WERKSTATTRISIKO UND SICHERUNGSWEISE ABTRETUNG

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Häufig kommt es vor, dass nach einem Unfall die tatsächlichen Reparaturkosten höher ausfallen als ursprünglich etwa in einem Gutachten veranschlagt wurde. Dies kann auf unsachgemäßem oder unwirtschaftlichem Vorgehen der Werkstatt beruhen und daher im Vergleich zu einer üblichen Reparatur unangemessen sein. Solche Konstellationen werden unter dem Begriff des Werkstattrisikos zusammengefasst. In solchen Fällen soll der Geschädigte von dem Schädiger dennoch den vollen Betrag ersetzt bekommen können. Das Prognose- und Werkstattrisiko wird somit dem Schädiger auferlegt. Nur wenn den Geschädigten ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden bezüglich der beauftragten Werkstatt trifft soll das nicht gelten. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.04.2022 (Az: VI ZR 147/21) bestätigt. Gleichzeitig hat er jedoch die Frage aufgeworfen, ob diese Risikoverteilung zu unbilligen Ergebnissen führt, wenn der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch gerade an die ausführende Werkstatt abgetreten hat. Hier bedürften diese Grundsätze gegebenenfalls einer Modifikation.

Worum geht es?

Der Kläger macht weitere Schadensersatzansprüche wegen eines Unfalls gegen den beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend. Die Haftung des beklagten Versicherers ist dem Grunde nach unstreitig. Der Kläger hatte seinen Schadensersatzanspruch gegen den Versicherer an die später die Reparatur ausführende Werkstatt sicherungshalber abgetreten. Ein eingeholtes Sachverständigengutachten bezifferte die voraussichtlichen Reparaturkosten auf brutto 12.574,40 €. Die Werkstatt stellte dem Kläger nach erfolgter Reparatur jedoch einen Betrag von brutto 14.457,36 € in Rechnung. Vorgerichtlich regulierte der Versicherer den Schaden in Höhe von 13.372,08 €. Die weiteren geltend gemachten Rechnungsposten hielt der Versicherer für nicht erforderlich zur Schadenbeseitigung. Diesen Restbetrag hat der Kläger noch nicht bezahlt und begehrte nun die Freistellung von den offenen Werkstattkosten.  

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Amtsgericht hatte der Klage noch vollumfänglich stattgegeben. In der Berufungsinstanz wurde die Klage nach Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens von dem Landgericht Köln teilweise abgewiesen. Soweit das Urteil aufrechterhalten wurde, sollte die Freistellung nur Zug-um-Zug gegen die Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Werkstatt erfolgen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Begehren nun weiter und verlangte Zahlung des offenen Betrags an die Werkstatt.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hob die Entscheidung der Berufungsinstanz im angefochtenen Umfang auf und verwies die Klage zurück an das Landgericht. Dabei verwies es darauf, dass schon gar keine Entscheidung in der Sache hätte ergehen dürfen. Zudem beruhe auch die Sachentscheidung auf Rechtsfehlern.

Sachentscheidung unzulässig

Das LG Köln ging zunächst davon aus, dass es sich vorliegend um einen Fall der zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft handele. Dem trat der BGH auch nicht abschließend entgegen. Er führte jedoch aus, dass der tatsächliche Anspruchsinhaber wegen der Abtretung sicherungshalber hier die Werkstatt sei. Zu der erforderlichen Ermächtigung des Klägers zur Geltendmachung (nun) fremder Rechte seien aber keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden. Insbesondere könne man nicht ohne weiteres von einer konkludenten Ermächtigung bei der Sicherungsabtretung ausgehen. Dies gelte vor dem Hintergrund, dass der Sicherungsnehmer (hier die Werkstatt) ansonsten Gefahr läuft, dass der Sicherungsgeber die Forderung – auch mit Rechtskraftwirkung ihm gegenüber – erfolglos einklagt. Man könne nicht davon ausgehen, dass diese Folge stets im Interesse des Sicherungsnehmers ist. Zu dieser Frage müsse den Parteien demnach die Gelegenheit für weiteren Sachvortrag gegeben werden.

Auch in der Sache fehlerhaft

In der Sache selbst habe das LG die Grundsätze zum Werkstattrisiko nicht hinreichend berücksichtigt. Wie bereits ausgeführt, obliegt das Werkstattrisiko bei der konkreten Abrechnung grundsätzlich dem Schädiger. Wegen der Abhängigkeit des Geschädigten von Fachleuten, die für die Reparatur herangezogen werden müssen, und seiner regelmäßig eingeschränkten Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten wäre es unbillig, ihm dieses Risiko aufzubürden. Im Rahmen des Vorteilsausgleichs kann der Schädiger jedoch die Abtretung etwaiger Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber verlangen.  

Der Kläger hat hier vorgetragen, dass die geltend gemachten Rechnungsposten unfallbedingt tatsächlich durchgeführt wurden. Weil ihm der Ersatz seines Finanzierungsbedarfs im Rahmen des Schadensersatzes zusteht, ist es nach Ansicht des BGH unerheblich, dass er diesen Rechnungsbetrag noch nicht beglichen hat. Die Kosten seien nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos vom Schädiger daher grundsätzlich unabhängig von der objektiven Erforderlichkeit zu ersetzen. Ein Verschulden des Klägers bei Auswahl der Werkstatt sei nicht ersichtlich. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus der Überschreitung der vorgerichtlichen gutachterlichen Kalkulation um etwa 15 % bei den Werkstattkosten.

Sonderproblem bei Abtretung an Werkstatt

Vorliegend hatte der Kläger seine Ansprüche an die ausführende Werkstatt abgetreten und machte nun deren Rechte prozessstandschaftlich geltend. Der oben erwähnte Vorteilsausgleich erscheint hier nach Ansicht des BGH als potenziell problematisch, da dieser die Abtretung möglicher Rechte des Klägers und nicht der Werkstatt als Rechtsinhaberin umfassen würde. Die exakte Anwendung der Grundsätze zum Werkstattrisiko könnte dazu führen, dass die Werkstatt von dem Schädiger über den abgetretenen Schadensersatzanspruch eine Art Vergütung für Reparaturleistungen erhält, die sie von dem Geschädigten als Auftraggeber nach werkvertraglichen Grundsätzen nicht hätte verlangen können. Sollte sich die Klage als zulässig erweisen, könnten in dieser Konstellation daher Anpassungen hinsichtlich des Werkstattrisikos erforderlich sein.

Das Berufungsurteil wurde bezüglich des klageabweisenden Teils aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

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