Vorladung, Anklage wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) – Fachanwalt für Strafrecht informiert
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Einen anderen Menschen zu misshandeln, ist grundsätzlich in nahezu jeder Konstellation strafbar – egal, wer der andere Mensch ist. Bestimmte Personengruppen sind einem potentiellen Täter indes stärker ausgeliefert und bedürfen daher intensiverem Schutz durch das (Straf-)Recht. Diese Verpflichtung löst etwa § 225 StGB ein, der die Misshandlung von Schutzbefohlenen unter Strafe stellt.
Wie hoch ist die Strafe für Misshandlung von Schutzbefohlenen?
Wer einen Schutzbefohlenen quält, roh misshandelt oder durch böswillige Vernachlässigung seiner Sorgepflicht diesen an seiner Gesundheit schädigt, den trifft grundsätzlich eine Strafandrohung von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 225 Abs.1 StGB).
Wenn durch die Tat zusätzlich der Schutzbefohlene in die Gefahr
- des Todes,
- einer schweren Gesundheitsschädigung oder
- einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
gebracht wird, ist eine Strafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erwarten (§ 225 Abs.3 StGB).
Im sog. „minder schweren Fall“ gilt eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren; bei Herbeiführung der Gefahr des Todes, der schweren Gesundheitsschädigung oder Schädigung der erheblichen körperlichen oder seelischen Entwicklung Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (§ 225 Abs.4 StGB).
Auch der Versuch der Misshandlung von Schutzbefohlenen ist gem. § 225 Abs.2 StGB strafbar.
Wer ist ein Schutzbefohlener im Sinne der Misshandlung von Schutzbefohlenen?
Ausgangspunkt des Straftatbestandes ist der Schutzbefohlene. Nur er wird durch § 225 StGB geschützt. Eine Verletzung anderer Personen wird regelmäßig eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung und anderer Delikte nach sich ziehen. Hier wird der Zweck des Gesetzes deutlich, Schutzbefohlene besonders zu schützen: Bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen droht grundsätzlich eine Strafe von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe, bei einer einfachen Körperverletzung (die gegenüber jedermann begangen werden kann), „nur“ eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder Geldstrafe.
Schutzbefohlener kann nur eine Person sein, die unter 18 Jahre alt oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlos (= kann sich nicht oder nur stark eingeschränkt wehren) ist. Schutzbefohlener kann auch der unter-18-jährige sein, der nicht wehrlos ist; Kinder und Jugendliche werden hier also unabhängig von ihrer Konstitution besonders geschützt.
Zusätzlich ist eine Art besonderes Schutzverhältnis zum Täter erforderlich, es muss daher eines der folgenden vier Kriterien erfüllt sein:
1. Unterstehen der Fürsorge oder Obhut
Der Schutzbefohlene untersteht der Fürsorge oder Obhut des Täters (§ 225 Abs.1 Nr.1 StGB).
Die erste Variante erfordert, dass der Schutzbefohlene durch Gewährübernahme der Fürsorge oder Obhut dem Täter untersteht. Die Begriffe erfassen ein Abhängigkeitsverhältnis, bei dem der Fürsorge-/Obhutsplichtige für das Wohl des Schutzbefohlenen zu sorgen hat. Dabei ist Fürsorge auf eine längere Dauer angelegt, Obhut hingegen kurzweiliger.
Solch ein Verhältnis besteht regelmäßig zB bei:
- Eltern zu ihren Kindern
- Vormündern, Betreuern und Pflegern zu den entsprechenden Schutzbefohlenen
- Lehrern zu ihren Schülern
- Kindergartenerziehern zu den von ihnen betreuten Kindern
- Vollzugsbeamten zu den Gefangenen
- Ärzten, Mitarbeitern in Krankenhäusern und Pflegeheimen zu den ihnen anvertrauten Patienten
- Babysittern zu den ihnen anvertrauten Kindern
2. Angehören zum Hausstand
Der Schutzbefohlene gehört dem Hausstand des Täters an (§ 225 Abs.1 Nr.2 StGB).
