Sollte ein Beschuldigter niemals zur Polizei zur Vernehmung gehen?

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Die Antwort auf diese Frage ist wie immer bei Juristen: es kommt darauf an.

Grundsätzlich erhält jeder Beschuldigte von der Polizei eine Ladung zur Vernehmung oder bekommt die Möglichkeit sich zu den strafrechtlichen Vorwürfen  schriftlich zu äußern. Dies gehört zu einem fairen Verfahren, dass ein Beschuldigter sich zu den Vorwürfen äußern kann.

Aus vielen Gründen werden im Regelfall alle Strafverteidiger davon abraten, zu dieser Beschuldigtenvernehmung zu gehen. 

Zum einen ist im Regelfall ist das Erscheinen zu einer Vernehmung für Beschuldigte freiwillig; nur wenn die Staatsanwaltschaft anderes anordnet, müsste ein Beschuldigter zur Vernehmung erscheinen. 

Zum anderen ist ein Beschuldigter den professionell geschulten Vernehmungsbeamten und deren Vernehmungstechniken deutlich unterlegen. Da werden unter anderem schnell dem Beschuldigten, Dinge in den Mund gelegt, die dieser so möglicherweise so nicht gesagt hat oder sagen möchte. Die Beantwortung von Fragen durch den Beschuldigten hängt im wesentlichen von den gestellten Fragen ab. Damit kann ein geschulter Beamter erheblich auch die Antworten beeinfussen. 

Der Hauptgrund aber, nicht zur Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei zu gehen, ist die fehlende Aktenkenntnis und damit auch die Unkenntnis über die Beweis -und Verdachtslage auf der Basis der bisherigen Ermittlungen. Üblicherweise wird zunächst vor der Beschuldigtenvernehmung keine Akteneinsicht gewährt. Deshalb wird eben jeder Strafverteidiger von dem Erscheinen abraten. 

Der Normalfall nahezu jeden strafrechtlichen Mandats ist, das Erscheinen des Mandanten bei der Vernehmung der Polizei abzusagen und Akteneinsicht zu beantragen. Wenn dann später aber die Ermittlunsgakte zwecks Akteneinsicht dem Verteidiger von der Staatsanwltschaft zugeschickt wird, ist das übliche Procedere, dass der Verteidger schriftlich eine Stellungnahme und manchmal auch eine Einlassung des Beschuldigten -seines Mandanten-  erarbeitet. 


In Einzelfällen ist es aber durchaus sinnvoll, wenn der Strafverteidiger - in Absprache natürlich mit seinem Mandanten -keine schriftliche Stellungnahme oder Einlassung erarbeitet sondern der Staatsanwaltschaft mitteilt, dass man darum bittet, dass die Ermittlungsakte zurück zur Polizei zwecks Vernehmung des Mandanten geschickt werden soll. Der zuständige Vernehmungsbeamte der Polizei wird dann mit dem Strafverteidiger einen entsprechenden Vernehmungstermin vereinbaren. Die Vernehmung des Beschuldigten bei der Polizei nach Akteneinsicht und in Begleitung des Straverteigers ist dann im Einzelfall sehr sinnvoll. Durch die Anwesenheit des Verteigers wird sich der Vernehmungsbeamte in der Regel an die zulässigen Vernehmungs – und Fragetechniken halten. Hierauf zu achten ist bei der Vernehmung  eine Hauptaufgabe des Strafverteidigers. 

Der Hauptgrund für eine solche Beschuldigtenvernehmung im Gegensatz zu einer schriftlichen Einlassung ist der viel höhere Stellen- und Beweiswert. Gerade in den Fällen einer sogenannten Aussage-Aussage-Konstellation (wenn es also im wesentlichen nur die Aussage des Beschuldigten und des vermeintlichen Opfers gibt)  ist die Befragung durch die Polizei häufig anzuraten. 

Bei der Ausarbeitung einer schriftlichen Einlassung ist immer das Problem, ob diese wirklich auch alle denkbaren Fragen erschöpfend beantwortet. 

Die obige Frage kann deshalb so beantwortet werden, dass nach erfolgter Akteneinsicht und bei Begleitung eines erfahrenen Strafverteidigers eine Beschuldigtenvernehmung durchaus sinnvoll und richtig sein kann.


Ulli H. Boldt

Fachanwalt für Strafrecht

Berlin-Dresden-Leipzig-Erfurt

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