Volkswagen - Schadensersatzansprüche (auch) für deutsche Kleinaktionäre wegen der „Abgasaffäre“?

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Die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der „Abgasaffäre“ sind aktuell Gegenstand vielfältiger Presseberichterstattungen. Die Öffentlichkeit erfährt, mehr oder minder staunend, immer neue Details über die offensichtlich zielgerichtete Manipulation von Messwerten bei Dieselfahrzeugen, zunächst nur in den USA, mittlerweile europaweit.

Im Fokus stehen hierbei die rechtlichen Folgen in den USA, und die dort zu befürchtenden weitgehenden wirtschaftlichen Auswirkungen für Volkswagen Amerika, und damit den gesamten Volkswagen-Konzern.

Berichtet wird darüber, dass die amerikanische Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) durch die dortige Rechtslage in den Stand versetzt wird, für jeden der rund 480.000 Einzelfälle ggf. eine Strafe von 25.000,00 US-$ je Fahrzeug auszusprechen, also insgesamt 12 Milliarden US-$. Daneben und zusätzlich, so ist zu lesen, erlaubt das amerikanische Recht jedem betroffenen Ersterwerber eines Fahrzeugs, zivilrechtlich Schadensersatz vom Hersteller zu fordern.

Berichtet wird über – parallele – strafrechtliche Ermittlungen in den USA, die unter dem Gesichtspunkt des „Strafschadensersatz“, der dem deutschen Recht fremd ist, milliardenschwere Folgen haben können; die vielfältigen, strafrechtlichen Auseinandersetzungen, in der Finanzbranche, mit Vergleichen in Milliardenhöhemit ausländischen Banken, belegen, dass auch für diesen Bereich unerfreuliche Konsequenzen drohen.

Wenig im Fokus der öffentlichen Berichterstattung sind dagegen die denkbaren Folgen nach dem deutschen Kapitalmarktrecht. Tatsächlich drohen auch hier Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe seitens der Inhaber von VW-Aktien, und zwar auch von „Kleinanlegern“.

Derartige Ansprüche ergeben sich unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter bzw. unterlassener Kapitalmarktinformation. Ein kurzer, naturgemäß nur allgemein gehaltener Blick auf die entsprechenden rechtlichen Regelungen lohnt sich:

Das Kapitalmarktrecht ist geprägt von dem Gedanken der „Publizität“, also der rechtzeitigen, zutreffenden und stattfindenden Information des Kapitalmarktes über alle kursrelevanten Tatsachen, das Gesetz spricht von sogenannten „Insiderinformationen“, vgl. § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Der Sinn des Gesetzes ist leicht zu erklären: Der Aktienemittent ist zu einer schnellen und gleichmäßigen Unterrichtung der Marktteilnehmer verpflichtet, mit dem Ziel, dass sich keine unangemessenen Preise bilden und insbesondere, dass nicht aufgrund fehlerhafter oder auch unterlassener Informationen Aktienerwerbe „zu teuer“ oder auch „zu billig“ erfolgen.

Sichergestellt wird dies zunächst durch die als „Regelpublizität“ bezeichneten regelmäßigen Informationen über den Zustand des börsennotierten Unternehmens, in Form von Geschäftsberichten, Zwischenberichten usw. Daneben existiert die sogenannte ad hoc Publizität, also sozusagen die geschuldete „Augenblicksinformation“, aus besonderem Anlass im Einzelfall, gelegentlich vereinfachend auch „Gewinnwarnung“ genannt.

Eine solche ad-hoc-Mitteilung konnte man am 22.09.2015 seitens der Volkswagen AG zur Kenntnis nehmen. In dieser war zum ersten Mal auch von einem Gesamtvolumen von „weltweit rund 11 Mio. Fahrzeugen“ die Rede.

Unabhängig davon, dass der Inhalt der ad hoc Mitteilung, der auf der Website des Volkswagenkonzerns verfügbar ist, einigermaßen „beschönigend“ und auch widersprüchlich ist, belegt die Veröffentlichung als solche, dass auch aus der Sicht des Konzerns eine Information zu erfolgen hatte.

Die nunmehr tatsächlich erfolgte Information vom 22.09.2015 indiziert die Fragestellung, ob diese – rechtzeitig – und inhaltlich ausreichend war, was wohl relativ einfach mit einem „Nein“ zu beantworten ist, und welche Folgen sich ergeben.

Nach § 37 b) Abs. 1 Nr. 1 WpHG gründet nicht nur die falsche, sondern auch das Unterlassen einer gebotenen rechtzeitigen Information einen Schadensersatzanspruch der Aktionäre.

Die Vorschrift lautet wörtlich:

„Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, so ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte

1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder
2. die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.“

Selbstverständlich ist, dass nicht jeder, der irgendwann einmal VW-Aktien erworben oder veräußert hat, Inhaber eines Schadensersatzanspruches wird. Es muss ein entsprechender Zusammenhang mit der Unterlassung der rechtzeitigen kursrelevanten Information bestehen.

