WIRECARD AG – Was müssen Aktionäre und Anleihegläubiger beachten

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Leider zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre in den großen Schadensfällen wie INFINUS, P & R, German Pellets u. v. a. m., dass die Anleger, egal welches Kapitalanlageprodukt betroffen ist, ob Nachrangdarlehen, Genussrechte oder Inhaberschuldverschreibungen, Kommanditbeteiligungen oder atypisch stille Beteiligungen, Anleihen oder Zertifikate, nicht annähernd eine zufriedenstellende Quote im Rahmen der Insolvenzverfahren erzielen.

Jetzt lässt sich philosophisch fragen, was ist zufriedenstellend und was ist ausreichend – aber eine Quote von 1 % – 30 % bspw. und ein Totalausfall von 99 % bis 70 % pro Anleger können nicht zufriedenstellend sein, sind aber dem System der Verwertung immanent. Also müssen wir damit leben und klug überlegen, was gemacht wird, was nötig ist und nicht weiteres gutes Geld hinterherwerfen. Nicht zu vernachlässigen, ist aber auch das Geschäft mit der Angst der Anleger, die viele Anleger in die Arme sogenannter Interessenvertretungen treiben lässt.

Zunächst ist wichtig: Insolvenzantrag wurde über das Vermögen der WIRECARD AG gestellt – einem Liebling der Fonds und Aktionäre, nicht jedoch über die Bank – bisher.

WIRECARD BANK AG

Die Bank ist nicht Teil des Insolvenzverfahrens der WIRECARD AG. Die BaFin hat aber auch für die Bank einen Sonderprüfer bestellt. Die Bank wickelt Zahlungen ab und verwahrt auch Einlagen der Kunden. Diese Einlagen sind bis zu 100.000,00 € pro Privatperson durch die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigungseinrichtung der deutschen Banken (EdB) abgesichert. Hiervon ausgenommen sind Einlagen von Versicherungsfonds, Finanzdienstleistern und der öffentlichen Hand, sowie institutionellen Anlegern.

In der 2. Stufe ist die Bank über den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken als freiwillige Einlagensicherung abgesichert. Die Sicherung beträgt pro Kunde seit dem 01.01.2020 15 % der Eigenmittel der Bank. Nach Angaben auf der Homepage der Bank ist dieses ein Betrag i. H. v. 19,70 Mio. €. Gesichert sind Einlagen, d. h. Guthaben auf dem Konto, die sich im Rahmen von Bankgeschäften ergeben oder aus Zwischenpositionen resultieren, die von der Bank zurückzuzahlen sind und eine Laufzeit von weniger als 18 Monaten aufweisen. Diese dürfen weder durch eine Anleihe verbrieft sein, noch durch einen Schuldschein gesichert.

Was die Sonderprüfung der Bank ergeben wird, ist derzeit (Stand 01.07.2020) nicht bekannt. Sie haben Fragen zu Ihren Einlagen, Konten oder zu den Kredit- oder Debitkarten? Wenden Sie sich an uns.

WIRECARD AG  

Die WIRECARD AG ist ein weltweit tätiges Zahlungsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Deutschland. Ein Beispiel, Sie gehen bei ALDI SÜD einkaufen und zahlen bargeldlos. Dann hat WIRECARD für ALDI den sämtlichen Zahlungsverkehr abgewickelt, der mit Kreditkarten und internationalen Debit-Karten geführt wurde.

WIRECARD soll, so die Veröffentlichungen, von jeder Transaktion eine Provision von 1,4 % bis 1,7 % einbehalten haben, als vereinbarte Vergütung. Lukrativ. Diese Kooperation gab es auch mit Unternehmen wie die Allianz, oder Online-Gebrauchtwagenhändler oder Master-card.

Der aktuellen Presse konnte entnommen werden, dass wohl ALDI SÜD die Zusammenarbeit einstellt. Auch die Allianz zieht Konsequenzen und stellt ihre Bezahl-App „Pay&Protect“ ein, die gemeinsam mit der Wirecard Bank entwickelt wurde und über deren Systeme läuft.

Die japanische Softbank, die erst im Vorjahr über eine Wandelanleihe im Volumen von 900 Millionen Euro bei Wirecard eingestiegen war, will die strategische Partnerschaft mit dem Zahlungsabwickler wahrscheinlich ebenfalls aufkündigen (DER AKTIONÄR berichtete). Auch die Kreditkartenriesen Visa und Mastercard erwägen, ihre jeweilige Kooperation mit Wirecard einzustellen.

Die Aktien der WIRECARD sind am 24.09.2018 in den DAX aufgenommen worden. Das Unternehmen war ein Liebling der Aktionäre, Fonds, institutioneller Investoren.

