Verwirkung des Ausbildungsunterhalts

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Absolviert das Kind eine Schul- oder Berufsausbildung, sind die Eltern verpflichtet, Unterhalt zu zahlen. Verhält sich das Kind in vorwerfbarer Art und Weise aber anders, als es die Eltern erwarten dürfen, findet die Unterhaltspflicht ihre Grenze. Dann kann es sein, dass der Unterhaltsanspruch „verwirkt“ ist. Sprechen wir darüber, was Verwirkung bedeutet und wann Sie den Ausbildungsunterhalt einschränken oder sogar vollständig verweigern dürfen. Grundlegende Kenntnisse dieser oft schwierigen Materie sind wichtig, damit Sie Ihren Standpunkt einschätzen können und Ihre Argumentation nicht schon mit dem zweiten Satz in einer Sackgasse endet.

Wann besteht Anspruch auf Ausbildungsunterhalt?

Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf (§ 1610 Abs. II BGB). Als Eltern schulden Sie eine Berufsausbildung, die

  • der Begabung und den Fähigkeiten,
  • dem Leistungswillen
  • und den beachtungswürdigen Neigungen des Kindes am besten entspricht
  • und sich in den Grenzen Ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hält (so ständige Rechtsprechung des BGH FamRZ 2017, 799).

Kind gibt sich bei Ausbildung oder Studium keine Mühe

Der Ausbildungsunterhalt ist von einem Gegenseitigkeitsverhältnis geprägt. Das Kind ist verpflichtet, die Ausbildung in angemessener Zeit aufzunehmen und sich dafür zu engagieren, das Ausbildungsziel unter Einsatz allen zumutbaren Engagements anzustreben. Ob das Ausbildungsziel tatsächlich erreicht wird, lässt sich nicht erzwingen, so dass Eltern ihre Unterhaltspflicht auch nicht davon abhängig machen können, dass das Kind das Ausbildungsziel erreicht.

Betreibt das Kind die Ausbildung nicht so, wie sie es vielleicht erwarten, stellt sich die Frage, was ihnen zuzumuten ist. Die Anforderungen sind streng. Ihre Unterhaltspflicht kann das Maß dessen, was Eltern zuzumuten ist, übersteigen, wenn das Kind beispielsweise nicht über seine Ausbildungspläne informiert und sie nicht mehr mit ihrer Inanspruchnahme rechnen mussten (BGH FamRZ 2017, 1132).

Wann ist Ausbildungsunterhalt verwirkt?

Das volljährige Kind kann seinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt wegen Verwirkung verlieren, wenn die Eltern wegen des Zeitverlaufs und des Verhaltens des Kindes nicht mehr mit weiteren Zahlungen rechnen mussten (Treu und Glauben nach § 242 BGB) oder das Kind wegen sittlichen Verschuldens sich nicht mehr als unterhaltswürdig erweist (Fälle nach § 1611 BGB).

Die Verwirkung wird wichtig, wenn durch den Zeitablauf noch keine Verjährung eingetreten ist und das Kind den Unterhalt einfordert. Dies hängt vorwiegend damit zusammen, dass der Anspruch auf Kindesunterhalt und so auch auf Ausbildungsunterhalt „gehemmt“ ist, solange das Kind das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 207 BGB). Hemmung bedeutet, dass der Zeitverlauf nicht in die Verjährung eingerechnet wird. Die Hemmung endet, wenn das Kind das 21. Lebensjahr vollendet.

Da sich die Hemmung auf der Verjährungsrecht bezieht und Verjährung und Verwirkung auf unterschiedlichen Grundlagen beruhen, kommt eine Hemmung der Verwirkung nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 31.1.2018, Az. XII ZB 133/17).

Tipp: Als Elternteil stehen Sie gegenüber Ihrem Kind in einer besonderen Verantwortung. Es bedarf stets der Prüfung im Einzelfall, ob und inwieweit Sie Ihre Unterhaltszahlungen tatsächlich einstellen dürfen. Pauschale Kritik an der Lebensführung des Kindes genügt dafür nicht. Es empfiehlt sich, die Voraussetzungen einer möglichen Verwirkung sehr genau zu prüfen und nicht voreilig zu handeln.

Verwirkung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Hat das volljährige Kind Anspruch auf Ausbildungsunterhalt und ist lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen, ist anders als bei einem normalen Gläubiger zu erwarten, dass es sich auch zeitnah um die Durchsetzung seines Anspruchs bemüht (BGH, Beschluss vom 16.6.1999, Az. XII ZA 3/99). Aufgelaufene Unterhaltsbeträge können daher der Verwirkung unterliegen, wenn das Kind diese trotzdem geltend macht, obwohl der Unterhaltsschuldner nach „Treu und Glauben“ unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen mussten. Dieser Grundsatz gilt für nicht titulierte als auch für rechtsverbindlich festgestellte, titulierte Unterhaltsansprüche.

Der Begriff der Verwirkung ist im Gesetz nicht definiert. Verwirkung hat drei Voraussetzungen:

  1. Seit dem Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entstanden ist, ist längere Zeit vergangen. Juristisch spricht man von „Zeitmoment“.
  2. Das Kind hat sich so verhalten, dass bei den Eltern der Eindruck entstanden ist, es werde den Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
  3. Letztlich müssen die Eltern darauf vertraut und sich darauf eingerichtet haben, dass sie keinen Ausbildungsunterhalt mehr zahlen müssen (Vertrauensmoment).

