Verfahrenseinstellung bei Sexualdelikten

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Bei der Verteidigung in Sexualstrafverfahren geht es zum einen darum, rechtliche Nachteile wie eine Verurteilung zu verhindern oder abzumildern. Und zum anderen geht es auch darum, die oftmals einhergehende gesellschaftliche Stigmatisierung zu vermeiden oder weitestgehend abzufangen.

Um dies bestmöglich zu erreichen, ist das Ziel vieler Sexualstrafverfahren die Verfahrenseinstellung im Ermittlungsverfahren. 


Was ist eine Verfahrenseinstellung?


Hier ein paar Short Facts:


  • Eine Verfahrenseinstellung im Ermittlungsverfahren beendet das Strafverfahren vorzeitig - verhindert also die Eröffnung des Hauptverfahrens. Aus diesem Grund kann die stigmatisierende Außenwirkung des Gerichtsprozesses verhindert werden.
  • Verfahrenseinstellungen werden weder im Bundeszentralregister noch im Führungszeugnis vermerkt. Wird im Jugendstrafrecht das Verfahren eingestellt, wird die Einstellung im sogenannten Erziehungsregister vermerkt bis der Betroffene 24 Jahre alt wird. Sodann werden diese Eintragungen automatisch gelöscht. Die Erziehungsregister dürfen Strafgerichte, Staatsanwaltschaften, Vormundschaftsgerichte, Familiengerichte und Jugendämter einsehen. Es hindert den Jugendlichen oder Heranwachsen somit nicht in der beruflichen Entfaltung.
  • In der Regel hat der Beschuldigte bei einer Einstellung die Verfahrenskosten nicht zu tragen, oftmals jedoch die eigenen Auslagen (also insbesondere die Rechtsanwaltskosten und Fahrtkosten).
  • Letztendlich sei noch erwähnt, dass eine Verfahrenseinstellung nicht rechtskräftig die Unschuld des Beschuldigten feststellt. Trotzdessen kann es ein sinnvolles Verfahrensziel sein, gerade wenn ein Freispruch weniger in Betracht kommt.


Verfahrenseinstellungen können aus unterschiedlichsten Gründen angeregt werden. Die wichtigsten werden wie folgt kurz erläutert:


§ 170 Abs. 2 StPO

Die Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO ist im Ermittlungsverfahren so eine Art „kleiner Freispruch“. Da ein Freispruch nur über ein Gerichtsverfahren erfolgen kann, kann im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf eben diese Art und Weise beenden. 

Eine „bessere“ Art, das Ermittlungsverfahren zu beenden, gibt es also nicht.


Die Einstellung erfolgt, wenn mit den aktuellen Erkenntnissen zur Beweislage und Rechtslage eine Verurteilung in einem Gerichtsverfahren nicht wahrscheinlicher wäre als ein Freispruch. 

Das bedeutet, dass entweder die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichen würden, oder rechtliche Hinderungsgründe bestehen dürften. Sollten sich irgendwann neue Erkenntnisse zu den Bereichen ergeben, könnte das Ermittlungsverfahren jedoch wieder aufgenommen werden. 



§ 153 und § 153a StPO

Die Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO kann dann erfolgen, wenn das Gericht wegen "geringer Schwere der Schuld" von der weiteren Verfolgung absieht. Das ist dann oftmals der Fall, wenn im Vergleich zu anderen Vorwürfen genau dieser Art, die Schuld erheblich unter dem Durchschnitt liegt. Eine versierte Strafverteidigerin weiß, an welchen Stellen angesetzt werden kann, um eine vergleichsweise geringere Schuld herauszuarbeiten.

Weiterhin darf kein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Tat vorliegen. Dabei ist beispielsweise von Interesse, ob es Vorstrafen gibt.

Bei der vorgeworfenen Tat muss es sich zudem um ein Vergehen handeln (hierzu unten mehr).


Die Einstellungsmöglichkeit nach § 153a StPO ist an § 153 StPO angelehnt. Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass gegen Auflagen und Weisungen eingestellt wird, also beispielsweise gegen die Zahlung an einer Geldauflage an eine gemeinnützige Organisation. Das Verfahren wird nur dann eingestellt, wenn die Auflagen und Weisungen auch tatsächlich erfüllt wurden.




