Teil 5: Konkrete Verteidigungsstrategien im Steuerstrafrecht: Was tun bei Vorwürfen und Anklagen?

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Im letzten Teil unserer Serie zum Steuerstrafrecht widmen wir uns den spezifischen Verteidigungsstrategien, die bei Vorwürfen der Steuerhinterziehung oder anderen steuerlichen Vergehen entscheidend sein können. Steuerstrafverfahren stellen eine komplexe Herausforderung dar, da sie neben finanzrechtlichen Kenntnissen auch ein tiefes Verständnis für strafrechtliche Prinzipien und Verteidigungsmöglichkeiten erfordern.

In diesem Beitrag betrachten wir typische Verteidigungsstrategien und Fallbeispiele, in denen diese Ansätze erfolgreich waren. Außerdem geben wir hilfreiche Hinweise für den praktischen Ablauf und was Betroffene in einem Steuerstrafverfahren beachten sollten.

I. Zentrale Verteidigungsstrategien: Eine Übersicht

Die Wahl der Verteidigungsstrategie hängt von den individuellen Umständen des Falls ab, insbesondere davon, ob eine Steuerhinterziehung wissentlich begangen wurde oder ob tatsächlich ein Versehen vorliegt. Die folgenden Ansätze sind die wichtigsten und erfolgreichsten Strategien im Steuerstrafrecht:

  1. Anzweifeln des Vorsatzes und Nachweis eines Tatbestandsirrtums
  2. Nachweis von Verfahrensfehlern
  3. Aktive Kooperation und Schadenswiedergutmachung
  4. Reduzierung des Tatvorwurfs durch Fachgutachten
  5. Selbstanzeige und Berichtigungspflicht

II. Anzweifeln des Vorsatzes: Wann liegt ein Tatbestandsirrtum vor?

Eine der erfolgversprechendsten Verteidigungsstrategien besteht darin, den Vorsatz des Mandanten anzuzweifeln. Steuerhinterziehung erfordert, dass die betroffene Person absichtlich und bewusst gehandelt hat, um Steuern zu verkürzen. Ein Tatbestandsirrtum kann dabei eine Rolle spielen, wenn der Steuerpflichtige die steuerrechtliche Relevanz seines Handelns oder Unterlassens nicht korrekt eingeschätzt hat.

Wann gilt ein Tatbestandsirrtum als Entschuldigung?

Für die Anerkennung eines Tatbestandsirrtums müssen objektive Kriterien erfüllt sein:

  • Fachliche Unkenntnis: Es reicht aus, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machen kann, dass er sich über die steuerlichen Folgen seines Handelns nicht im Klaren war. Hierbei spielt es eine Rolle, ob er einen Steuerberater konsultiert hat.
  • Fehlende Absicht: Der Steuerpflichtige muss nachweisen können, dass er keine bewusste Entscheidung getroffen hat, die Steuerbehörde zu täuschen oder unrichtige Angaben zu machen.

Beispiel:

Ein Unternehmer lässt es bei der Abgabe seiner Umsatzsteuererklärung darauf ankommen, bestimmte Rechnungen nicht ordnungsgemäß zu verbuchen, da er glaubt, dass diese Rechnungen keine steuerliche Relevanz besitzen. Im Steuerstrafverfahren könnte ein fachliches Gutachten klären, ob der Unternehmer tatsächlich davon ausging, dass die Zahlungen steuerlich unbedeutend seien.

Strategie:

Durch detaillierte Beweismittel und Zeugenaussagen, etwa durch den Steuerberater, der den Steuerpflichtigen möglicherweise nicht ausreichend informiert hat, kann der Vorsatz manchmal widerlegt werden.

III. Nachweis von Verfahrensfehlern: Die Grundlage jeder Verteidigung

Verfahrensfehler können in Steuerstrafverfahren einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Falls haben. Häufig beginnt das Problem schon bei der Einleitung des Strafverfahrens: Oftmals werden Steuerstrafverfahren auf Grundlage von Kontrollmitteilungen oder anonymen Anzeigen eröffnet, ohne dass die Beweise hinreichend gesichert sind. Das bedeutet, dass bei fehlenden Beweisen oder unzureichenden Ermittlungen die Vorwürfe als unzulässig abgewiesen werden können.

