Work-Life-Balance als Anwalt: „Einfach weniger arbeiten, war für mich nie eine Option“

  • 8 Minuten Lesezeit
Work-Life-Balance als Anwalt: Rechtsanwältin Stefanie Lindner: „Einfach weniger arbeiten, war für mich nie eine Option“
Theresa Höfle anwalt.de-Redaktion

Zehn Jahre Leistungssport haben Rechtsanwältin Stefanie Lindner geprägt: Sie ist es gewohnt, für ihre Mandanten und ihre Kanzlei Lindner alles zu geben. Im Interview spricht sie über den Preis in Bezug auf ihr Privatleben und ihre Familie, den sie bereit ist, dafür zu zahlen. 

Wie definieren Sie persönlich Work-Life-Balance für sich als Rechtsanwältin? Sind Sie zufrieden mit Ihrer momentanen Situation?  
  
Als einen angemessenen Ausgleich von Arbeit und Freizeit würde ich es ansehen, abends nach 18 Uhr Zeit für das Fitnessstudio, Sport oder andere Freizeitaktivitäten und die Familie zu haben und dies auch am Wochenende, ohne an die Anwaltstätigkeit zu denken oder am Schreibtisch sitzen zu müssen. 

Eine tatsächliche Work-Life-Balance gibt es bei mir schon seit fast zehn Jahren nicht mehr. Seit die Anwaltskanzlei gut angelaufen ist, ist auch ein geregeltes Freizeitprogramm passé. Seit gut zehn Jahren ist mein Notebook mein ständiger Begleiter auf Urlaubsreisen. Es gibt auch kein Wochenende, an dem ich nicht zumindest zeitweise an einem Fall arbeite oder in einem Handbuch nachlese. Im Urlaub lese ich in Fachzeitschriften, da ich sonst nur schwer Zeit hierfür finde. 

Wichtig ist ein Partner, der tolerant ist und es akzeptiert, dass auch im Urlaub immer wieder Telefonate geführt oder Schriftsätze gefertigt werden müssen. Sehr hilfreich ist auch die Unterstützung durch den Partner und die Familie, um hinreichend Zeit für die Kanzleitätigkeit zu haben. 

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Welche besonderen Herausforderungen und Stressfaktoren erleben Rechtsanwälte in Bezug auf die Work-Life-Balance? Was waren die größten Herausforderungen, die Sie bisher gemeistert haben?  
 
In Kanzleien passiert ständig Unvorhergesehenes. Die Arbeitstage sind straff durchorganisiert. Sobald ein dringender Anruf eines Mandanten eingeht, weil er z. B. eine Entscheidung in der Geschäftsführung treffen muss oder ein Mandant verhaftet wurde, ist der straffe Zeitplan obsolet. Die ursprünglich angedachten Arbeiten müssen spätabends oder am Wochenende erledigt werden. 

Ich war zeitweise so streng durchgetaktet, dass es mir unmöglich war, mit einem gebrochenen Zeh ins Krankenhaus zum Röntgen zu fahren. Ich habe nicht gewusst, wann ich sonst die Besprechungen mit den Mandanten hätte durchführen sollen. 

Während meiner Hochzeitsreise musste ich regelmäßig alle drei bis vier Tage an Telefonkonferenzen teilnehmen, da bei einer langjährigen Mandantin der Gesellschafterstreit ausgebrochen war. Wenn ich gerade im Hotel war, ging das relativ leicht. Sobald wir im Auto saßen, war es eine Herausforderung, ca. zwei Stunden lang nicht ins Funkloch zu geraten. Glücklicherweise fand die Reise in Europa statt, sodass die Zeitverschiebung kein Problem darstellte. 

Ist es Ihrem Eindruck nach in der Rechtsbranche schwerer als in anderen Berufsfeldern, Beruf und Privatleben parallel zu managen? 

Das Zeitmanagement ist in der Rechtsbranche – ich kann nur für uns Anwälte sprechen – meines Erachtens deshalb schwierig, da die Gerichte Termine und Fristen setzen, auf die wir selbst keinen Einfluss haben. Der Arbeitsanfall lässt sich dadurch nur schwer steuern. Es gibt Monate mit nur zwei oder drei Gerichtsverhandlungen und welche mit drei oder vier Terminen bei Gericht pro Woche. 

In einer Arztpraxis, so stelle ich mir das vor, ist es leichter, einfach einen bestimmten Zeitraum zu blocken oder weniger Patienten einzubestellen. Ob das aber wirklich so leicht ist, wie ich mir das vorstelle, kann ich nicht beurteilen, da ich selbst noch nie eine Arztpraxis geleitet habe. 

