scoring kann ein Betroffenenverhalten wie oben gezeigt nicht zuverlässig ausrechenbar dargestellt werden. 

Beispiele für ein objektiv gefährliches und verbotenes Profiling im Sinne des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts sind die Projekte der EU-Kommission sowie der US-Regierung in Zusammenarbeit mit Hightech-Konzernen an einer europäischen oder sogar transnationalen digitalen Identität. Weitere Profiling-Gefahren liegen in Datenanalysesystemen wie z. B. Aladdin (BlackRock).


Fazit


Höchst dysfunktionale Scoring- und Rating Verfahren halten sich erstaunlich hartnäckig seit Jahrzehnten, obwohl man sie als Paradigma einer produktiven Nutzung von Nichtwissen ansehen kann, die zu keiner Informationseffizienz oder -transparenz führt.


Anstatt gerichtliche oder gesetzgeberische Klärungen herbeiführen zu wollen, die in einigen Lebensbereichen schlicht unmöglich und/oder sogar äußerst kontraproduktiv erscheinen, ist der Einzelne in seiner Eigenverantwortlichkeit gefragt. 


Sollte der EuGH hier den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen, wäre dies aus Sicht der Autorin ein weiteres Beispiel einer klaren Fehlentscheidung, die zudem dem Scoring-Verfahren der SCHUFA Holding AG eine völlig ungerechtfertigte Bedeutung beimessen würde. Zudem würde der Entwicklung eines fragwürdigen, nunmehr zentralisiert durch schwammig formulierte Regularien „abgesegneten“ Scorings Vorschub geleistet. 


Warum man auch noch einen „Auskunftsanspruch“ zu einem nicht funktionierenden Marketingprodukt wie dem Scoring geltend machen will, erscheint unverständlich. Sofern z. B. eine App schadhaft ist und Sicherheitsrisiken beinhaltet, steht es jedem frei, eine solche App nicht einzusetzen und, übertragen auf dysfunktionales Scoring, einem solchen zu widersprechen, um sodann mit prospektiven Vertragspartnern sachlich fundiert zu kommunizieren. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die Widerspruchsmöglichkeiten des Einzelnen im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes weiterhin bestehen bleiben.


Autorin: Rechtsanwältin Dr. Ina Becker hat eine wissenschaftliche Dissertation zum Melde- und Auskunftsverfahren sowie Scoring der SCHUFA verfasst. Mit ihrer Hamburger Bankrechtskanzlei unterstützt seit mehr als 20 Jahren bundesweit Unternehmen und Privatpersonen in allen Fragen der Kreditwürdigkeit.  

Foto(s): Rechtsanwältin Dr. Ina Becker

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