Was können Aktionäre tun?  

Schadensersatzklage gegen das Unternehmen und Einreichung einer Klage  

Aktionäre, die Aktien ab dem 24.02.2016 (das Datum behalten wir uns nach Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft vor ggf. zu korrigieren) erworben haben, können den sogenannten Kursdifferenzschaden geltend machen. Dieses ergibt sich aus § 97 ff. WpHG. Es könnte eine Pflichtverletzung darin liegen, dass angebliche Kundenbeziehungen fiktiv angegeben wurden, um den Umsatz zu erhöhen; Pflichtverstöße unter Compliance Gesichtspunkten vorliegen u.v.a.m. Dieses wird bestätigt durch einen Bericht der KPMG im Rahmen einer Sonderprüfung vom 27.04.2020, der auch der BaFin seit diesem Zeitpunkt vorliegt.

Es spielt keine Rolle, ob Sie die Aktien noch halten bzw. heute noch im Besitz der Aktien sind. Die Klage setzt voraus, eine Pflichtverletzung, einen Schaden und Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden (natürlich noch etwas mehr, aber holzschnittartig). Die Pflichtverletzung bestehen darin, dass das Compliance nicht richtig funktionierte und dieses verschwiegen wurde bzw. nicht dem Kapitalmarkt die erforderliche Information bereitgestellt wurde; technisch auch fehlerhafte oder unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen genannt. Möglicherweise sind auch Bilanzen verfälscht worden. Die Klage richtet sich gegen mehrere Haftungsgegner, wie die Vorstände, die Wirtschaftsprüfer E & Y u. w. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ruhen Prozesse, die gegen die Gesellschaft geführt werden, sie sind schlichtweg unterbrochen, durch die Insolvenz.

Die Klage richtet sich gegen mehrere Haftungsgegner, wie die Vorstände, die Wirtschaftsprüfer E & Y u. w. Gegen einzelne (ehemalige) Vorstände wurde Haftbefehl erlassen; die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bilanzbetrug und Marktmanipulation.

Der BGH hat sich bereits mit Fragen der Haftung von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beschäftigt. Auch hier ist eine Haftung nicht ausgeschlossen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E & Y geht im Wirecard-Skandal von schwerer Kriminalität in quasi weltumspannenden Maßstab aus. "Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren", erklärte EY am Donnerstag in Stuttgart. Im Rahmen der Abschlussprüfung für das Geschäftsjahr 2019 hat EY entdeckt, dass gefälschte Saldenbestätigungen und weitere gefälschte Unterlagen für die Treuhandkonten vorgelegt wurden." EY habe das den zuständigen Behörden sowie dem Unternehmen und seinem Aufsichtsrat mitgeteilt.

Als weiterer möglicher Haftungsgegner wird von einigen Anwälten in der Presse häufig die BaFin benannt. Hier können wir aus unseren Erfahrungen berichten, dass Amtshaftungsansprüche immer schwer durchzusetzen sind und sein werden, das fängt bereits damit an, dass die Beweislast für Pflichtverletzungen der BaFin beim Anleger liegt und dafür benötigen wir Fakten, die wir im Rahmen der Akteneinsicht bspw. gewinnen können. Aber die BaFin muss uns/Ihnen nicht Akteneinsicht gewähren, in Unterlagen, die dann die BaFin unter Umständen selbst belasten kann. Hier wollen wir abwarten, wie sich die Aufdeckung des Vorgangs vollzieht. Überlegen Sie daher gut, welchen Werbeversprechen von Kanzleien Sie folgen wollen.

Für die Aktionäre, die sich an das Jahr 2019 erinnern können: die BaFin hat am 18.02.2019 eine Allgemeinverfügung erlassen (WA 25 – Wp – 5700 – 20119 / 0002), die Netto-Leerverkaufspositionen der Aktien WIRECARD AG verboten hat. Diese Verfügung, die ein Verbot beinhaltete, war befristet bis zum 18.04.2019. Hintergrund der Verfügung war der Einbruch des Kurses der Aktie von 167,00 € (31.01.2019) auf 99,90 € (15.02.2019), was eine Reduzierung der Marktkapitalisierung um 40 % bedeutete. Hintergrund waren Presseberichte in denen behauptet wurde, Mitarbeiter in Singapur hätten durch Buchführungsmanipulationen höhere Umsätze vorgetäuscht. Die Presseberichte fielen zusammen mit verstärkten Netto-Leerverkaufspositionen und damit einhergehend einer erhöhten Volatilität der Aktie. Es ist daher nicht so, dass die BaFin gar nicht aktiv wurde; sie hat damalig der Gefahr des Einwirkens auf die Kurse durch die Allgemeinverfügung entgegengewirkt. Wir werden daher sehen, was aufgeklärt wird.