Wichtige Verfahrensfehler, die zu einer Einstellung des Verfahrens führen können:


  • Unzureichende Ermittlungen: Das Finanzamt muss nachweisen können, dass eine Steuerverkürzung tatsächlich vorliegt und keine Angaben vergessen wurden. Wenn die Aktenlage diesen Nachweis nicht eindeutig führt, kann die Anklage wegen mangelnder Beweise fallengelassen werden.
  • Fehlende Anhörung: Jeder Steuerpflichtige hat das Recht, vor einer Anklage zu allen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Wird dieses Recht übergangen, kann dies die Einstellung des Verfahrens zur Folge haben.
  • Verletzung des Steuergeheimnisses: Das Steuergeheimnis ist in § 30 AO geregelt. Wenn die Behörde gegen dieses verstößt, indem sie Informationen ohne hinreichende Begründung an Dritte weitergibt, kann das Verfahren angefochten werden.

Beispiel:

Ein Unternehmer wird wegen Steuerhinterziehung angeklagt, weil angeblich Einnahmen nicht ordnungsgemäß verbucht wurden. Die Ermittlungsbehörde hat jedoch keine Beweise dafür, dass die Einnahmen tatsächlich erzielt wurden. Der Verteidiger des Unternehmers könnte beantragen, das Verfahren mangels Beweisen einzustellen, wenn die Anklage keine ausreichende Grundlage hat.

IV. Kooperation und Schadenswiedergutmachung als Strategie

In Fällen, in denen die Steuerhinterziehung nachweislich begangen wurde, kann eine aktive Schadenswiedergutmachung das Strafmaß erheblich verringern. Besonders bei geringer Steuerhinterziehung und Erstreckung auf kurze Zeiträume kann das zeugen.

Erfolgsversprechende Maßnahmen:

  1. Umfassende Zahlung der hinterzogenen Steuern: Eine freiwillige Nachzahlung oder ein Stundungsantrag können positiv auf das Verfahren einwirken.
  2. Offenlegung aller steuerlich relevanten Unterlagen: Die Offenlegung kann bei einem milden Urteil eine wichtige Rolle spielen.
  3. Einsicht und Reue zeigen: Wenn der Steuerpflichtige seine Verantwortung einsieht und freiwillig für Wiedergutmachung sorgt, wird dies oft strafmildernd gewertet.

Beispiel:

Ein Freiberufler hat über mehrere Jahre hinweg Einnahmen in Höhe von 20.000 Euro pro Jahr nicht versteuert. Durch die freiwillige Nachzahlung und vollständige Offenlegung des Einkommens könnten die Behörden das Verfahren möglicherweise gegen eine geringe Geldstrafe einstellen.

V. Fachgutachten als Entlastungsinstrument

Ein weiterer entscheidender Verteidigungsansatz ist die Einholung eines steuerrechtlichen Fachgutachtens. Gutachten können dazu dienen, den steuerlichen Sachverhalt objektiv darzustellen und falsche Berechnungen der Steuerbehörde zu entkräften.

Gründe für ein Fachgutachten:

  1. Komplexe Sachverhalte klären: Gerade bei Cum-Ex-Fällen oder steuerlichen Sonderkonstruktionen ist die Lage oft so komplex, dass nur ein Gutachten die rechtliche Situation aufklären kann.
  2. Fehlerhafte Steuerbescheide: Ein Steuerbescheid ist nicht immer korrekt. Durch eine unabhängige Überprüfung kann festgestellt werden, ob der Vorwurf der Steuerhinterziehung tatsächlich gerechtfertigt ist.
  3. Zweifel an den Tatsachen: Wenn die Staatsanwaltschaft belastende Zahlen vorlegt, kann ein Gegengutachten dabei helfen, die Tatsachen zu entkräften.

Beispiel:

Ein Unternehmen wird der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe bezichtigt, da die Behörde davon ausgeht, dass bestimmte Einkünfte nicht ordnungsgemäß versteuert wurden. Ein Fachgutachten könnte belegen, dass die Zahlungen rechtmäßig waren, da sie aus dem Ausland stammen und der Doppelbesteuerungsabkommen nicht greift.

