Wirecard-Finanzskandal: Gegen welche Gegner hat eine Klage Aussicht auf Erfolg?

  • 8 Minuten Lesezeit

Der Wirecard-Skandal ist einer der größten Finanzskandale am Aktienmarkt, denn ein bilanzierter Betrag in Höhe von 1,9 Milliarden Euro soll nie existiert haben. Wir erläutern die Chancen auf Schadensersatz bei Aktionären.

Insolvenzverfahren Wirecard

Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 25. August 2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG sowie sechs weiterer deutscher Wirecard-Gesellschaften eröffnet. Auch wenn Aktionäre sich zu Recht als Gläubiger der Wirecard AG fühlen und das Insolvenzverfahren mit der Verteilung der Unternehmenswerte oft als naheliegende Lösung zur Schadenskompensation angesehen, ist dies rechtlich nicht so. Aktionäre sind Gesellschafter des Unternehmens und damit streng genommen Inhaber. Sie sind jedoch nicht zu Nachschüssen verpflichtet. Das maximale Risiko liegt im Totalverlust des investierten Geldes. Sollte es im Rahmen des Verfahrens zu insolvenzrechtlichen Fragestellungen kommen, werden wir unsere Mandanten auch dazu umfassend informieren.

Wirecard-Aktionäre fragen sich nun, welche Folgen die Pleite für sie hat und ob betroffene Anleger einen Anspruch auf Entschädigung haben. Gegen welche Gegner hat eine Klage Aussicht auf Erfolg? Wer haftet für Verluste der Aktionäre und Anleiheinhaber? Lesen Sie im Folgenden unsere Einschätzung im Wirecard-Anlegerskandal. Bei unserer Prüfung berücksichtigen wir, ob liquide Gegner vorhanden sind. Somit verfolgen wir nicht nur den juristisch, sondern auch den wirtschaftlich sinnvollsten Weg, damit Anleger am Ende nicht nur Recht, sondern auch Ihr Geld zurückbekommen.

Schadensersatzansprüche der Aktionäre

1. Gegenüber Wirtschaftsprüfern EY

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young war bereits seit vielen Jahren mit der Prüfung der Jahresabschlüsse der Wirecard AG betraut. Bis einschließlich 2018 hat sie die Jahresabschlüsse ohne Beanstandungen testiert. Die Prüfer bestätigten stets, dass die ausgewiesene Bilanz der Richtigkeit entspricht. Warum ist EY das Fehlen einer Geldsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro erst jetzt aufgefallen? 

Gemäß den in der Rechtsprechung des BGH entwickelten und höchstaktuell bestätigten Grundsätzen über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch unrichtige Bestätigungsvermerke kann eine Haftung des Abschlussprüfers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB gegeben sein, wenn Gegenstand der Prüfung eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Weiter kommt auch ein Anspruch des Anlegers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht. Nach der Rechtsprechung besteht ein Anspruch, wenn der Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der Prüfer seine Aufgabe unzureichend ausgeführt hat. Dies ist der Fall bei Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit bei den Ermittlungen oder bei Angaben ins Blaue hinein. Die umfangreichen Medienberichte, die Sonderprüfung durch KPMG sowie zahlreiche Zeugenaussagen deuten auf entsprechende Sachverhalte hin und können bereits jetzt als Beweis dafür gesehen werden.

Die Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist aus unserer Sicht der erfolgversprechendste Anspruchsgegner für geschädigte Anleger. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist EY derzeit der einzige finanzkräftige Anspruchsgegner. Für ein Vorgehen gegen EY sprechen sowohl wirtschaftliche Aspekte wie auch rechtliche Gesichtspunkte. Die bisherige Rechtsprechung ist als sehr anlegerfreundlich zu qualifizieren und kann auch als bereits gefestigt angesehen.

2. Gegenüber der Wirecard AG

Aktionäre und Anleiheeigner können nach den §§ 97, 98 WpHG, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB sowie nach § 826 BGB Schadenersatzansprüche wegen Kursbetrugs geltend machen. Denn die Gesellschaft ist als Dax-Unternehmen dazu verpflichtet, regelmäßig Bericht zu erstatten und den Kapitalmarkt zu informieren. Sie  könnte somit  für die mutmaßlichen Schädigungshandlungen verantwortlich gemacht werden. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen sind die mutmaßlichen Betrugshandlungen einigen Mitarbeitern und Organen der Gesellschaft zuzuordnen.