Der Anspruch nach § 37 b) Abs. 1 Nr. 1 WpHG knüpft dabei an die Inhaberschaft in der „Desinformationsphase“ an. Diese beginnt zum Zeitpunkt, in dem die Insiderinformation hätte rechtzeitig veröffentlicht werden müssen, und endet mit Bekanntwerden der Information, sei es dadurch, dass diese sich im Markt verbreitet, oder auch durch eine (nachgeholte) Information des Emittenten, vgl. die ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015.

Darüber wann (und in welcher Form) – rechtzeitig – hätte informiert werden müssen, lässt sich trefflich streiten. Die Auseinandersetzung zum Sachverhalt werden sich dementsprechend darauf konzentrieren, zu welchem Zeitpunkt die Insiderinformation beim Unternehmen bekannt, und auch konkret genug war, um eine entsprechende Veröffentlichungspflicht auszulösen. Dies auch deshalb, weil ein Schadensersatzanspruch dann nicht in Frage kommt, wenn der Emittent nachweist, dass die Unterlassung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht hat.

Presseveröffentlichungen ist bisher zu entnehmen, dass die Sanktionsverfügung der Umweltbehörde EPA am 18.09.2015 erfolgt ist; die Ermittlungen selbst sollen jedoch schon im Mai 2014 in den USA eingeleitet worden sein, wobei schwer vorstellbar ist, dass die Einleitung der Ermittlungen den Verantwortlichen dort – und im Konzern – entgangen ist.

Da die Ursache für die Veröffentlichungsverpflichtung im Konzern selbst gesetzt worden ist, eben schlicht durch die Manipulationssoftware und deren Installation, dürfte der Zeitpunkt des Beginns der „Desinformationsphase“ noch zeitlich deutlich früher liegen.

Vereinfacht kann man sagen, dass ein Schadensersatzanspruch für alle diejenigen in Frage kommt, die Volkswagen-Stamm- und Vorzugsaktien seit Beginn der Manipulationen erworben haben, und am Wochenende bzw. am 22.09.2015 noch gehalten haben.

Die Berechnung des Schadens, bzw. dessen Umfang, mutet für den Durchschnittsanleger ebenso kompliziert an, wie dessen Begründung. Geschuldet ist jedenfalls der sog. „Kursdifferenzschaden“.

Beim hier in Rede stehenden Unterlassen einer rechtzeitigen Insiderinformation ermittelt sich dieser Schaden als der hypothetische Kurs, der sich bei rechtzeitiger gebotener Information ergeben hätte. Richtgröße für die Ermittlung dieses Kursdifferenzschadens kann die Kursänderung sein, die nach dem – späteren – Bekanntwerden der unterlassenen Information eingetreten ist. Angesichts des massiven Einbruchs des Kurses um das Wochenende der dritten Septemberwoche herum, bzw. am 21./22.09.2015, wird deutlich, dass es hier um Milliardenbeträge gehen dürfte.

Angesichts der Komplexität der sich ergebenden Rechtsfragen wird sich der „Kleinanleger“ die Frage stellen, ob es sich für ihn überhaupt lohnt, letztendlich seine Ansprüche geltend zu machen. Auf den ersten Blick wird er sich, auch mit anwaltlicher Hilfe, kaum in der Lage sehen, alleine nur den Sachverhalt annähernd erfolgsversprechend aufarbeiten zu können.

Hier kommt nun allerdings eine verfahrensmäßige Besonderheit ins Spiel, die die Erfolgsaussichten auch für einen Privatanleger durchaus positiv erscheinen lässt: Das deutsche Verfahrensrecht kennt eine Form der „Sammelklage“ auf der Grundlage des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes. Dieses eröffnet die Möglichkeit, die wesentlichen Sachfragen, die den Kleinanleger ebenso wie den großen institutionellen Anleger betreffen, durch einen sogenannten „Musterentscheid“ zu klären. Dieser ist dann für alle Teilnehmer verbindlich. Hierfür bedarf es allerdings einer eigenen Klage des Anlegers, in deren Rahmen dann die wichtigen Vorfragen für alle betroffenen Anleger verbindlich durch einen sogenannten „Musterbescheid“ geklärt werden.

Der Kleinanleger kann insoweit von den weitergehenden Sachverhaltserkenntnissen und Möglichkeiten großer beteiligter Klägergruppen profitieren. Durch einen Musterentscheid könnte z.B. festgestellt werden, ob es sich um eine entsprechende Insiderinformation gehandelt hat, ob diese Insiderinformation den Emittenten unmittelbar betraf, ob, und insbesondere wann, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung entstanden ist, usw. Das „Telekom-Verfahren“ hat gezeigt, dass sich eine Beteiligung trotz der enormen Zeitdauer solcher Rechtsstreitigkeiten durchaus „lohnen“ kann.

Den betroffenen Kleinanlegern ist insoweit anzuraten, die weitere Entwicklung sorgfältig zu beobachten, um sich dann ggf. an ein Verfahren auf der Grundlage des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes „anzuhängen“.

Autor: Rechtsanwalt Wolfgang R. W. Arndt


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