Angestellt oder selbstständig, in der Einzel- oder Großkanzlei: Wo ist Ihrer Erfahrung nach am ehesten Work-Life-Balance möglich? 

Ich war nie in einer Großkanzlei tätig, daher kann ich nur das beurteilen, was ich von Anwälten aus Großkanzleien gehört habe. Die schlechteste Work-Life-Balance dürfte wohl in einer Großkanzlei bestehen. Von einer Bekannten weiß ich, dass sie von heute auf morgen für ein bis zwei Wochen nach New York fliegen muss, um zu verhandeln. Vor 21 Uhr abends verlässt sie das Büro nie. Häufig sitzt sie bis vier Uhr morgens im Büro. 

Meine beiden angestellten Anwälte haben eine deutlich bessere Work-Life-Balance als ich. Im Urlaub haben sie echten Urlaub, abends nach Feierabend ebenso. Wenn sie krank sind, interessiert die Kanzlei nicht mehr. Sie können richtig genesen. Den Arbeitsausfall muss ich abfangen. Den Mandanten ist es egal, ob ich verreist oder krank bin. Bestimmte Arbeiten sind einfach zu erledigen. Das wird auch erwartet. Als Angestellter kümmert man sich in der Regel nur um die Fallbearbeitung und hat mit der Verwaltung, die im Hintergrund läuft, nichts zu tun. Am schlechtesten war die Work-Life-Balance bei mir, als ich noch komplett allein gearbeitet habe. Besser wurde es mit den Bürokräften. Das Telefon stresst ziemlich und kostet viel Zeit. Es lenkt auch von der Arbeit ab. 

Welche Rolle spielt die jeweilige Kanzleikultur bei der Förderung oder Hemmung der Work-Life-Balance? 

Die jeweilige Kanzleikultur kann die Work-Life-Balance fördern oder dieser auch sehr entgegenstehen. Bei uns in der Kanzlei ist die Kultur aus meiner Sicht förderlich, zumindest für die Angestellten, da diese sich die Arbeiten relativ frei einteilen und vom Homeoffice aus arbeiten können. Außerdem haben sie relativ viel Urlaub und eine Viertagewoche. 

Im Strafrecht ist schnelles Handeln und Arbeiten außerhalb der Bürozeiten oft entscheidend. Lässt sich dieses Rechtsgebiet schwerer mit dem Privatleben vereinbaren als andere? 

Wenn man nicht überwiegend als Pflichtverteidiger tätig ist und nicht ständig Haftsachen hat, meines Erachtens nicht. Die Haftsachen sind sehr zeitaufwendig und häufig unberechenbar. Ansonsten ist Strafrecht meiner Erfahrung nach ein sehr angenehmes Rechtsgebiet, da es in der Regel keine Fristen zu beachten gibt. 

Wie häufig werden Sie über Ihre Notfallnummer auch in Ihrer Freizeit kontaktiert? 

Extrem selten, vielleicht zwei- bis dreimal im Jahr. Am Wochenende rufen aber häufig Mandanten in der Kanzlei an. 

Kanzleimarketing und Mandantenakquise können neben der rechtlichen Betreuung von Mandanten ein weiterer Fulltime-Job sein: Inwiefern erleichtert Ihnen Ihr anwalt.de-Profil hier die Arbeit?  

Durch die positiven Bewertungen erhalten die Interessenten einen guten Überblick über die Qualität meiner Arbeit. Wir erhalten dadurch regelmäßige Anfragen. Außerdem rankt das anwalt.de-Profil bei Google recht weit oben und auch Rechtstipps auf anwalt.de sind im Google-Ranking sehr weit oben angesiedelt. Ich schalte keine Werbung auf Facebook und auch keine kostenpflichtige auf Google. 

Ihr Profil enthält eine beeindruckende Liste an Qualifikationen und Fortbildungen. Wie bekommen Sie das neben der Arbeit und Ihrem Privatleben zeitlich noch unter? 

Es handelt sich um Pflichtfortbildungen im Rahmen der Fachanwaltslehrgänge. Die 30 Fortbildungsstunden pro Jahr sind recht gut machbar. Häufig buche ich Seminare, die am Wochenende stattfinden. Dann habe ich mehr Ruhe. 

Homeoffice, Jobsharing, bezahlte Kitaplätze: In den vergangenen Jahren gab es einige Entwicklungen, die die Vereinbarkeit von Job und Familie erleichtert haben. Kamen diese Veränderungen auch im Arbeitsleben der Anwaltschaft an? 