Besonderheiten bei Sexualdelikten


§170 Abs. 2 StPO


Eine Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO kann selbstverständlich bei jeglichem Delikt erfolgen, wenn die Beweislage oder die Rechtslage den Vorwurf nicht umfasst.

Bei Sexualdelikten spielen Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen eine beträchtliche Rolle. Genaueres hierzu kann dem Artikel "Einführung in die Verteidigung von Sexualdelikten" entnommen werden. Zusammengefasst kann hier angeführt werden, dass der Zweifelssatz "Im Zweifel für den Angeklagten" einer gelungenen Verteidigung in die Karten spielt. Kann beispielsweise im Ermittlungsverfahren bereits dargelegt werden, dass eine andere, ebenso plausible Situation vorlag, die keinen strafrechtlichen Gehalt aufweist, kann die gegnerische Aussage erschüttert werden. Möglicherweise können auch bereits jetzt Widersprüche, Ungereimtheiten oder rechtliche Pfeilstricke dargelegt werden, die einer Anklage im Weg stünden.

Die Einstellungsmöglichkeit hängt hier vom Einzelfall des Verfahrens ab. Wer sagt was? Was ist passiert? Welche Rechtslage greift oder greift eben nicht? Es bieten sich insgesamt unterschiedlichste Angriffspunkte an. Sehr viele Verfahren können an dieser Stelle bereits diskret beendet werden.



§ 153 und § 153a StPO

Bei der Erzielung einer Verfahrenseinstellung von Sexualdelikten auf dieser Grundlage muss genau darauf geachtet werden, wie das vorgeworfene Delikt ausgestaltet ist. Ein sexueller Übergriff gem. §177 Abs. 1 StGB könnte beispielsweise seiner Deliktsnatur nach eingestellt werden, eine sexuelle Nötigung gem. § 177 Abs. 5 StGB dagegen nicht. Dies liegt daran, dass es sich bei ersterem gem. § 12 StGB um ein Vergehen handelt und bei zweiterem um ein Verbrechen. Die Unterteilung von Delikten in diese beiden Kategorien erfolgt aufgrund der Mindeststrafe, die angedroht wird. Ein Verbrechen liegt bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vor und ist daher im Regelfall erstmal ein schwerwiegender Vorwurf als ein Vergehen.


Gem. § 153 oder 153a StPO können nur Vergehen eingestellt werden, nicht aber Verbrechen. Bei den schwerwiegenderen Delikten kann also nicht gem. §153 ff. StPO eingestellt werden.


Mit der Strafrechtsreform zum 01.07.2021 sind beispielsweise die meisten Delikte im Bezug auf Kinderpornographie so umgeschrieben worden, dass sie nicht mehr einstellungsfähig sind. Viele Tatmodalitäten wurden zu Verbrechen umgestaltet. Das bedeutet, dass auch solche Taten, die ursprünglich nur geringe oder gar keine strafrechtliche Relevanz haben, nun angeklagt werden müssen. Denn sobald die Staatsanwaltschaft hinreichende Anhaltspunkte dazu hat, dass der Tatbestand technisch gesehen ausgefüllt wurde, steht sie sich entsprechend des Legalitätsprinzips und ihres Anklagemonopols (§§ 152 Abs. 2, 160 StPO) in der Pflicht, anzuklagen und damit den Weg zu den Gerichten frei zu machen. 


Dass dies für bestimmte Fälle absurd sein dürfte, liegt auf der Hand. Hat beispielsweise eine Mutter aus dem Klassenchat ihres Kindes Nacktbilder einer Mitschülerin an sich selbst weitergeleitet und schickt diese sodann an andere Eltern, um auf das Problem aufmerksam zu machen, macht sie sich wegen Besitzes und Verbreitung von Kinderpornographie strafbar. Dieser Fall müsste angeklagt werden und dürfte nicht gem. § 153 StPO eingestellt werden. Vor der Reform war dies noch möglich. Umso wichtiger ist es hier, eine ansatzweise sachgerechte Lösung mit einer Strafverteidigerin zu finden.



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Foto(s): Hannah Funke

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