Beispiel: Im Fall des BGH (Beschluss vom 16.6.1999, Az. XII ZA 3/99) ging es um die in den Jahren 1985 und 1986 titulierten Unterhaltsansprüche eines 1982 geborenen Kindes, die dieses seit Einstellung der Zahlungen des Vaters im Januar 1990 bis 1997 nicht mehr geltend gemacht hatte. Die Verwirkung war insoweit ein wichtiger Aspekt, als die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes bis zur Volljährigkeit gehemmt ist und die Ansprüche deshalb nicht der Verjährung unterliegen (§ 207 BGB). Gleiches gilt für die Ansprüche eines privilegierten volljährigen Kindes bis zum 21. Lebensjahr, das im Haushalt eines Elternteils lebt und sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet.

Allgemein ist davon auszugehen, dass die Verwirkung des Ausbildungsunterhalts infolge Zeitverlaufs in Betracht kommt, wenn das Kind seine Unterhaltsansprüche länger als ein Jahr nicht geltend gemacht hat, obwohl es dazu in der Lage gewesen wäre und Sie als unterhaltspflichtiger Elternteil mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Kindes davon ausgehen durften, dass das Kind den Unterhalt nicht mehr einfordern wird.

Verwirkung wegen sittlichen Verschuldens des Kindes

Schwerwiegende Verfehlungen eines Kindes können dazu führen, dass der Anspruch auf Unterhalt teilweise oder vollständig entfällt. Auch dann ist der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt verwirkt. Als Elternteil brauchen Sie allenfalls noch einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, der der Billigkeit entspricht. § 1611 BGB enthält eine Reihe von Ansatzpunkten. In Betracht kommt, dass das Kind

  • durch sein sittliches Verschulden finanziell bedürftig geworden ist. Beispiel: Ein Kind muss sich ein sittliches Verschulden vorwerfen lassen, wenn es seine Bedürftigkeit mutwillig durch Spiel-, Alkohol- oder Drogensucht herbeigeführt hat (OLG Hamm, FamRZ 2007, 165);
  • sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen Ihre Person oder einen nahen Angehörigen schuldig gemacht hat. Beispiel: Tätliche Angriffe, Bedrohungen, Denunziation zum Zwecke beruflicher oder wirtschaftlicher Schädigung des Elternteils (OLG Celle, FamRZ 1993, 1235).

Verwirkung setzt aber immer voraus, dass es gerecht, unfair und nicht angemessen wäre, das Kind unterhalten zu müssen. Deshalb reicht nicht jede Verfehlung aus, um eine Verwirkung des Ausbildungsunterhalts zu begründen.

Beispiele aus der Rechtsprechung sind neben bloßer Taktlosigkeit (AG Eschweiler, FamRZ 1984, 1252), beharrlicher förmlicher Anrede des Elternteils mit „Sie“ (OLG Hamm, FamRZ 1995, 1439 oder völlig ungewöhnlicher Entgleisung des Kindes (OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 971) auch:

  • Das Kind nimmt Unterhaltszahlungen entgegen, obwohl es die Schulausbildung abgebrochen und den unterhaltspflichtigen Elternteil nicht darüber informiert hatte (OLG Köln, Urteil vom 20.4.2004, Az. 4 UF 229/03).
  • Das Kind verschweigt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit neben dem Studium, ohne den unterhaltspflichtigen Elternteil darüber zu informieren (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 10.10.2008, Az. 1 UF 121/08). Da das eigene Einkommen den Unterhalt mindert, hätte das Kind den Elternteil informieren müssen.
  • Das Kind führt ein Leben, bei dem es Risiken auf Kosten der Eltern bewusst in Kauf nimmt, indem es ziellos studiert und ohne soziale Absicherung arbeitet (OLG Hamm, Urteil vom 19.10.2001, Az. 11 UF 36/01).
  • In einer Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 12.1.1995, Az. 1 UF 355/94) ging es um den versuchten Prozessbetrug eines Kindes, das über längere Zeit gezahlte Berufsausbildungsbeihilfen des Arbeitsamtes als eigenes Einkommen verschwiegen hatte.
  • Das OLG Hamm (Urteil vom 21.12.2005, Az. 11 UF 218/05) hielt die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs um zwei Drittel für angebracht, weil das Kind eine bewusst falsche Strafanzeige gegen den Vater erstattet hatte, bei dem es um den Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr ging.
  • Wiederholte und schwerwiegende Beleidigungen, die eine tiefgreifende Verachtung des unterhaltspflichtigen Elternteils und seines Ehepartners erkennen lassen, können zur Verwirkung des Ausbildungsunterhalt führen (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2005, Az. 11 UF 218/05).

Achtung: Keine Verwirkung beim minderjährigen Kind

Ist das Kind minderjährig, kommt die Verwirkung des Ausbildungsunterhalts wegen eines sittlichen Fehlverhaltens nicht in Betracht (§ 1611 Abs. II BGB). Die Verwirkung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bleibt möglich. Ist Ihr Kind hingegen ein privilegiertes volljähriges Kind (Kind bis zum 21. Lebensjahr, das im Haushalt eines Elternteils wohnt) können vorwerfbare Verfehlungen den Ausbildungsunterhalt zu Fall bringen, da die maßgebliche Vorschrift des § 1611 BGB auf privilegierte volljährige Kinder nicht anwendbar ist (Kammergericht Berlin, Beschluss vom 27.1.2016, Az. 2 UF 234/14). Dabei sind allerdings Umstände der Trennung und Scheidung der Eltern und die sich daraus ergebende Eltern-Kind-Beziehung einzubeziehen (BGH, Az. ZR 240/93).

Fazit

Bevor Sie sich auf das oft schwierige Terrain der Verwirkung begeben und mit den dafür maßgeblichen Begriffen wie Billigkeit und Treu und Glauben argumentieren, sollten Sie sich unbedingt anwaltlich beraten und gegebenenfalls vertreten lassen.

Foto(s): iurFRIEND

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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