Schuld des Rückwärtsfahrenden nicht immer gegeben

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Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einem Unfall im Zusammenhang mit einem Rückwärtsfahren zunächst davon auszugehen ist, dass dieser den Unfall auch verschuldet hat.

Wegen der besonderen Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrenden wegen des eingeschränkten Sichtfeldes für den rückwärtigen Verkehr muss dieser Fahrzeugführer sich nach § 9 Abs. 5 StVO so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls anhalten kann. Aus diesem Grunde spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden, wenn es in einem engen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß kommt. 

Hierbei stellt sich die Frage, ob dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn der Rückwärtsfahrende zum Unfallzeitpunkt stand oder erst wenn er schon längere Zeit zum Stehen gekommen war. 

Der Bundesgerichtshof entschied daher bereits am 15.12.2015 - IV ZR 6/15, dass bei der Anwendung des Anscheinsbeweis Zurückhaltung geboten sei. Denn die Anwendung dieses Grundsatzes setzte voraus, dass Geschehensabläufe feststehen, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat, d.h. es muss sich um Tatumstände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist.  

Der BGH hat deutlich gemacht, dass allein ein Rückwärtsfahren nicht dafür ausreicht, wenn Besonderheiten gegen eine derartige Typizität spricht. Eine solche Besonderheit liegt dann vor, wenn der Rückwärtsfahrende im Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits stand.  Dies nahm der BGH jedenfalls bei Unfällen auf Parkplätzen an.

Das OLG Hamm hatte am 24.9.2021 - I-9 U 73/21 in einem Fall zu entscheiden, in dem es nicht zu einem Unfall auf einem Parkplatz kam. Hier entschied das OLG, dass kein Anscheinsbeweis anzuwenden sei, da der Rückwärtsfahrende zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes nicht mehr in der Rückwärtsfahrt war, obwohl ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzten gegeben war. 

Dieser Beschluss des OLG ist jedoch nicht überzeugend, da der BGH seine Rechtsprechung nicht auf eine Kollision im fließenden Verkehr bezog, sondern auf einen Parkplatzunfall. Da jedoch auf Parkplätzen eine besondere Sorgfaltsmaßstab für jeden Verkehrsteilnehmer gilt, was bedeutet, dass der Unfallgegner jederzeit in der Lage sein muss, sein Fahrzeug vor einem Hindernis - also auch vor dem stehenden vorher rückwärts gefahrene Fahrzeug - zum Stehen zu bringen. Bei Unfällen im fließenden Verkehr ist dies anders. Der zuvor rückwärts gefahrene Fahrzeugführer hat nicht allein dadurch, dass er vor dem Unfall stand, den hohen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO entsprochen, das so dass der Anscheinsbeweis noch gilt, wenn der Unfall in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erfolgt ist.



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