Wirecard-Skandal - Effektiverer Rechtsschutz im Kapitalanleger-Musterverfahren: opt-out-Option als Lösung

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Der Wirecard-Skandal hat vor genau drei Jahren zehntausende Kleinanleger ihr Erspartes gekostet. Seitdem bemühen sich Anleger-Anwälte um Schadensersatz von EY. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte jahrelang die Bilanzen der Wirecard AG anstandslos geprüft.

Allerdings gestaltet sich die juristische Aufklärung auch drei Jahre nach Bekanntwerden des Skandals als schwierig.

Einem langwierigen Streit über die Zuständigkeit zwischen den Landgerichten in Stuttgart und München folgte vor Gericht die Diskussion über den korrekten Nachweis der Schadenshöhe sowie über die Kausalität gefälschter Testate für die jeweilige individuelle Anlageentscheidung. Die offensichtlichen Versäumnisse von EY, der Grad des Verschuldens und der massiv angerichtete Schaden gerieten dabei zunehmend aus dem Blick.

Verzögerung durch das Kapitalanleger-Musterverfahren

Im März 2023 wurde schließlich ein Kapitalanleger-Musterverfahren in Sachen Wirecard/EY eingeleitet. Dieses soll sämtliche Klagen gegen EY auf Schadensersatz im Zusammenhang mit der Wirecard-Insolvenz bündeln. Zuständig ist das Bayerische Oberste Landesgericht.

Das Problem: Sämtliche Individualklagen werden ausgesetzt. Hinzu kommt, dass sogenannte KapMuG-Verfahren erfahrungsgemäß sehr lange dauern können. So endete beispielsweise das TELEKOM-Verfahren nach 19 Jahren.

Bei EY kommt erschwerend hinzu, dass unter dem Codenamen „Project Everest“ eine Abspaltung der Wirtschaftsprüfungssparte von der Beratungssparte vollzogen werden sollte. Zwar wurde dieses Projekt zwischenzeitlich gestoppt – ein zweiter Versuch der Aufspaltung wird aber explizit nicht ausgeschlossen.

Die Befürchtung besteht also weiterhin, dass EY nach einem womöglich jahrzehntelang andauerndem KapMuG-Verfahren nicht mehr wirksam in Haftung genommen werden kann.

Gesetzesinitiative der Kanzlei Schirp & Partner

Die Anwälte der Kanzlei Schirp & Partner, die die größte Klägergruppe in den Verfahren gegen EY vertreten, haben sich daher dazu entschlossen, energisch zu handeln.

Wir fordern eine Reform des Kapitalanleger-Mustergesetzes und, soweit mitbetroffen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und zwar in folgenden Punkten:

  • Wir haben Beschleunigungsregelungen formuliert, die in neu zu schaffende Absätze des § 11 KapMuG aufzunehmen sind. Damit wollen wir dem Fakt entgegenwirken, dass alle Parteien, aber auch das Gericht fortlaufend Fristverlängerungen beantragten bzw. sich selbst gewähren. Alle Beteiligten sollen dazu angehalten werden, sich in jedem Stadium des Verfahrens um strengste Beschleunigung zu bemühen.
  • Des Weiteren ist § 8 KapMuG um eine sogenannte opt-out-Lösung für Mandanten, die ihr Klageverfahren auf eigenes Risiko weiterbetreiben wollen, zu ergänzen. Durch die Schaffung einer opt-out-Lösung wird denjenigen Parteien, die dazu bereit sind, das Risiko einer rechtlichen Klärung selbst zu tragen, die Möglichkeit zum Widerspruch gegen die zwangsweise Aussetzung und zur Fortsetzung ihres Verfahrens vor dem Prozessgericht gegeben. Das Widerspruchsrecht soll an keine Frist gebunden sein, damit die Möglichkeit erhalten bleibt, auch noch nach Jahren aus dem KapMuG-Verfahren auszuscheiden, um einer Verzögerung des eigenen Verfahrens entgegenwirken zu können. So könnten individuelle Verfahren vorangetrieben werden und deutlich schneller ein vollstreckbarer Zahlungstitel erwirkt werden.

Ziel dieser vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist es, die Dauer von Musterverfahren zu reduzieren, ohne die Effizienz des Rechtsschutzes oder die prozessualen Rechte der Parteien zu beeinträchtigen.

Petition und Aktionstag am 25. Juni

Um möglichst viel Aufmerksamkeit für unser Anliegen zu generieren, haben wir eine Online-Petition ins Leben gerufen. Sofern noch nicht geschehen, kann diese jederzeit unterschrieben werden.

Zudem plant die Kanzlei Schirp & Partner am 25. Juni 2023 einen bisher einmaligen „Aktionstag Wirecard“, an dem wir mit einer Kundgebung auf die Missstände der derzeitigen juristischen Aufklärung des Wirecard-Skandals hinweisen und eine Verbesserung des Kapitalanleger-Mustergesetzes erwirken wollen.

Weitere Informationen hierzu finden Sie auf unserer Homepage.


Foto(s): Ascannio - stock.adobe.com

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