Verfahren bei internationalen Kindesentführungen – Rechte, Abläufe und rechtliche Maßnahmen

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Einführung in das Thema internationale Kindesentführungen

Internationale Kindesentführungen stellen eine schwerwiegende Verletzung des Sorge- und Umgangsrechts dar. Sie entstehen häufig im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Trennungen oder Scheidungen, wenn ein Elternteil das gemeinsame Kind ohne Zustimmung des anderen Elternteils oder ohne gerichtliche Anordnung in ein anderes Land verbringt oder dort zurückhält. In solchen Fällen greift ein komplexes Netz aus internationalen, europäischen und nationalen Vorschriften, das ein schnelles und gerechtes Verfahren gewährleisten soll.

Rechtsgrundlagen bei grenzüberschreitender Kindesentführung

Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ)

Das wichtigste internationale Rechtsinstrument ist das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) von 1980, das in über 100 Staaten weltweit Anwendung findet. Ziel des Übereinkommens ist die schnelle Rückführung des entführten Kindes in seinen ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthaltsstaat.

Brüssel IIb-Verordnung (EU) 2019/1111

Für EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) gilt ergänzend die Brüssel IIb-Verordnung, die einheitliche Verfahrensregeln für grenzüberschreitende Familienangelegenheiten festlegt. Sie verstärkt den Schutz von Kindern und sorgt für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Sorgerechtsfragen.

Was ist eine internationale Kindesentführung?

Eine Kindesentführung im internationalen Sinne liegt vor, wenn:

  • Ein Kind unter 16 Jahren

  • Widerrechtlich aus dem Aufenthaltsstaat entfernt oder dort zurückgehalten wird

  • Ein Elternteil dadurch in seinem Sorgerecht verletzt wird

  • Das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem HKÜ-Vertragsstaat hatte

Beispiel: Ein Elternteil reist mit dem Kind in sein Herkunftsland und kehrt trotz fehlender Zustimmung des anderen Elternteils nicht zurück – dies stellt eine internationale Kindesentführung dar.

Ablauf des Rückführungsverfahrens nach dem HKÜ

1. Antragstellung bei der Zentralen Behörde

In Deutschland ist das Bundesamt für Justiz (BfJ) die zuständige zentrale Behörde gemäß HKÜ. Dort kann der Antrag auf Rückführung des Kindes eingereicht werden. Alternativ kann der Antrag auch bei der zentralen Behörde des Aufenthaltsstaates gestellt werden.

2. Prüfung des Antrags

Die zentrale Behörde prüft die Vollständigkeit und Zulässigkeit des Antrags und leitet ihn an die zuständigen Behörden im Aufenthaltsstaat des Kindes weiter. In diesem Stadium wird oft eine einvernehmliche Lösung angestrebt.

3. Gerichtliches Verfahren im Aufenthaltsstaat des Kindes

Wird keine Einigung erzielt, leitet das dortige Gericht ein Rückführungsverfahren ein. Die Entscheidung hat in der Regel innerhalb von sechs Wochen zu erfolgen. Das Gericht prüft:

  • Ob eine widerrechtliche Entführung vorliegt

  • Ob eine Rückführung dem Kindeswohl widerspricht (z. B. bei Gefahr für das Kind)

  • Ob Ausnahmen nach Art. 13 HKÜ greifen

4. Rückführungsanordnung oder Ablehnung

Fällt das Gericht eine Entscheidung zur Rückführung, wird das Kind in seinen ursprünglichen Aufenthaltsstaat zurückgebracht. Wird die Rückführung abgelehnt, kann der zurückgelassene Elternteil zusätzlich ein Sorgerechtsverfahren im Ursprungsstaat anstrengen.

Rechte des zurückgelassenen Elternteils

  • Recht auf gerichtliche Durchsetzung des Sorgerechts

  • Recht auf Rückführung des Kindes gemäß HKÜ

  • Anspruch auf Unterstützung durch die Zentralen Behörden

  • Recht auf rechtliches Gehör und anwaltliche Vertretung

Ausnahmen von der Rückführungspflicht nach dem HKÜ

In bestimmten Ausnahmefällen kann die Rückführung verweigert werden:

  • Schwerwiegende Gefahr für das Kind bei Rückkehr (z. B. Missbrauch, Gewalt)

  • Das Kind widersetzt sich der Rückkehr, wenn es eine entsprechende Reife aufweist

  • Der zurückgelassene Elternteil hat dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt

  • Die Antragstellung erfolgte mehr als ein Jahr nach der Entführung und das Kind ist inzwischen integriert

Diese Ausnahmen werden jedoch eng ausgelegt, da das Ziel des HKÜ die schnelle Rückführung ist.

Rolle des Kindes im Verfahren

Kinder werden zunehmend als eigenständige Rechtssubjekte betrachtet. Im Verfahren wird ihnen je nach Alter und Reife oft Anhörung und Mitspracherecht gewährt. Die Meinung des Kindes kann insbesondere bei Entscheidungen über Ausnahmen nach Art. 13 HKÜ ausschlaggebend sein.

Strafrechtliche Aspekte der Kindesentführung

In Deutschland stellt eine internationale Kindesentführung regelmäßig auch eine Straftat gemäß § 235 StGB dar:

„Wer ein Kind einem Elternteil, dem das Sorgerecht zusteht, entzieht oder vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Internationale Zusammenarbeit über Interpol und Auslieferungsverfahren ist in gravierenden Fällen möglich.

Rechtsschutz und anwaltliche Unterstützung

Betroffene Elternteile sollten sich umgehend rechtlichen Beistand suchen. Fachanwälte für Familienrecht mit Erfahrung im internationalen Bereich sind hier besonders gefragt. Darüber hinaus stehen folgende Stellen unterstützend zur Seite:

  • Bundesamt für Justiz (BfJ)

  • Zentrale Behörden im Ausland

  • Internationale Organisationen wie Reunite oder MiKK e. V.

  • Auswärtiges Amt (in besonderen Krisenfällen)

Präventive Maßnahmen gegen Kindesentführung

Zur Vermeidung internationaler Kindesentführungen empfehlen sich folgende Schutzmaßnahmen:

  • Gemeinsames Sorgerecht notariell oder gerichtlich festhalten

  • Reisepass-Sperre bei der Passbehörde beantragen

  • Auflagen bei Umgangsregelungen mit Auslandsreisen verknüpfen

  • Gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen mit klaren Regelungen zu Reisevollmachten

Gerade bei binationalen Partnerschaften sollten klare Sorgerechtsvereinbarungen getroffen werden, um Streitigkeiten und Entführungen vorzubeugen.

Fazit – Schnelle Hilfe bei Kindesentführungen ist entscheidend

Internationale Kindesentführungen sind ein emotional und rechtlich hochkomplexes Thema. Eltern, Gerichte und Behörden müssen rasch und koordiniert handeln, um das Kindeswohl zu schützen und die Rechtslage wiederherzustellen. Die internationale Rechtslage bietet dank des HKÜ und der EU-Verordnungen ein wirksames Instrumentarium, doch der Erfolg hängt wesentlich vom schnellen Handeln und juristischer Unterstützung ab.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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