In der Praxis hat dies jedoch kaum Auswirkung auf die Rechte der Anleger. In der aktuellen Situation ist es unzweckmäßig gegen die Wirecard AG vorzugehen, da diese bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren steht und höchstwahrscheinlich in einem Insolvenzverfahren abgewickelt werden wird. Eine volle Befriedigung der Gläubiger wird hinsichtlich der hohen offenen Bankverbindlichkeiten der Gesellschaft und mangels Sachwerte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Aussicht stehen.

Rechtliche Stellung der Aktionäre

Auch wenn sich Aktionäre sich zu Recht als Gläubiger der Wirecard AG fühlen und das Insolvenzverfahren mit der Verteilung der Unternehmenswerte oft als naheliegende Lösung zur Schadenskompensation angesehen wird, ist dies rechtlich leider nicht so. Aktionäre sind Gesellschafter des Unternehmens. Sie sind keine Gläubiger im Insolvenzverfahren und daher bei der Verteilung einer Quote ausgeschlossen. Im Insolvenzverfahren stehen die Aktionäre als Eigentümer an letzter Stelle, wenn es um die Verteilung des Vermögens geht. Selbst wenn Wirecard oder Teile davon verkauft würden, bekämen zuerst die Gläubiger wie zum Beispiel Banken oder alle, die Wirecard Geld in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro geliehen haben, ihr Kapital zurück. Erst danach wären die Aktionäre an der Reihe. Streng genommen ist man als Aktionär Inhaber des Unternehmens, jedoch nicht zu Nachschüssen verpflichtet. Das maximale Risiko liegt im Totalverlust des investierten Geldes.

Theoretisch könnten Aktionäre  ihre Ansprüche gegenüber der Wirecard AG zur Insolvenztabelle anmelden, sofern sie diese im Wege einer Klage erfolgreich gegenüber der Wirecard geltend gemacht haben. In Anbetracht des zeitlichen und finanziellen Aufwandes und der Tatsache, dass der Betrag letztlich gering sein wird – ein geringer Teil des Kursdifferenzschadens im Rahmen der Insolvenzquote – ist dieses Vorgehen kaum empfehlenswert.

„Sammelklage“ – Kapitalanlagemusterverfahren (KapMug)

Ein Kapitalanlagemusterverfahren ist aktuell noch nicht eröffnet worden ist. Es laufen weder Fristen, noch müssen sich Wirecard-Anleger derzeit einem Verfahren anschließen. Zunächst müsste dem zuständigen Oberlandesgericht (OLG) München durch ein Landgericht ein KapMuG-Verfahren vorgeschlagen werden. Auch dies ist noch nicht geschehen. Erst im Anschluss kann das OLG München über die Zulassung eines Massenverfahrens entscheiden.

Ein Vorgehen im Rahmen eines Musterverfahrens gegen die Wirecard AG schätzen wir als wenig erfolgversprechend ein, da die Forderungen der Aktionäre nach jetzigem Stand nicht durchgesetzt werden können. Verfahren gegen die Wirecard AG werden im Falle der Insolvenzeröffnung nach § 240 ZPO unterbrochen. Zudem scheint es auch mit einem theoretisch erstreitbaren Urteil nicht sinnvoll, Vollstreckungshandlungen gegen ein insolventes Unternehmen anzustrengen. Wir raten unseren Mandanten daher bezüglich eines möglichen KapMuG Verfahrens zur Weitsicht. Sollte wider Erwarten zügig eine Eröffnung eines KapMuG Verfahrens stattfinden und Aussichten auf eine Entschädigung bestehen, kann unsere Kanzlei kostengünstig und rechtssicher Anmeldungen vornehmen. Dies könnte im Bedarfsfall Ansprüche gegen andere Haftungsgegner flankieren.

