„Thermofenster“ kommt VW teuer zu stehen

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Zum „Thermofenster“, einer häufig eingesetzten Manipulation der Abgaskontrolle, zeichnet sich in der Rechtsprechung eine klare Haltung ab: Sie sind illegal. Autohersteller, die Fahrzeuge mit dieser Abschalteinrichtung vertreiben, schädigen ihre Kunden auf vorsätzlich sittenwidrige Weise. Das bestätigt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Heidelberg gegen Volkswagen.

Beim „Thermofenster“ – den Begriff hat Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt erfunden – handelt es sich um eine temperaturabhängige Manipulation der Emissionskontrolle. Sie bewirkt, dass die Abgasreinigung nur in einem engen Temperaturfenster, beispielsweise zwischen 17 und 30 Grad funktioniert. Also auf dem Prüfstand, wo angenehme 25 Grad herrschen. Im Straßenbetrieb hingegen funktioniert die Abgasreinigung nur bei schönem Wetter und auch dann nur, wenn es nicht zu heiß ist. Von Oktober bis Mai, also mehr als die Hälfte des Jahres, sind die Diesel dann als Dreckschleudern unterwegs.
 
 Für die Autokonzerne ist das kein Problem. Ob Audi, BWM, Daimler, Porsche  oder Volkswagen: Alle nutzen Thermofenster – vorgeblich zum Zweck des Motorschutzes. Dabei berufen sie sich auf Art. 5, Abs. 2, S. 2, Nr. 1 der EG-Verordnung Nr. 715/2007, die die Verwendung von Abschalteinrichtungen zulässt, wenn sie dem sicheren Betrieb des Fahrzeugs und dem Schutz des Motors dienen. 

Dass diese äußerst extensive Auslegung der Ausnahmeregelung nicht rechtens ist, haben bereits zahlreiche Gerichte sowie die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) festgestellt. Es ist davon auszugehen, dass sowohl der EuGH als auch der Bundesgerichtshof (BGH) Thermofenster definitiv für illegal erklären.

Dieser Ansicht folgte auch das Landgericht Heidelberg im Fall eines VW T5-Transporters 2.0 I TDI der Schadstoffklasse 5, in dem der Skandalmotor EA 189 mit Thermofenster verbaut ist. Der Kläger hatte das Fahrzeug 2015 gebraucht für 58.500 Euro erworben. Das Gericht befand, dass das Fahrzeug aufgrund des Thermofensters nicht über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügt. Dem Fahrzeughalter drohe daher ein erheblicher Schaden – nämlich die Stilllegung des Diesels. Damit habe Volkswagen den Käufer des T5 in besonders verwerflicher Weise vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Das Urteil: VW muss das Fahrzeug zurücknehmen und dem Geschädigten nach Abzug einer Nutzungsentschädigung rund 49.900 Euro Schadenersatz zahlen. Zusätzlich wurden dem Kläger deliktische Zinsen in Höhe von 8.600 Euro zugesprochen. Unterm Strich erhält er also ebenso viel Geld, wie er für den VW-Transporter bezahlt hat (29.05.2020, Az. 4 O 199/19).

Über Details zu Motoren und Abschalteinrichtungen, schweigen sich die Autokonzerne üblicherweise aus. Auch VW ist vor dem Heidelberger Landgericht Informationen zur Steuerungssoftware im T5 schuldig geblieben. Die Frage, weshalb das Thermofenster die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Verbot von Abschalteinrichtungen erfülle, ließ der Autokonzern in zwei mündlichen Verhandlungen ebenfalls unbeantwortet – und das obwohl er vom Gericht per Auflagenbeschluss aufgefordert wurde, seiner „sekundären Darlegungslast“ nachzukommen.

Mit dieser Verschleierungstaktik machen es sich die Autohersteller einfach – und setzen sich dreist über geltendes Recht hinweg. Grundsätzlich unterliegen zwar die geschädigten Autokäufer als Kläger der Beweislast. Sie müssten nachweisen, ob in ihrem Diesel eine Abschalteinrichtung wirksam ist, wie diese funktioniert, inwiefern sie eine Schädigung darstellt und wer dafür verantwortlich ist. Doch das ist für die Kläger kaum möglich, weil sie nicht über Detailkenntnisse zu Motoren, Software sowie zu Entscheidungsprozessen verfügen.

In solchen Fällen kommt die „sekundäre Darlegungslast“ ins Spiel: Wenn dem Kläger Informationen über einen Sachverhalt – hier: die Abschalteinrichtung – fehlen, muss der Beklagte, also der Autobauer, seine Argumentation mit näheren Angaben belegen.
 Das heißt: Autokonzerne dürfen nicht einfach nur bestreiten, dass sie eine Abschalteinrichtung eingebaut haben, oder behaupten, diese sei legal. Sie müssen dazu substanzielle Angaben machen. Dementsprechend stellte der Heidelberger Richter klar: „Volkswagen hat die Strategieentscheidung getroffen, die EG-Typengenehmigung für alle mit dem Thermofenster ausgestatteten Kfz ihrer Konzerngesellschaften (…) zu erschleichen, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen.“

Wir freuen uns, dass der Richter in Heidelberg unserem Antrag fast vollständig stattgegeben hat. Thermofenster sind eindeutig illegal – das sollten VW und die anderen Autokonzerne endlich anerkennen. Es ist höchste Zeit, dass sie im Diesel-Abgasskandal endlich die Karten auf den Tisch legen und ihren geschädigten Kunden angemessene Schadenersatzangebote machen. Wohlgemerkt: Allein in unserer Kanzlei laufen noch 9.000 Verfahren gegen Volkswagen.

Als führende Anwälte im Abgasskandal stehen wir Ihnen bei allen Fragen zur Seite. Auf unserer Website finden Sie stets aktuelle Informationen sowie eine Chronik der Ereignisse. Gerne prüfen wir Ihre individuellen Ansprüche und informieren Sie über die Möglichkeiten einer risikolosen Prozesskostenfinanzierung. Dafür sind wir von Montag bis Freitag, jeweils von 9 bis 18 Uhr, telefonisch erreichbar.


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