VI. Selbstanzeige als letzter Ausweg

Wenn alle anderen Strategien nicht greifen, kann die Selbstanzeige ein letzter Rettungsanker sein. Um wirksam zu sein, muss sie rechtzeitig und vollständig erfolgen, bevor die Steuerbehörde Anzeichen für ein strafbares Verhalten entdeckt. Andernfalls bleibt oft nur die Option einer Einstellung gegen Zahlung eines Strafzuschlags.

Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige:


  • Vollständige Offenlegung: Alle steuerrelevanten Unterlagen müssen vollständig offengelegt werden.
  • Keine laufenden Ermittlungen: Die Selbstanzeige kann nur vor Beginn einer Steuerprüfung strafbefreiend wirken.
  • Nachzahlung der Steuern und Zinsen: Die vollständige Zahlung ist eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Selbstanzeige.

VII. Beispielhafte Verteidigungsfälle


  1. Fall 1: Der Unternehmensleiter und die fehlerhafte Buchführung
    Ein Unternehmensleiter wird beschuldigt, Steuern hinterzogen zu haben, da die Buchhaltung unvollständig ist und wichtige Einnahmen nicht verbucht wurden. Die Verteidigung kann argumentieren, dass ein Tatbestandsirrtum vorliegt, da der Unternehmer nicht wusste, dass die Buchführung unvollständig war.
  2. Fall 2: Die unvollständige Selbstanzeige
    Ein Steuerpflichtiger versucht, seine Selbstanzeige absichtlich unvollständig abzugeben, da er glaubt, dass das Finanzamt ohnehin nur einen Teil seiner Einkünfte kennt. Hier droht eine empfindliche Strafe, und die Verteidigung kann auf den Ausschlussgrund der wirksamen Selbstanzeige verweisen.
  3. Fall 3: Der Verfahrensfehler im Steuerstrafverfahren
    Ein Unternehmen wird beschuldigt, über mehrere Jahre keine Umsatzsteuer abgeführt zu haben. Die Steuerbehörde hat jedoch gegen das Steuergeheimnis verstoßen, indem sie die Ermittlungen an die Öffentlichkeit gab. Die Verteidigung kann einen Verfahrensfehler geltend machen und die Einstellung des Verfahrens beantragen.

Fazit: Prävention ist der beste Schutz vor Steuerstrafverfahren

Ein Steuerstrafverfahren kann zu erheblichen rechtlichen und finanziellen Belastungen führen. Durch präventive Maßnahmen und das Einhalten steuerlicher Pflichten lässt sich das Risiko eines Verfahrens jedoch stark reduzieren. Frühzeitige steuerliche Beratung und regelmäßige Überprüfung der eigenen Steuererklärungen bieten eine gute Grundlage, um Fehler oder Lücken zu vermeiden, die zu einem Steuerstrafverfahren führen könnten.

Eine genaue Dokumentation aller Einnahmen und Ausgaben sowie eine systematische Buchführung sind essenziell, um bei Bedarf jederzeit Nachweise erbringen zu können. Auch die Zusammenarbeit mit Steuerberatern oder Fachanwälten für Steuerrecht kann bei komplexeren Sachverhalten hilfreich sein, um rechtliche Grauzonen oder potenzielle Missverständnisse mit den Finanzbehörden frühzeitig zu klären. Besonders bei der Planung von Investitionen oder der Gestaltung von Unternehmen kann eine präventive steuerrechtliche Prüfung helfen, Risiken zu minimieren und steuerliche Vorteile im Rahmen des Gesetzes zu nutzen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Prävention ist, die aktuellen steuerrechtlichen Entwicklungen und die Rechtsprechung zu beobachten, da diese einen Einfluss auf die eigene Steuerpflicht haben können. Wer sich rechtzeitig und umfassend informiert, kann potenziellen Konflikten mit den Finanzbehörden frühzeitig entgegenwirken und so nicht nur finanzielle Verluste vermeiden, sondern auch mögliche strafrechtliche Konsequenzen abwenden.

Ihr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht

Christian Keßler

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