Vertretung im Insolvenzverfahren – empfehlen wir.

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Was ist mit Kapitalanlegern die Produkte erworben haben, die auch in diesen Produkten die WIRECARD AG Aktie gewichtet haben?

Es gibt eine Vielzahl von Produkten wie Anleihen und Zertifikate, die als Referenzwert die Aktie/Aktienkurs der WIRECARD haben/hatten. Auch Fondsmanager haben teilweise auf die Kursentwicklung der Akte spekuliert.

Anleihe WIRECARD / ISIN E000A2YNQ58 / wenn man da raufklickt sollte sich ein Fenster öffnen, mit folgendem Text / Sie entscheiden, wie es übersichtlich ist:

Auch WIRECARD AG hat eine Anleihe emittiert, unter der ISIN E000A2YNQ58. Das Volumen betrug 500 Millionen Euro. Die Anleihe sollte bis zum 11. September 2024 laufen und bot einen Zinskupon von 0,50 Prozent. Schon kurz nach der Emission fiel das Papier allerdings leicht unter seinen Nennwert von 100 Prozent und notiert derzeit bei rund 99 Prozent. Für Privatanleger eignete sich das Papier aber nicht, da es für Wirecard kein Rating von den großen Agenturen gab. Trotzdem wurde es Privatanlegern empfohlen. Der Bond weist eine Stückelung von 100.000 Euro auf. Daher mussten Anleger mindestens 99.000 Euro investieren, um einzusteigen. Zudem liegt das Inkrement ebenfalls bei 100.000 Euro. Das bedeutet, dass Anleger die Papiere nur in Schritten von 100.000 Euro erwerben konnten.

Wir melden für die Anleger der WIRECARD-Anleihe die Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden und die Rechte der Gläubiger in einer Gläubigerversammlung nach Schuldverschreibungsgesetz vertreten. Auch hier kommt eine Haftung der Wirtschaftsprüfer, des Vorstands und weiterer Haftungsgegner in Betracht.

Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl von Kapitalanlagen wie ETFs, Fonds, Zertifikate die in ihren Produkten WIRECARD Aktien untergemischt haben / wenn man da raufklickt, sollte sich Fenster öffnen, mit folgendem Text / Sie entscheiden, wie es übersichtlich ist.

Auch hier kommt die Inanspruchnahme von Haftungsgegnern, wie Vorstand und E & Y in Betracht. Viel interessanter wäre aber unter Umständen die Inanspruchnahme der KVGs (Kapitalverwaltungsgesellschaften).

So hat bspw. die DWS ihren Flaggschifffonds „DWS Deutschland“ zeitweise mit von WIRECARD abhängige Positionen in Höhe von fast 12 % des Fondsvermögen bestückt. Und dieses trotz der regulatorisch vorgeschriebenen 10 %, gemäß § 219 Abs. 2 Satz 1 KAGB. Der Prospekt sicherte auch den Anlegern zu, dass das Vermögen des Fonds in Höhe von nicht mehr als 10 % mit Wertpapieren eines Emittenten bestückt werden darf.

Was ist aber nun, wenn WIRECARD-Äpfel in einen WIRECARD-Birnenmantel versteckt werden, um so die gesetzliche Grenze des KAGB zu umgehen? Wie ist es hier mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Zwang zur Diversifizierung und Transparenz, und wie unterschiedlich werden hier institutionelle Anleger und Kleinanleger behandelt? Wir sind dabei dieses u prüfen.

Geht man davon aus, dass bspw. der Aktienanteil an WIRECARD Aktien in dem Fonds mit 9,6 % knapp unter der gesetzlichen Grenze von 10 % bleibt, aber der Fonds darüber hinaus mit Delta-1-Zertifikaten (diese bilden kurz gesagt den Kurs der Aktie 1 zu 1 ab) bestückt wird und dieses dazu führt, dass die 10 %-Schwelle überschritten wird, was ist dann? Ist das ein Verstoß gegen die Transparenzpflicht, die zu Schadensersatzansprüchen führt? Oder liegt eine arglistige Täuschung des Kleinanlegers vor (institutionelle Anleger dürften eine geeignete Gegenpartei sein und intern genug Know-How haben, um dem Fonds auf die Finger zu hauen)? Wollte man das Gesetz umgehen? Oder liegt nur ein Doppelinvestment vor, dass rechtlich nicht zu beanstanden ist? Fragen über Fragen.

Gern sind wir für Sie da.

Anwaltskanzlei BONTSCHEV

Fachanwältin für Steuerrecht / Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht


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