Homeoffice wird bei uns durchaus nachgefragt. Ich biete dies meinen Mitarbeitern auch an. Allerdings ist nicht jedermann fürs Homeoffice geschaffen. Es gibt Anwälte, die zu Hause deutlich weniger arbeiten als in der Kanzlei. Ich selbst arbeite sehr gern im Homeoffice und bin dort deutlich produktiver, da ich nicht abgelenkt werde. Zum Jobsharing und den bezahlten Kitaplätzen fehlen mir Erfahrungswerte. 

Wie hat sich Ihre Work-Life-Balance im Laufe Ihrer Karriere entwickelt? Haben Sie mittlerweile andere Prioritäten als früher? 

Als ich die Kanzlei frisch gegründet hatte, habe ich alles allein erledigt. Ich war froh, wenn ich ausgelastet war. Nach ca. eineinhalb Jahren habe ich die ersten Mandate abgelehnt und begonnen, mich zu spezialisieren. Dadurch ging mir die Arbeit leichter von der Hand, allerdings wurde sie dennoch immer mehr. 

Eine echte Erleichterung verspürte ich erst, als ich eine Teilzeitkraft fürs Telefon und Büro eingestellt habe. Das hätte ich viel früher machen sollen. Eine große Veränderung gab es durch die Anstellung eines Anwalts. Dadurch sitze ich nicht mehr jeden Tag bis 22 oder 23 Uhr am Schreibtisch. Ich versuche, nach und nach mehr Zeit für mich zu gewinnen, indem ich z. B. an einem Feiertag einmal keine E-Mails checke und nicht arbeite, allerdings gelingt mir das nicht immer. 

Mir ist es seit Gründung meiner Kanzlei ein ganz großes Anliegen, meine Mandanten optimal zu vertreten und das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Meine Mandanten sollen begeistert sein. Als ehemalige Leistungssportlerin bin ich innerlich darauf getrimmt, immer das Maximale zu geben und das Maximum zu wollen. Das erfordert einen erheblichen Arbeitseinsatz und sehr große persönliche Disziplin. Die zahlreichen positiven Bewertungen z. B. auf anwalt.de sind für mich eine Bestätigung und zeigen mir, dass sich mein Einsatz lohnt. 

Jetzt ist es 20.43 Uhr und ich beantworte noch die Fragen des Interviews, da ich nicht eher Zeit hierfür gefunden habe. 

Würden Sie – in Bezug auf eine gute Work-Life-Balance – andere berufliche Entscheidungen treffen, wenn Sie noch einmal am Beginn Ihres Berufslebens stünden? 

Ich würde eher Mitarbeiter einstellen. Am Anfang ist es zwar mühsam, bis diese eingearbeitet sind, danach stellen sie aber schon eine große Erleichterung dar. 

Zu welchen konkreten Maßnahmen raten Sie Rechtsanwälten, um ihre Work-Life-Balance zu verbessern?  

In diesem Bereich bin ich ein schlechter Ratgeber, da ich selbst keine solche habe. Bei Kollegen mit ordentlicher Work-Life-Balance stelle ich fest, dass sie relativ wenig Fälle im Vergleich zu mir bearbeiten. Einfach weniger arbeiten, war für mich nie eine Option. Am ehesten würde ich dazu raten, eher eine Bürokraft einzustellen, da diese eine wirkliche Erleichterung darstellt. 

Welche Rolle spielen moderne Technologien bei der Förderung der Work-Life-Balance für Anwälte? 

Meines Erachtens eine große. Allein das Diktieren mit der Sprachsoftware Dragon hat meine Arbeitsgeschwindigkeit deutlich erhöht. 

Haben Sie Vorbilder, an denen Sie sich bei der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie orientieren?  

Mike Morse aus den USA schreibt in seinem Buch „Fireproof“, wie er seine Arbeitsabläufe geändert und damit viel mehr Freizeit für sich und seine Familie geschaffen hat. 

Rechtsanwältin Stefanie Lindner ist Inhaberin der Kanzlei Lindner mit Sitz in Passau. Die Kanzlei besteht derzeit aus fünf Rechtsanwälten und behandelt schwerpunktmäßig das Strafrecht, das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Arbeitsrecht und das Vertragsrecht. 

(ZGRA, THH) 

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Foto(s): ©Adobe Stock/ArtBackground, ©privat/Stefanie Lindner

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