Diese Variante erfordert, dass der Schutzbefohlene mit dem Täter im selben Hausstand lebt. Dabei spielen nicht gemeldete Wohnsitze eine Rolle, sondern die faktische Lebenswirklichkeit. Diese Variante umfasst auch bspw. Stiefkinder und Pflegekinder. Nicht umfasst sind Personen, die in einem eigenen Haushalt wohnen und nur zeitweilig im Haushalt des Täters zugegen sind.
3. Überlassen durch den Fürsorgepflichtigen
Der Schutzbefohlene wurde von dem Fürsorgepflichtigen (zB Eltern) der Gewalt des Täters überlassen (§ 225 Abs.2 Nr.3 StGB).
Diese vorletzte Variante erfasst zB das Überlassen des Kindes an den Nachbarn zum „kurzen Aufpassen“.
4. Unterordnung im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses
Der Schutzbefohlene ist dem Täter im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet (§ 225 Abs.1 Nr.4 StGB).
Die letzte Variante erfordert ein Vorgesetzen-Untergebenen-Verhältnis, in dem der Täter dem Schutzbefohlenen übergeordnet und ihm gegenüber weisungsbefugt ist. Das umfasst zB den Chef eines Jugendlichen, der seinem Ferienjob nachgeht.
Es ist für die Stellung als Schutzbefohlener ausreichend, wenn neben dem Alter (unter 18 Jahren) oder der gebrechlichkeits-/krankheitsbedingten Wehrlosigkeit eines der soeben genannten vier Kriterien vorliegt.
Wann findet eine strafbare „Misshandlung“ im Sinne des § 225 StGB statt?
Damit der Täter sich strafbar macht, muss auch erwiesen werden, dass er den Schutzbefohlenen misshandelt hat. Auch hierfür sieht § 225 StGB mehrere Varianten vor, namentlich
- das Quälen,
- das rohe Misshandeln sowie
- die Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Sorgepflicht.
1. Quälen
Das Quälten umschreibt das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art (BGH, Urt. v. 30.03.1995, Az: 4 StR 768/94). Das kann auch durch das wiederholte Beibringen von einfachen Körperverletzungen geschehen (BGH, Beschl. v. 28.06.2022, Az: 3 StR 142/22). Auch ein Unterlassen kann ein Quälen sein: So machten sich Eltern wegen § 225 StGB strafbar, die wegen esoterischen Aberglaubens auf notwendige medizinische Behandlungen des Kindes verzichteten und für das dies eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bedeutete (BGH, Urt. v. 04.08.2015, Az: 1 StR 624/14).
Auch das Durchführen von Maßnahmen, die unter pflegerischen und medizinischen Gesichtspunkten verzichtbar wären, kann ein Quälen darstellen; namentlich etwa das Legen eines Dauerkatheters oder einer Magensonde, ohne dass nach dem Gesundheitszustand des Betroffenen derartiges unumgänglich gewesen wäre (Eschelbach, in: BeckOK StGB, 57. Ed. 1.5.2023, StGB § 225 Rn. 16).
Auch die weibliche Genitalverstümmelung dürfte vom Begriff des Quälens umfasst sein (BT-Drs. 17/13707, 4).
2. Rohes Misshandeln
Das rohe Misshandeln umfasst üble, unangemessene Behandlungen, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigen. Diese müssten (als rohe Misshandlungen) aus einer gefühllosen, gegen die Leiden des Opfers gleichgültigen Gesinnung erfolgen.
Dieses rohe Misshandeln wurde etwa bei einem Vater bejaht, der sein Baby „mit ganz erheblichem Krafteinsatz in schneller Abfolge […] heftig, ruckartig und sehr schnell vor seinem eigenen Körper“ schüttelte und dadurch ein schweres Schütteltrauma sowie Subduralblutungen, eine Hirnschwellung, schwere Substanzverletzungen des Gehirns und Netzhautblutungen an beiden Augen herbeiführte (BGH, Urt. v. 21.03.2018, Az: 1 StR 404/17). Auch hier muss an eine Strafbarkeit durch Unterlassen gedacht werden; etwa dann, wenn jedenfalls eines von zwei Elternteilen das gemeinsame Baby stark misshandelt und das andere Elternteil keine Maßnahmen ergreift, weitere Übergriffe von dem Baby abzuwenden (BGH, Urt. v. 03.07.2003, Az: 4 StR 190/03).
3. Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Sorgepflicht
Schließlich liegt eine Misshandlung auch dann vor, wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt.
Zu denken ist beispielsweise an Eltern, die trotz medizinischer Beschwerden des Kindes diesem keine ärztlichen Heilbehandlung zuteil werden lassen.
Erforderlich ist dabei die böswillige Begehung, d.h. ein feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass oder anderen verwerflichen Beweggründen. Dafür reicht es bspw. nach Ansicht des BGH aus, wenn eine stark depressive Mutter ihr Kind unzureichend versorgt und sich auch keine Hilfe sucht, um nach außen hin als lebenstüchtig dazustehen und ihre Unfähigkeit zur Alltagsbewältigung nicht offenbaren zu müssen; dies sei eigensüchtig und damit böswillig (BGH, Urt. v. 20.05.2015, Az: 2 StR 464/14).
Auch bei diesen genannten strafbaren Verhaltensweisen muss der Täter nur eine Variante verwirklichen, um einer Strafbarkeit ausgesetzt zu sein.
Wann droht eine höhere Strafe für die Misshandlung von Schutzbefohlenen?
Unter bestimmten Voraussetzungen erhöht sich die angedrohte Strafe auf ein Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Dies ist namentlich der Fall, wenn der Schutzbefohlene durch die Tat in die Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Störung der körperlichen oder seelischen Entwicklung gebracht wird.
Die Todesgefahr wird verursacht, wenn aufgrund medizinischer Befunde die konkrete Gefahr besteht, dass das Opfer infolge Täterverhaltens ums Leben kommt (BGH, Urt. v. 26.01.2017, Az: 3 StR 479/16). Der Eintritt der drohenen Todesfolge muss außerhalb des Einflussbereichs des Täters liegen und nur noch vom Zufall abhängen (Eschelbach, aaO, Rn. 32).
Die Gefahr der schweren Gesundheitsschädigung umfasst solche Gesundheitsschädigungen, die mit einer anhaltenden Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohlichen, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen (BGH, Urt. v. 26.01.2017, Az: 3 StR 479/16). Werden intensivmedizinische Maßnahmen oder eine langwierige Rehabilitationsmaßnahme für das Opfer nach der Tat erforderlich, wird regelmäßig solch eine schwere Gesundheitsschädigung eingetreten sein (BGH, Urt. v. 17.07.2007, Az: 5 StR 92/07). Es genügt indes die bloße Gefahr des Eintritts.
Eine erhebliche Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung liegt vor, wenn die normale körperliche oder psychische Entwicklung andauernd und nachhaltig gestört ist (Paeffgen/Böse/Eidam, in: NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB § 225 Rn. 27). Auch hier reicht die Schaffung einer konkreten Gefahr aus.
Niedrigere Strafe für Misshandlung von Schutzbefohlenen bei minder schwerem Fall
Liegt ein „minder schwerer Fall“ vor, so verringert sich die Strafandrohung auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bzw. sechs Monaten bis fünf Jahren. Wann ein solcher „minder schwerer Fall“ vorliegt, ist schwer zu bestimmen, da diese Einstufung in besonderem Maße von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängt. Entscheidend ist, ob das Geschehen der Tat vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in dem Maße abweiche, dass die Anwendung des Mindeststrafrahmens geboten erscheint.
Da konkrete Anhaltspunkte hierfür zum Teil nur schwer zu erkennen und herauszuarbeiten sind, kommt es auf einen geschulten Blick und gutes Argumentationsvermögen an, um das Gericht ggf. zur Annahme eines minder schweren Falls zu bewegen. Darauf beschränkt sich die Tätigkeit des Strafverteidigers freilich nicht: In Zusammenarbeit mit dem Beschuldigten wird eine Strategie entwickelt und verfolgt, um unabhängig von Schuld oder Unschuld das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Schlüssel der Verteidigung ist dabei die genaue Betrachtung des Einzelfalls – oft zeigen sich hier einzelfallbedingte Handlungsmöglichkeiten, die das konkret bestmögliche Ergebnis offenbaren und greifbar machen. Hier gilt es, die Synergie aus Erfahrungsschatz eines erfahrenen Strafverteidigers und gründlicher Arbeit an Fall und Gesetz zu nutzen.
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