3. Gegenüber Vorständen der Wirecard AG

Die Vorstände der Wirecard haben nach bisherigem Informationsstand mehrere ihrer Pflichten verletzt, wenn nicht sogar persönlich Straftaten begangen. Daher sind im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auch Haftbefehle erlassen worden. Grundsätzlich haften Vorstände nur im Innenverhältnis der Gesellschaft gegenüber. Im Fall Wirecard ergeben sich aufgrund der Tragweite der Pflichtverletzungen auch Ansprüche für Aktionäre und Anleger. Denn der Vorstand hat durch unterlassene Informationen, unzureichende und irreführende Darstellung der finanziellen Lage des Unternehmens sowie durch unterlassene und verspätete Warnung vor absehbaren Kursverlusten einen Schaden der Aktionäre verursacht. In einem gerichtlichen Verfahren ist die Beweisführung zum Vorsatz dabei jedoch schwierig, da sich die Vorstände zunächst auf die Pflichten von Wirtschaftsprüfern und externen Beratern berufen können. Weiter stellt sich die Frage, ob ausreichend liquide Mittel zur Befriedigung der Gläubiger und Aktionäre zu Verfügung stehen, selbst wenn dem Vorstand ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Die D&O-Versicherung der Vorstände (Directors-and-Officers-Versicherung, eine Manager-Haftpflichtversicherung) greift bei Vorsatz nicht. Selbst wenn sie greifen würde, wäre die Deckelung der Versicherung beim vorliegenden Schaden im Wirecard-Finanzskandal zu gering. Dasselbe gilt vermutlich für das Privatvermögen der Vorstände. Hinzu kommt, dass im Falle einer Haftbarkeit der Vorstände auch der Insolvenzverwalter diese in Anspruch nehmen wird. Im Ergebnis ist eine Privatinsolvenz zu befürchten. Dann hilft ein gerichtlich erstrittener Titel nicht weiter. Darüber hinaus ist ein Teil des Vorstands immer noch flüchtig. Wir halten uns für unsere Mandanten jedoch stets zu möglichen Ansprüchen gegenüber Vorständen der Wirecard AG informiert und prüfen, ob im Rahmen des Strafprozesses ein „Anhängen“ im Rahmen eines sogenannten Adhäsionsverfahrens sinnvoll ist.

4. Gegenüber der BaFin

Auch wenn die Handlungen – oder auch Nichthandlungen- der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als äußerst kritisch bewertet werden können, sind die Chancen, erfolgreich Ansprüche gegen die BaFin geltend machen zu können, als gering einzustufen.

Aus rechtlicher Sicht handelt die BaFin ausschließlich im öffentlichen Interesse. Dadurch werden Ansprüche von Anlegern ausgeschlossen. Das Fehlen dieser subjektiven Rechtsposition wurde bereits gerichtlich bestätigt. Ohnehin kann und wird sich der Staat darauf berufen, dass gerade der vorliegende Skandal durch die bestehenden Gesetze, insbesondere die Prüfpflicht durch Wirtschaftsprüfungsunternehmen verhindert werden sollte. Ein Staat oder eine Behörde trägt in der Regel keine Verantwortung gegenüber Aktionären für die Nichteinhaltung oder einen Verstoß gegen geltendes Rechts durch Dritte.

5. Gegenüber Finanzvermittlern und Brokern

Grundsätzlich haftet der Vermittler oder der Bankberater, wenn auf eintretende Risiken nicht ausreichend hingewiesen wurde. Denkbar ist auch eine Prospekthaftung, wenn die Verkaufsprospekte entsprechende Fehler aufweisen. Sollte auf die anfallenden Provisionen nicht hingewiesen worden sein, haften sowohl Banken als auch unter Umständen Finanzvertriebe für den entstandenen Schaden. Möglich ist auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Onlinebroker, weil eine Order nicht oder verspätet ausgeführt wurde. In einigen Fällen war beispielsweise ein Zugriff auf das Depot aus technischen Gründen nicht möglich oder Aufträge wurden erst mit stundenlanger Verzögerung ausgeführt.

Kostenfreie Prüfung für Aktionäre auf Schadensersatzansprüche

Seit über 25 Jahren gehört die Kanzlei AKH-H zu einer der erfahrensten Kanzleien im Bereich des Bank- und Kapitalmarktrechts. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Aktionäre oder Anleiheinhaber im Falle einer Krise und einhergehenden Kursverlusten keineswegs schutzlos gestellt sind. Hinsichtlich der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ist es irrelevant, ob Sie noch im Besitz Ihrer Aktien oder Anliehen sind oder diese bereits veräußert haben. Selbst wenn Anleger ihre Wertpapiere von Wirecard bereits verkauft haben, besteh ein Anspruch auf Schadensersatz weiterhin.
 Es empfiehlt sich zunächst kühlen Kopf zu bewahren und sich von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Wir prüfen kostenfrei und unverbindlich,  welche Ansprüche auf Schadensersatz Sie geltend machen können.

Foto(s): @adobe stock

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Georgios Aslanidis

Beiträge zum Thema